Vom 6. bis zum 17. März fand die 67. Sitzung der Frauenrechtskommission der Vereinten Nationen in New York statt. Maren Heltsche, die sich bei den #DMW für politische Themen und Interessenvertretung einsetzt, war als Mitglied der deutschen Regierungsdelegation dabei. Ihre wichtigsten Eindrücke hat sie hier aufgeschrieben.
Größer kann die Schere kaum sein: die höchste internationale politische Organisation und feministische Grassroot-Tech-Aktivist*innen. Auf der Sitzung der UN-Frauenrechtskommission (FRK) Anfang März trafen diese Welten aufeinander. Das Hauptthema und Ziel der mittlerweile schon 67. FRK: Innovation und technologischer Wandel sowie Bildung im digitalen Zeitalter gestalten, um Geschlechtergleichstellung und die Stärkung aller Frauen und Mädchen zu erreichen (Hintergründe zur Institution und zur Veranstaltung).
Zusammen mit anderen Vertreter*innen der deutschen Zivilgesellschaft reiste ich als Teil der deutschen Regierungsdelegation für eine Woche in New York, um hier die Digital Media Women zu vertreten.In diesem Insta-Live habe ich zwischendurch einen Einblick über meine Zeit dort gegeben. Mit ein wenig Abstand hier meine wichtigsten Eindrücke:
1. Es gibt so viel zu lernen!
Auch wenn ich mich schon länger mit den Themen Feminismus, Digitale Transformation und Privilegien auseinandersetze, habe ich durch die Begegnungen mit Politiker*innen und Aktivist*innen aus der ganzen Welt viele neue Erkenntnisse gewonnen. Manche Sachverhalte, die mir zwar theoretisch bekannt waren, sind mir jetzt viel klarer, weil sie mit Beispielen aus realen Lebenswelten unterfüttert wurden. So habe ich in Gesprächen mit Frauenrechtlerinnen aus Ländern mit repressiven Regimen noch einmal sehr viel besser verstanden, dass Datenschutz und digitale Sicherheit in einen überlebenswichtigen Stellenwert haben können. Oder dass Mädchen in einigen Ländern und Regionen noch nicht einmal in Geburtenregister eingetragen werden, sodass es vielerorts erst einmal um grundsätzliche Rechte für Frauen und Mädchen geht.
2. Networking in a Bubble
Das Networking im Kontext der Veranstaltung war wahnsinnig intensiv – jedenfalls fühlte es sich für mich sehr viel intensiver an als sonst. Die meisten Menschen, die ich während der FRK getroffen habe, sind eigens für die Veranstaltung angereist. Man verbringt viel Zeit zusammen und läuft sich immer wieder über den Weg. Meinen normalen Alltag habe ich irgendwo zurückgelassen, anderen geht es ähnlich. Das Ganze wird natürlich verstärkt durch die gemeinsamen Anliegen – die Themen, aber auch die Orientierung in einer für viele unbekannten Umgebung schweißen zusammen.
Außerdem sind viele Politiker*innen vor Ort, die sich zum Thema austauschen möchten. Dadurch entstehen viele Möglichkeiten, mit politisch Engagierten in Kontakt zu treten, für die es sonst viel Zeit der Kontaktaufnahme und Terminfindung braucht. So war ich zum Beispiel gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Vertreterinnen zu einem Treffen mit dem Ausschuss für die Rechte der Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter des EU-Parlamentes eingeladen, um Positionen und Anliegen zum Thema vorzutragen.
3. Politik ist langsam
Netzpolitische Aktivist*innen machen sich seit vielen Jahrzehnten Gedanken über digitale Entwicklungen und ihre Auswirkungen auf gesellschaftliches Zusammenleben. Zunehmend beschäftigen sich in den letzten Jahren auch andere zivilgesellschaftliche Organisationen aus vielfältigen Bereichen mit den Auswirkungen der Digitalen Transformation auf ihr Arbeitsgebiet, wie Gesundheit, Gewalt gegen Frauen, Arbeit. Die Politik, so mein Eindruck, hängt an vielen Stellen hinterher und scheint in ihren Strukturen überfordert zu sein, ein Querschnittsthema wie Digitalisierung zeitnah, proaktiv und wirksam anzugehen. Das mag den üblichen Prozessen der partizipativen Demokratie entsprechen, passt aber nicht zu der Dringlichkeit, mit denen die Fragen der Digitalen Transformation angegangen werden müssten.
Diese Erkenntnis steigert zwar einerseits meine Ungeduld, gleichzeitig auch meine Demut vor dem, was diese demokratischen Prozesse auch leisten. Auf UN-Ebene: nicht weniger als einen Minimalkonsens zwischen mehr als 190 Staaten herzustellen. In einem morgendlichen Briefing innerhalb der Regierungsdelegation beschrieb eine Person die Situation sinngemäß so: Stellt euch ein System aus vielen Rädern und Rädchen vor. Wir tun alles, damit sich das System in die richtige Richtung bewegt und jede kleine Drehung jedes kleinen Rädchens ist ein Fortschritt.
