Machtlosigkeit, Überforderung und der Wunsch nach mehr Transparenz

Kersten Artus, Agnieszka Krzeminska, Niels Boeing
Kersten Artus, Agnieszka Krzeminska, Niels Boeing (v.l.)
Foto: Felicitas von Stackelberg

„Brauchen wir mehr digitale Kompetenz in der Politik?“ Diese – doch wohl sehr rhetorische – Frage haben sich die Digital Media Women am Dienstag Abend gestellt. Mit der Vizepräsidentin der Hamburger Bürgerschaft, Kersten Artus (Die Linke) und Niels Boeing (Initiative „Wunschproduktion Rindermarkthalle“; Netzwerk „Recht-auf-Stadt“) wurden zwei besonders Internet-affine Diskutanten eingeladen. Schnell zeigte sich: Die rund 20 Teilnehmer – darunter auch ein paar Männer – hatten Spaß am Diskutieren. Moderatorin Agnieszka Krzeminska behielt den Überblick.

Auf bundesweite Themen, wie den Vergleich der Facebook-Accounts von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und des designierten SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrücks, hatte die Runde weniger Lust. Vielmehr ging es um die Homepage der Hamburger Bürgerschaft, die laut Artus zwar bald einen Relaunch erfahren soll – dieser beschränke sich aber eher auf formale denn inhaltliche Aspekte. Von der „Überforderung“ vieler Politiker mit sozialen Netzwerken und Neuen Medien berichtete Artus, von „fehlendem Wissen“ und einem Generationenproblem. Auf die Frage, ob denn jeder Einzelne Medienkompetenz besitzen müsse, sagte die Linken-Politikerin: „Nicht zwangsläufig, aber im Zweifel fehlt dann auch das Verständnis für gesellschaftliche Prozesse.“ Laut Artus gibt es Abgeordnete, die aus Angst „tagelang nicht an ihr E-Mail-Postfach gehen“.

angeregte Diskussion
angeregte Diskussion
Foto: Felicitas von Stackelberg

Aktivist Niels Boeing machte klar, wie wenig er von Facebook als politischer Plattform hält. „Facebook ist mal lustig, mal nervig, aber vernünftige Diskussionen können hier nicht geführt werden“, sagte Boeing. Er wünsche sich mehr Transparenz, vor allem bei Kauf- und Mietverträgen der Stadt mit privaten Investoren. „Ich will Verantwortliche klar benennen können“, forderte Boeing und will so Korruption und Hinterzimmer-Politik eindämmen. Ein Zuhörer widersprach: „Man kann Facebook nicht so einfach außer Acht lassen. Es schauen sich zu wenige all diese Micro-Blogs an. Man muss die Nutzer da abholen, wo sie sind.“

Eine Zuhörerin warnte vor „Schein-Partizipation“, bei der die Entscheider am Ende doch unter sich blieben. Ein anderer schlug vor, Bürger, etwa bei Streitthemen wie dem Bau neuer Windkraftanlagen, früher in Planungsprozesse einzubeziehen. So rege sich weniger Widerstand. Eine weitere Zuhörerin gab zu bedenken, dass es auch unangenehme Themen wie die Unterbringung von Sicherungsverwahrten, den Bau von Müllverbrennungsanlagen oder neuen Stromleitungen gebe, bei denen Bürgerbefragungen immer negativ ausgingen.

Boeing räumte am Ende der rund zweistündigen Diskussion ein, dass viele Initiativen ins Netz drängten, weil sie nicht oder nur schwer Zugang zu Massenmedien oder Politik fänden. „Das ist auch ein Zeichen von Machtlosigkeit“, so Boeing. Eine Zuhörerin sagte: „Der Politik könnte es bald so gehen wie der Kirche: Viele sind so abgeschreckt, dass sie nicht mehr hingehen.“


Die Digital Media Women sagen vielen Dank an Kersten Artus (die bereits ihr eigenes Fazit veröffentlichte) und Niels Boeing für die Ermöglichung dieses tollen Abends im Rathaus, auch an unsere Organisatorin und Moderatorin des Abends Agnieszka Krzeminska, desweiteren Danke an Felicitas von Stackelberg für die tollen Fotos und Julia Weigelt für die Zusammenfassung in diesem Blogbeitrag. Außerdem danke an alle, die teilgenommen und sich so lebhaft in die Diskussion eingebracht haben.

Gesamte Runde
Foto: Felicitas von Stackelberg

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