Abschließende Gedanken zum Medienforum.NRW

Peter Kruse hätte die Hände überm Kopf zusammengeschlagen bei so mancher Diskussion auf dem Medienforum.NRW in Köln diese Woche. Eine Studie des Bremer Neurologen und Trendforschers zeigte im vergangenen Jahr – in einer Nussschale -, dass Diskussionen über das Internet, die klassischen Online-vs.-Print-Reibereien sowie die Empörung, mit der die Beteiligten einander begegnen, im Grunde sinnlos und aussichtslos sind. Angewandt auf die Podien beim Medienforum interpretiere ich Kruses Thesen so: Auch wenn wir dasselbe wollen – unsere Medien in die Zukunft führen und weiterhin Geld mit ihnen verdienen – reden wir aneinander vorbei, was mit den unterschiedlichen Wertesystemen zusammenhängt, denen wir uns zugehörig fühlen. (Kruses sehenswerten re:publica-Vortrag hier ansehen.)

Interneterklärstunde mit Tim Renner (links, neben Margot Käßmann und Moderator Werner Lauff) beim Medienforum.NRW (Foto: Carolin Neumann)
Interneterklärstunde mit Tim Renner (links, neben Margot Käßmann und Moderator Werner Lauff) beim Medienforum.NRW (Foto: Carolin Neumann)

Dass die Entwicklung der deutschen Medienbranche stillzustehen scheint, ist damit alleine sicherlich nicht zu erklären. Existenz- und Zukunftsängste, Statuspanik und Bequemlichkeit spielen mit in den Mix, der sich auch auf dem Medienforum.NRW spiegelt und es zu weiten Teilen zu einer geradezu anachronistischen Veranstaltung machte. Eine Veranstaltung, die – so habe ich mir von langjährigen Besuchern sagen lassen – nach demselben Muster seit Jahren abläuft. Vergleichbar wohl mit der jährlichen Tagung des Netzwerk Recherche, die ich nicht nur 2010 als „Analogkonferenz“ resümierte und gedanklich auch für dieses Jahr (genauer: nächste Woche Freitag und Samstag) bereits in dieser Kategorie abgelegt habe.

Mit dem kategorischen Denken allerdings sollte man vorsichtig sein, vor allem auf Konferenzen wie dieser. Sie bringen die Branche nicht weiter, sondern fördern, im Gegenteil, nur eine Abschottung der „Internetgemeinde“, wie aktuell Sascha Lobo in seiner aktuellen Spiegel-Online-Kolumne diagnostiziert. Wenn man nur mal kurz einen Schritt zurücktritt, sein eigenes Verhalten in Augenschein nimmt und die Diskussionen zwischen sogenannten „Onlinern“ und „Offlinern“ von außen betrachtet, sollte dies klar werden. Wenn zum Beispiel Interneterklärer Musikunternehmer Tim Renner auf dem Podium Zeitungsfan (und „Frau des Tages“) Margot Käßmann die Mechanismen und Vorzüge des Webs erklärt oder Sätze wie „dieser Zuckermann von Facebook“ fallen, schmunzel ich als Mitglied dieser (begrifflich schwierigen) „Internetgemeinde“ zwar. Doch nach einem Moment des Amüsements erkenne ich oder sollte ich erkennen: Was bringt es, zu lachen, hinter vorgehaltener Hand gegen „die anderen“ zu wettern oder – wie Richard Gutjahr mit seinen überzogen als „Eklat“ bezeichneten Worten – derart scharf und offen zu schießen gegen die, mit denen man die Zukunft gemeinsam gestalten sollte?

Für diese Erkenntnis braucht man wie gesagt nur für einen Moment in die Perspektive des neutralen Beobachters zu treten. Es sollte nicht Belehrungen wie Lobos Kolumne bedürfen oder Martina Pickhardts kurz zuvor erschienene Diagnose anlässlich des Medienforums. „Picki“ beschreibt die Deutschen als ein Volk der Berater, die kritisieren, aber nicht selber gestalten, und nennt die Entscheider auf Medienkongressen wie diesem „Nullmacher“. Tatsächlich betrachtet sie die ganze Situation übrigens nicht ganz so resignierend, wie sich ihr Blogpost vielleicht liest; das zeigt sich in den Kommentaren im kurzen Schlagabtausch mit Jens Best, der nach der Lobo’schen Logik ein sehr aktives Mitglieder der Fingerzeig-Gemeinde ist.

„Zeit, dass sich was dreht“ vs. „I’m still standing!“

Weder von den deutschen Verlegern noch von den Internetmachern war auf dem Medienforum.NRW viel zu erwarten, Neues erst recht nicht – sofern nicht das Aufwärmen und Wiederkäuen jahrealter Konflikte als solches zählt oder man davon ausgeht, dass Verleger nicht über den Teich auf den US-Markt gucken, wo zum Beispiel bereits munter mit neuen Finanzierungsmodellen des digitalen Journalismus experimentiert wird. Auch auf der technischen Seite, wenn es zum Beispiel um Apps ging oder das Verschmelzen von Internet und Fernsehen, hat mich persönlich das Programm des Medienforums nicht vom Hocker gehauen.