4. Wortklauberei oder diplomatische Verhandlungen?
Kommunikation auf UN-Ebene war für mich sehr gewöhnungsbedürftig. Alles ist streng reglementiert und vorbereitet. Es gibt kaum freies Sprechen, keine spontanen Diskussionen.
Die Beiträge im offiziellen Programm klangen in meinen Ohren wie Wiederholungen der immer gleichen oder ähnliche Positionen mit leicht abgewandelten Begriffen. Als ich meine Irritation darüber ansprach, habe ich gelernt: das muss so. Und: Die Äußerungen scheinen nur alle gleich, sind es aber nicht. Wenn sie dann doch einmal übereinstimmen, ist das eine wichtige Botschaft, wenn sie leicht abweichen aber eben auch. In diese Feinheiten muss man sich erstmal reinhören.
Inhaltliche Abwechslung boten die Parallel- und Side-Events. Hier haben NGOs und nationalstaatliche Institutionen, wie beispielsweise der Deutsche Frauenrat mit dem deutschen Entwicklungsministerium, am Rande des offiziellen Programms der FRK eigene Events veranstaltet. In diesen Veranstaltungen hatten Aktivist*innen aus aller Welt Raum, um über ihre Arbeit, ihre Herausforderungen und ihre Perspektiven auf Geschlechtergerechtigkeit bzw. Diversität im Kontext von Digitaler Transformation zu sprechen.
5. Brauchen wir ein anderes Netz?
Im Hauptprogramm einigte man sich, den Digital Gender Gap schließen zu wollen: Frauen sollen gleichermaßen Zugang und Jobs in der digitalen Sphäre bekommen. Progressivere Aktivist*innen fragen indessen: Warum wollen wir Frauen einen besseren Zugang zu einer digitalen Welt geben, in der schlecht mit ihnen umgegangen wird? Wessen Agenda, welche Art von Wissen bestimmen, wie die digitale Welt aufgebaut ist und funktioniert? Haben wir die relevanten Gruppen eingeladen, daran teilzuhaben? Sind ihre Visionen und Perspektiven Teil von Entscheidungen? Über wessen Wahrheit sprechen wir? Sie fordern ein anderes, ein feministisches und dekolonisiertes Internet und Feminist Tech. Ein Konzept, für das es noch keine feste Definition gibt, das aber genau diese Fragen stellt. Mehr dazu beispielsweise hier bei Superrr, einem feministischen Berliner Digital-Think Tank: Superrr oder feministinternet.org.
6. Darum brauchen wir feministische Advocacy-Arbeit
Wie soll „dieses“ andere Netz aussehen? Wie wollen wir die Digitale Transformation gestalten, sodass sie uns als Gesellschaft nutzt und nicht schadet? Diese Fragen sind nicht trivial, müssen aber unbedingt beantwortet und bearbeitet werden! Gerade vor dem Hintergrund des weltweit beobachtbaren Backlashs der Frauenrechte, also Rückschritten bei wichtigen Errungenschaften bzw. Gegenbewegungen, die die Gleichberechtigung wieder zurückdrehen oder abschaffen wollen. Bestes Beispiel dafür sind die USA, wo kürzlich der Supreme Court die reproduktiven Rechte für Frauen massiv eingeschränkt hat. Hier leiten Google und Facebook Chat-Verläufe und andere Daten an die Strafverfolgungsbehörden weiter, damit diese Frauen für Abtreibungen anklagen und verurteilen können.
Die deutsche Frauenministerin Lisa Paus rief deshalb in ihrer Rede vor der FRK dazu auf, die Ära des digitalen Feminismus beginnen zu lassen. Das sind wichtige Worte, zurzeit sind wir sind davon jedoch meilenweit entfernt. In Deutschland und in der ganzen Welt. Im politischen Betrieb sind beide Themen – Feminismus und Digitalisierung – Querschnittsthemen. Das heißt: Sie müssen von allen politischen Ressorts aktiv mitgedacht und gestaltet werden. Das passiert jedoch selten mit den nötigen Ressourcen, deshalb müssen wir dranbleiben und national und international Druck machen, um den digitalen Feminismus Wirklichkeit werden zu lassen.
Wie geht es weiter im UN-Prozess?
Die 67. Sitzung der UN-Frauenrechtskommission ging mit einem Abschlussdokument, den sogenannten Agreed Conclusions zu Ende. Das ist das Rahmenwerk, das sich die Kommission und die ratifizierenden Länder für die Gestaltung der Digitalen Transformation im Zusammenhang mit Rechten von Frauen und Mädchen gegeben haben. Um dieses Ergebnis zu erzielen, haben die Verhandler*innen Tage und teilweise Nächte lang um Formulierungen gerungen. Dieses Rahmenwerk findet hoffentlich Eingang in den Global Digital Compact, den die UN in den nächsten zwei Jahren verabschieden wird. Dieser soll „gemeinsame Grundsätze für eine offene, freie und sichere digitale Zukunft für alle […] skizzieren“. Da sind die jetzt formulierten Ansätze für mehr Geschlechtergerechtigkeit ja schon einmal ein guter Anfang. Für alles Weitere: stay tuned!