Verbinden, Handeln, Verändern: Was wir von der TEDxHamburg lernen können

TEDx Hamburg
Foto: Inken Meyer (@meyola)

„Jeder kann einen Beitrag leisten. Für ein besseres Leben. Für eine bessere Welt. Für ein besseres Miteinander.“

Diese Aussage von UN-Flüchtlingshelfer Kilian Kleinschmidt, der das größte Camp für syrische Flüchtlinge in Jordanien leitet, mag wie eine banale Floskel klingen. Aber: Sie ist die Quintessenz all der tollen Ideen, die die aufregenden Speakerinnen und Speaker am 1. April auf der TEDxHamburg in die Köpfe und Herzen des Publikums gepflanzt haben.

Das diesjährige Thema der TEDx-Konferenzreihe (T=Technology, E=Entertainment und D=Design), bei dem die Digital Media Women Medienpartner sein durften, lautete „Urban Connectors“ und zeichnete ein vielseitiges Bild bestehender innovativer Projekte und inspirierender Ideen, die durch einen Faktor zum Leben erweckt werden: den Connector. Die Person, die die Fäden zusammenhält, aus einem Gedanken ein Projekt macht und Menschen findet, die ihn/sie dabei unterstützen, es umzusetzen. Und das kann jeder von uns sein …

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Die 14 Vorträge (sechs davon von Speakerinnen, woohoo!) zeigten ein breites Spektrum dessen, was im 21. Jahrhundert möglich ist: technisch, menschlich, städtebaulich. Katina Sostmann geht zum Beispiel als Expertin für Industrial Design und Visual Communication über Grenzen und entwickelte ein Kommunikationssystem über kleine Radiosender für Krisenregionen. Schascha Haselmayer, CEO bei Citymart.com, entwirft gemeinsam mit Städten Ideen, um das Leben der Menschen einfacher zu machen (zum Beispiel Navigationsgeräte für Blinde) und die weltweiten Ausgaben von 4,5 Billionen US-Dollar von Kommunen sinnvoll zu nutzen. Und Erine Gray verzweifelte an der Krankheit seiner Mutter und der fehlenden Übersicht über die Fülle an staatlichen und vor allem privaten Hilfsprogrammen. Kurzerhand schuf er die lokale Websuche Aunt Bertha, die es US-Amerikanern ermöglicht, unkompliziert  Dienstleistungen im Gesundheits-, Sozial- und Wohnbereich zu finden – und ebenso einfach zu beantragen.

All diese Projekte sind beeindruckend. Sie werfen Fragen auf, auf die wir noch keine Antworten haben, und bieten scheinbar einfache Lösungen für Fragen, deren Antworten wir längst dachten zu kennen. Was sie uns auch zeigen: Wir müssen Dinge verändern, uns verändern, handeln, uns zusammenschließen. Die Vorträge, die mir persönlich nachhaltig im Kopf geblieben sind, sollen hier den Platz bekommen, den sie verdienen. Und auch euch zum Nachdenken anregen.

Heart Power // Be Kinder

„Any idea can inspire thousands“ – und wenn Tausende an eine Idee glauben, so hat diese Macht. Die sogenannte „heart power“ ist das Leitthema von Paul Hilder, dem Vizepresidenten für globale Kampagnen bei der weltweit größten Petitionsplattform Change.org. Früher waren es Gandhi, Martin Luther oder die Bezwinger der Berliner Mauer, die einen Wandel herbeigeführt haben. Heute sind es Tausende Menschen, die sich online miteinander verbinden, um Dinge zu verändern und Einfluss auf die Politik zu nehmen. Hilders ergreifende Geschichten einer Mutter aus Madrid, die ihre Tochter bei einer Massenpanik verlor, von Frauenrechtlerinnen in Indien oder von Anke Bastrop, die mit ihrer „Hebammen-Debatte“ das deutsche Medizinwesen aufrüttelte, zeigen, wie das neue Machtgefüge des 21. Jahrhunderts aussieht: Bottom-Up statt Top-Down. A swarming change.