Kämpferin für Medienfreiheit: Dunja Mijatovic (Foto: Uwe Voelkner / Fotoagentur FOX)
Kämpferin für Medienfreiheit: Dunja Mijatovic (Foto: Uwe Voelkner / Fotoagentur FOX)

Viel spannender waren ohnehin die Themen, die nicht schon auf jedem Branchentreff durchgekaut oder gar in der Hamburger Digitalszene, in der ich unterwegs bin, von der anderen Perspektive aus zur Genüge auseinander genommen wurden. Themen vom Kaliber wie die Ausführungen der Aktivistin Esra’a Al Shafei oder am zweiten Tag die Veranstaltung zur Entmachtung von Medien in anderen Ländern. Auf dem Panel (auf dem auch Esra erneut saß, deswegen gibt es keine Fotos) ging es um Gewichtiges wie das Mediengesetz in Ungarn, das nach Worten des Zeitungschefs Kàroly T. Vörös viele potentiell kritische Stimmen hat verstummen lassen, oder die harte diplomatische Arbeit von Dunja Mijatovic, der OSZE-Beauftragten für Medienfreiheit.

Schließlich beantwortet Ulrike Kaiser vom Deutschen Journalistenverband DJV in diesem Rahmen auch die Frage, die mich seit Esras Erzählungen am ersten Kongresstag beschäftigt hatte: Weil die Situation in anderen Ländern, etwa bei Pressefreiheit und Menschenrechten, so schlimm ist – sollen wir Deutschen uns „zurücklehnen“ angesichts unserer plötzlich so banal wirkenden Probleme?

Nein, schließt Kaiser, was wohl auch mein irgendwie unbefriedigendes, aber dennoch treffliches Fazit der diversen Gespräche und Diskussionen zum Thema bleiben muss. Es sind diese Bereiche, die das Medienforum.NRW trotz mancher festgefahrener Diskussion spannend machten. Einblicke in Länder wie Bahrain, die uns bis vor Kurzem noch völlig fremd waren, den europäischen Osten, wo so nah und unter wachsamen EU-Augen etwas im Argen ist, oder die digital initiierten Umwälzungen in Island. Hardcore-Brancheninhalte verblassten – zumindest für mich – zwischen diesen Angeboten.

Einer der sympathischsten Vorträge: von @zdfonline-Twitterer Ralph Sondermann (Foto: Ralph Sondermann)
Einer der sympathischsten Vorträge: von @zdfonline-Twitterer Michael Umlandt (Foto: Ralph Sondermann)

Kaisers „Nein“ beschreibt, warum das Medienforum.NRW und andere Konferenzen gleichen Kalibers auch die „Elefantenrunden“ mit ihren ewig selben Diskussionen, womöglich sogar das gegenseitige Bashing von „Onlinern“ und „Offlinern“ bis zu einem gewissen Grad braucht: Es muss weiter diskutiert werden. Auch wenn es festgefahren scheint – das eine Panel könnte kommen, bei dem dann tatsächlich mal etwas Bahnbrechendes passiert oder angeschoben wird. In meinen Jahren an Konferenzerfahrung habe ich das noch nicht erlebt, und über eine Revolution wird auch sicher nicht im Scheinwerferlicht vor laufender Kamera entschieden werden. Doch ich bleibe (hoffnungslos) optimistisch: Nur das Reden bringt uns weiter! Dass sich dazu erst die Einstellung zueinander, ganz im Sinne von Lobo und Pickhardt, ändern muss, ist klar. Wann und wie das passieren kann, da driftet mein Optimismus dann doch gelegentlich auf die andere Seite.

Doch: Wenn „wir“ – im Sinne zum Beispiel von Print- und Online-Medienmachern oder den Vertretern öffentlich-rechtlicher und privater Fernsehanstalten – uns nicht in einem solchen Rahmen treffen, wo/wann/wie denn dann? Mehrmals hörte ich auf dem Medienforum.NRW, dass hier Programmmacher einander beschnuppern, die sich sonst aus ihren Glaspalästen aus der Ferne kritisch beäugt hätten. Hier können Verleger beweisen, dass Vorwürfe wie die von Richard Gutjahr möglicherweise haltlos sind, und gleichzeitig in Bereiche der digitalen Welt hereinschnuppern (zu sehr guten Aspekten aus diesem Themenbereich: mehr auf „Was mit Medien“). So ein Kongress ist sicherlich immer ein großer Marktplatz der medialen Eitelkeiten. Aber verschwendete Zeit sieht anders aus!


Wer sonst noch so beim Medienforum.NRW war:

  • ein Professor, der seine facebookenden Studenten doof findet,
  • NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, die für Werbefreiheit bei den Öffentlich-Rechtlichen trommelte,
  • Vertreter der TV-Branche, die über Video-on-Demand rätselten
  • und Richard Gutjahr, der nach seinem umstrittenen Auftritt dem Droid Boy Podcast ein Interview gab.

Ähnliche Beiträge

Interview

Vielfalt, Innovation und Verantwortung: Wie das Filmfest Hamburg und die Explorer Konferenz neue Maßstäbe setzen – Malika Rabahallah und Linda Dudacy im Interview

Malika Rabahallah und Linda Dudacy prägen das diesjährige FILMFEST HAMBURG und die Explorer Konferenz mit frischen Perspektiven und innovativen Ansätzen. Im Interview sprechen sie über ihre Zusammenarbeit, die Herausforderungen und Chancen der Filmbranche und darüber, wie wichtig es ist, diverse Stimmen zu fördern und nachhaltige Strukturen zu schaffen.

Weiterlesen »