Elektrisch Lesen

Bis vor einigen Jahren gehörte ich zu jenen, die mit acht bis zehn Büchern im Koffer in den Urlaub fahren – und alle durchgelesen zurückbringen. Dass sich das änderte, hat weniger mit dem Internet zu tun oder technische Gründe, sondern eher biologische. Doch die Kinder werden allmählich selbständiger, mein Lesehorizont reicht schon eine Weile über Tomte Tummetott hinaus – und die Anzahl der gelesenen Bücher pro Urlaub nimmt wieder stetig zu, so dass sich mir als Digital Media Woman inzwischen die Frage nach einem E-Reader stellt.

War ich nach der Lektüre eines Kindle-Tests bei Spreeblick schon kurz davor, den Bestellknopf bei Amazon zu drücken, wurde ich bei Max wieder ausgebremst – auch wenn seine Argumente eindeutig nicht aus der Mit-acht-Büchern-im-Koffer-, sondern aus der Internet-Nutzer-Perspektive geschrieben sind.

Von der Gesprächsrunde „Elektrisch lesen“ der Körberstiftung in dieser Woche erhoffte ich mir eine Entscheidungshilfe.

Johannes Haupt, Kathrin Passig, Jürgen Neffe und Christoph Bungartz auf dem Podium. Foto: Kixka Nebraska

Vor die Wahl gestellt, das Buch oder das Lesen zu retten, ergibt sich die Antwort nach der Zukunft des Buches fast von selbst. Das zum Teil durchaus wertkonservative Publikum („Früher wurden Bücher noch vererbt! Wenn ich an meine ledergebundene Brockhaus-Sammlung denke…“) wurde in der Diskussion davon überzeugt, dass das Internet und die Zunahme digitaler Lebensformen nicht zwangsläufig zu weniger Gelesenem führe, auch wenn es nicht immer „das gute Buch“ ist, zu dem gegriffen wird – sondern via Verlinkungen oft von einem zum nächsten Artikel gesprungen wird.

Johannes Haupt, Chefredakteur von Lesen.net, führte einige Lesegeräte vor, doch die meiste Zeit diskutierte Christoph Bungartz mit seinen Gästen auf dem Podium.

Johannes Haupt erklärt elektrische Lesegeräte. Foto: Kixka Nebraska

Dass unsere Kinder und Enkel schon nicht mehr nachvollziehen können, was sich in Umzugsbücherkisten befindet, steht so gut wie fest, genauso wie die Nachricht, es gebe jetzt Telefone, die auch fotografieren können, einst Lachanfälle auslöste. („Wozu das denn?“) Podiumsgast Kathrin Passig wies schlüssig darauf hin, dass die Nützlichkeit einer Erfindung entscheidend dafür ist, ob sich die Mehrheit auf eine technische Errungenschaft einlässt und diese sich durchsetzt.

Klare Zweifel wurden an „Enhanced E-Books“ laut, die ähnlich wie DVDs um (zum Teil fragwürdiges) Bonusmaterial angereichert den Preis der digitalen Version gefühlt erträglich erscheinen lassen sollen. Im Allgemeinen ist es nach wie vor so, dass E-Books nicht sehr viel günstiger sind als die gedruckten Varianten – was von den Preis-sensiblen Käufern bisher mit Zurückhaltung an der Kasse registriert wird. Es gibt kostenlose Alternativen, die deutlich höhere Zugriffszahlen aufweisen. Hier vermuten einige die eigentliche Bremse beim Durchbruch von E-Readern in Deutschland. Der Buchpreisbindung wurde vom Podium keine längerfristige Chance eingeräumt.

Geteilt waren die Meinungen erwartungsgemäß beim Thema Beratungskompetenz BuchhändlerIn vs. Empfehlungs-Algorithmen. Freundliche Empathie gegen kühle Berechnung – entscheidend sind wohl die Erfahrungen, die jemand mit den Tipps macht, die dabei herauskommen. Wenn meine Buchempfehlungen bei Amazon auch nur annähernd so gut wären wie einige der Musik-Tipps, die ich bei last.fm bekomme, hätte ich damit kein Problem – auch wenn ich meine Buchhandlung um die Ecke immer noch sehr schätze und zurzeit auch noch viel Geld dort lasse.

Jürgen Neffe stellte mit dem Prototyp seiner Libroid-App dann auch noch „die Zukunft des Lesens“ vor. Entweder kann der Text konzentriert über den ganzen Bildschirm gelesen werden oder erweitert auf drei Spalten. Zusatzmaterial in jeder denkbaren Form – zum Beispiel Fotos, Töne, Links, ganze Bücher im Buch – wird dort eingebunden und kann parallel zum Text abgerufen werden. Erstaunlich, dass bei der Optik bisher kein Großverlag eingestiegen ist. So magazinig wie die App aufgemacht ist, würde sich das auch für Zeitschriften-Verlage sehr anbieten – der Aufwand allerdings ist hoch, die Herstellung ähnelt eher einer Filmproduktion als dem klassischen Textschreiben. Sehenswert ist der Trailer:

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Es ist noch längst nicht entschieden, welches Format sich unter den E-Book-Readern durchsetzen wird. Deswegen und weil die Vorstellung, noch ein weiteres Gerät mit mir herumzutragen, auch nicht sehr zusagt, werde ich die Entscheidung wohl bis auf Weiteres verschieben – und mich an meine noch nicht gelesenen Papierexemplare halten.

Update 10. Juni 2011: Zur Ergänzung der Rückblick der Körber-Stiftung auf „Elektrisch Lesen“ mit vielen O-Tönen des Abends.

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