Re:publica Tag 2: Da werden Sie vermessen, ausgewertet und geholfen

Die Sonne war heute nicht zu sehen und das Wetter keine Entschuldigung, Sessions zu verpassen. Dafür gab es andere Gründe ;). Einigen steckte wohl noch die Wooga-Party von gestern Abend in den Knochen, was wohl auch die langen Schlangen an der Café-Bar erklärt.

Die Digital Media Women gingen mit gutem Beispiel voran und vom nächtlichen mehr oder weniger nahtlos ins morgendliche Netzwerken über. Mit den Berlin Geekettes trafen wir uns zum gemeinsamen Frühstück im Wirtshaus am Ufer – WAU. Man munkelt, es wurden bereits Nägel mit Köpfen gemacht, was die Ausbreitung der Digital Media Women in Deutschland angeht.

Foto: Inken Meyer

Auch in der Station wurde zeitgleich in die nahe Zukunft geschaut:

1) Gentechnik für alle

The Future of Genetics war meine erste Session heute. Die Entschlüsselung des Genoms ist mittlerweile kein so großer Akt mehr und wird von einigen Unternehmen schon ab 200 Dollar angeboten. Neue Techniken wie der MinION USB-Stick, der DNA-Stränge entschlüsseln kann, werden die Verfügbarkeit noch erweitern. Für die Früherkennung von Krankheiten und die Erforschung von neuen Behandlungsweisen hat die vereinfachte Technik natürlich Vorteile, allerdings stellt sich natürlich die Frage, wie mit den gewonnenen Daten umgegangen wird und wem sie gehören. Ein Horrorszenario wären beispielsweise verpflichtende Gentests für Arbeitgeber oder Krankenversicherungen.

2) Telekom hilft – eine Plattform für alle(s)

Etwas weniger wissenschaftlich, dafür markenorientierter ging es in der überfüllten Session von „Telekom hilft“ weiter. Das Team der Telekom stellte die Betaversion einer neuen Feedback-Community vor, die sämtliche Kundenservicebelange aus Social Media Quellen auf einer Plattform bündeln soll. Usern werden bei Eingabe von Fragen oder Feedback dort sofort bereits vorhandene und gelöste Fälle angezeigt. Im Projekt Backstage werden engagierten Nutzern der Community Anreize wie Tests von neuen Endgeräten wie dem Windows Phone Lumia geboten.

Bild: Malte Mertz

Die Anbindung der Plattform an Facebook passiert über eine Feedback-App, die auf allen Telekom-Facebookseiten zu finden sein wird.

Damit geht die Telekom nicht nur einen Schritt in Richtung sinnvoller Bündelung von Wissen und Kanälen auf einer Plattform, sondern emanzipiert sich und seinen Kundenservice auch bewusst von Facebook – was für mittelständische Unternehmen noch länger schwierig bleiben wird. Wer gerne eine Blick auf die Betaversion werfen will, kann sich auf preview.telekom-hilft.de anmelden.

Foto: Malte Mertz

3) Netzpolitik für alle

Markus Beckedahl vergaß fast zu atmen in seinem enthusiastischen Vortrag „Digitale Gesellschaft e. V.: Was war. Was werden wird.“ Endlich mal ein Vortrag, in dem vom re:publica-Motto „Act!on“ etwas zu hören, spüren und sehen war!

Die digitale Gesellschaft hat mittlerweile 30 ehrenamtliche Mitglieder und will Interessensvertretung und Kampagnenplattform sein. Beckedahl zeigte viele praktische Beispiele der Arbeit des Vereins aus dem letzten Jahr – Demomaterialien, Videos zu Themen wie ACTA und Vorratsdatenspeicherung, Petitionen und Initiativen wie „Echtes Netz“ oder „Kontaktiere deinen EU-Abgeordneten“.