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Ebenso beeindruckend war der Vortrag von Jennifer Wood, Historikerin und Pädagogin, die sich auf die Geschehnisse im Konzentrationscamp Dachau spezialisiert hat und sich auf der Plattform VisitMemorials mit anderen Interessierten und Betroffenen austauscht. Was dies mit urbanem Stadtleben zu tun hat? Menschlichkeit! „It’s connecting people by history.“ In beeindruckenden Worten erzählt sie von ihrem Brief, den Miep Gies, die „Retterin von Anne Frank“, ihr einst schickte. Es ist ein Stück lebendige Geschichte, das Wood nicht mehr losließ. Woods Engagement für Hinterbliebene und junge Menschen, die sich vor Ort informieren und lernen wollen, beweist, dass es sich lohnt, sich jeden Tag zu erinnern und zu fragen „What can I do? What does kindness look like? How can we cultivate it?“. Ihre simple, aber wirkungsvolle Antwort: Be kinder. Sei freundlicher. Denn wo Freundlichkeit und Güte herrschen, entsteht kein Krieg, keine Zerstörung, keine Würdelosigkeit.

The Power of the Stranger // Crowdfund my life

Katherine Zeserson
Katherine Zeserson: Connecting people with music.
Foto: Inken Meyer (@meyola)

„Music is the context to educate because young people achive extraordinary things through music.“ Katherine Zeserson hat eine wohltuende Sicht auf die Welt und unser Zusammenleben. Dank ihrer Arbeit als Musikerin, Pädagogin und Organisatorin von Musik-Events (Sage Gateshead) bringt sie einmal im Jahr Menschen aus Gateshead/England mit Kindern aus São Paulo/Brasilien zusammen. Es geht dabei nicht nur um Musik, sondern um das gegenseitige Lernen. Das Kennenlernen. Und zwar als Fremde. Denn, so ihr Ansatz: „A stranger is the perfect kind mirror to yourself. It’s about reflected feedback.“ Gemeinsam mit ihren Kursteilnehmern musiziert sie und führt Tagebücher, in dem jeder persönlich festhält „What have I learned? What did inspire me? What has been challenging or surprising?“ Es geht darum, mit offenen Augen Menschen und Dinge anzunehmen. Nicht davon auszugehen, dass man bereits alles weiß. Und sich immer wieder darauf zu besinnen: „I’m a learner, too. I do learn everyday from what people tell me.“ Nur so entwickeln wir uns weiter.

Ein Baby auf der Bühne? Wow, das hab ich auch noch nie gesehen. Ruhig schlummert es in seinem Tragetuch, während Papa Van Bo Le-Mentzel das Publikum mit der Frage aufrüttelt „What would you do if you’ve got one year off?“. Tuscheln, Verwunderung, Ideen fliegen durchs Publikum. Le-Mentzel hat die Frage für sich längst beantwortet und seine Zeit genutzt: Als „Karma-Ökonom“, Architekt und Open-Source-Designer entwirft er Hartz-IV-Möbel und treibt die „Build more buy less“-Bewegung voran.

Van Bo Le-Mentzel
Van Bo Le-Mentzel: Crowdfund your life.
Foto: Inken Meyer (@meyola)

Sein Konzept klingt einfach: Crowdfund your life. Er sucht Menschen, die an seine Idee glauben und über sogenannte D-Scholarships Geld spenden. Und ihm und allen anderen, die es versuchen, so den notwendigen Freiraum geben, Projekte anzupacken und umzusetzen. „People would work more efficiently, more creatively and more innovatively, if you free them from any constraints.“ Sein inneres Genie kam an die Oberfläche, als er ihm Zeit gab. Und Freiraum. Wir lernen: Weniger Stress und weniger Jagd auf Materielles können Schönes entstehen lassen, „because the genius doesn’t like pressure. And it doesn’t like money.“

Made in Africa // Harvest for the City

Geraldine de Bastion ist ein Feuerwerk an Inspiration, zumindest für mich als Digital Media Woman. Denn sie ist alles drei ein einem – und das mit Erfolg. Mit der Initiative Digitale Gesellschaft e.V. kämpft sie für mehr Bürgerrechte und Datenschutz im Internet. Als Beraterin mit ihrem eigenen Büro für Bildung und Entwicklung (Konnektiv GbR) arbeitet sie eng mit Bloggern und Aktivisten auf der ganzen Welt zusammen. In ihrem Vortrag wirft sie die Frage auf „What do you know about Africa?“. Gängige Klischees erwachen im Kopf (Safari, Farben, Hölzer). Woran wir alle nicht denken, sind die iHubs, kreative Zentren für Designer, Programmierer und Freie aus der Technologiebranche in Kenia, die einen spannenden Gegenpol zur schicken Innovationsinsel Silicon Valley bilden.