Eine besonders schöne Aktion stellte die stellvertretende Vorsitzende der digitalen Gesellschaft, Lavinia Steiner, vor: Per „Adoptier Deinen Abgeordneten“ ruft der Verein dazu auf, einen Abgeordneten auszuwählen und ihn jeweils vor anstehenden Entscheidungen zu gewissen Themen aufzuklären.

In der Feedbackrunde wurde Markus Beckedahl gefragt, warum bisher nur auf dringliche Anliegen reagiert werde, anstatt aktiv Agendasetting zu betreiben. Beckedahls Antwort: „Leider ist der netzpolitische Diskurs im Moment noch ein Abwehrkampf“.

4) Fernsehen für die Tonne

Mit dem Fernsehen klappte es nicht so gut heute. Die Tweets aus der Social-TV-Session zeigten, dass die re:publica Besucher vieles verzeihen, nur nicht Eigenwerbung.

Die Session „Uebermorgen.TV“ von Sixtus mit Mercedes Bunz, Christoph Kappes und Christian Heller im Panel klang zwar vielversprechend, blieb inhaltlich aber mau. Zugegeben: Die kleinen Videos mit Science-Fiction-Szenarien von Sixtus waren gewohnt großartig – aber die Diskussion zu Themen wie Klout und Reputationsökonomie sowie die Auflösung von Nationalidentitäten in Richtung digitalkultureller Identitäten am lustigen Beispiel „Internet Tribes“ blieb vage und wenig erleuchtend. Vielleicht sind die re:publica-Besucher aber einfach irrsinnig abgebrüht in Sachen Zukunft. Richtige Diskussions-Act!on kam jedenfalls nicht auf.

5) Daten für alle

Vielleicht liegt es auch daran, dass es schon bei aktuellen Entwicklungen genug zu diskutieren gibt – da muss man gar nicht in die Zukunft schauen. Die Bühne 7 stand heute im Zeichen der „Quantified Self“-Bewegung. Florian Schumacher, der die deutsche QS-Community aufbaut, erklärte in seiner Session, worum es grundsätzlich geht.

„Was kann ich lernen, indem ich mich selbst beobachte?“

Diese Frage stellen sich QS-Anhänger in über 50 Städten weltweit und tracken sich selbst – das heißt, sie sammeln Daten von sich selbst auf jede mögliche Art und Weise, mit dem Ziel der Selbstoptimierung.

Projekt von Carlotta Richter zum Thema Quantified Self, Studio Class New Media, Universität der Künste. Foto: Kathrin Kaufmann

Häufig werden die Schlafqualität, der Blutdruck, der Puls oder die Schritteanzahl über Sensoren gemessen, aber möglich ist alles, auch simples Tagebuchschreiben. Das Smartphone ist dabei ein wesentlicher Faktor. So werden beispielsweise Blutdruckmessgeräte mit Andockmöglichkeit ans iPhone angeboten. Populär sind auch Angebote wie Nikes „Fuel Band“.
Sämtliche Daten werden nicht nur gesammelt, sondern natürlich auch ausgewertet – und in diesem Prozess auch oft veröffentlicht. Dass Datenschützer davon Alpträume bekommen, liegt auf der Hand. Warum sollten wir unsere intimsten Gesundheitsdaten irgendwelchen Anwendungen und Plattformen – anonymisiert oder nicht – zur Verfügung stellen?

Zum Beispiel, weil die wirksamsten Mittel gegen bestimmte Beschwerden oder Krankheiten gefunden werden können. Jede Quantified-Self-Gruppe ist quasi auch eine Probandengruppe.

Die Modalitäten der Datennutzung und vor allem die Frage, wem die erhobenen Daten schlussendlich gehören, bleiben aber Felder, in denen die QS-Bewegung noch einigen Diskussionsbedarf hat.

Kora Kimpel brachte es in ihrem Vortrag gut auf den Punkt:

Selbstvermessung ja, aber mit eigenen Tools und nicht als Lifestyle sondern mit echter Motivation zur Selbsthilfe.

Nach all dem Ernst freue ich mich auf einen lustigen Abschluss des Abends bei Royal Revue III.

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