Geraldine de Bastion
Geraldine de Bastion: Made in Africa
Foto: Inken Meyer (@meyola)

Hier entstand das Open-Source-Projekt Ushahidi, das von Afrika aus einen Siegeszug in die Welt antrat, um zum Beispiel in Krisen (Tsunami in Japan, Erdbeben in Haiti) lokale Informationen als Crowdmap zu sammeln und zu veröffentlichen. Oder BRCK, ein robuster Internetrouter mit Back-Up-System, der den harten Ansprüchen eines Lebens im afrikanischen Hinterland gerecht wird und somit die Bedürfnisse der Menschen erfüllt, nicht die der Investoren („If it works in Africa, it works everywhere“). Oder M-Pesa, ein Mobiltelefon-getriebenes Bezahlsystem, das überall in Afrika das Bezahlen oder Transferieren von Geld möglich macht. Aber nicht am Bankautomaten, sondern direkt am Telefon. Das System funktioniert so gut, dass Vodafone vor wenigen Tagen bekannt gab, es in ländlichen Gebieten Europa zum Einsatz bringen zu wollen. Was Geraldine uns am Ende mitgibt: „When it comes to Africa: Stop helping, start investing!“

Anja Fiedlers Thema dreht sich um den wesentlichsten Bestandteil unseres Daseins: Essen. Denn: „Food is the main source of wellbeing and happiness.“ Mit ihrem Projekt Stadt macht Satt bringt sie die alte Tradition der Selbstversorgung zurück ins Großstadtleben. Obst und Gemüse anbauen, Kräuter wachsen lassen, Essen sinnvoll nutzen, statt es zu verschwenden. Es klingt so leicht und doch werden täglich 50 Prozent der Lebensmittel nicht gegessen, geschweige denn verkauft. Das macht einen traurig. Ein Augenöffner: Die Verordnung für das Aussehen von Äpfeln in Europa. Sie umfasst 18 Seiten! Puh. Das schlägt auf den Magen. Aber Anja macht Mut: Mit Kindergartenkindern entwirft sie kleine Gärten, die an Bauzäune gehängt werden. Sie klärt auf über Lebensmittelverschwendung und lehrt Jugendliche in mehrwöchigen Projekten einen nachhaltigen und sinnvollen Umgang mit Nahrung. Ihr Appell an alle: „Eat regional. Eat saisonal. Because three times a day you have the chance to do something good for you. And for a better life.“

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Was vom Tage übrig blieb // Der Nachschlag

Was für tolle Speakerinnen und Speaker, was für eine Veranstaltung. Wow. Ein Trommelwirbel-Lob an die Organisatoren! Alle, die nicht dabei waren, können sich einen kleinen Eindruck in der DMW-Bildergalerie auf Facebook abholen. Der Kopf wabert vor Ideen, vor Inspirationen, vor Offenheit. Die Füße wippen noch immer von der absolut ansteckenden Performance von Tanga Elekra, zwei Brüdern, die mit Loopstation, Geige und Drums unglaubliche Reggea- und Funksounds aufbauen. Die Hände wollen anpacken, Dinge verändern, neue Menschen kennenlernen und gemeinsam Neues schaffen.

Und: Ein Zitat wird mich persönlich ab heute begleiten; schreibe und beschäftige ich mich doch täglich 25 Stunden mit Musik: „To write about music is like dancing about architecture“ (Elvis Costello). Vielleicht sollte ich Kurse entwickeln, damit Kinder überall auf der Welt lernen, über Musik zu schreiben und Gefühle auszudrücken. Fragt mich nächstes Jahr, ob es geklappt hat 🙂

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