In diesem Artikel auf BASIC thinking, der vor ein paar Tagen in meinem Feedly landete, klingt es eindeutig: „Wollen Menschen wirklich personalisierte Werbung sehen? Neue Studie sagt: nein!“. Aber erstens greift diese Schlussfolgerung – zumindest so pauschal – zu kurz. Zweitens enthält der Artikel einige Annahmen, die für die deutsche Berichterstattung zu digitalen Themen so typisch sind, dass ich nicht anders konnte, als darauf zu antworten.
Was ist also mein Problem mit dem Artikel?
Zunächst mal so kleine Ungenauigkeiten in der Datenauswertung: Laut BASIC thinking wünschen sich 74 Prozent der insgesamt 2.034 Befragten, „dass der Umgang mit Daten im Internet von unabhängigen Behörden geprüft würde.“ In der vorbildlich transparent verlinkten Datei mit den Ergebnissen (yay, BASIC thinking, viele Online-Medien tun sich mit dem Verlinken von Originalstudien schwer) lautet die vollständige Antwort allerdings: „Social media companies’ algorithms should be independently audited to make sure that they don’t contribute to the spread of disinformation, hate or discrimination.“ Es geht also nicht um den Umgang mit Daten, sondern um algorithmen-basierte Diskriminierung oder Fake News. Und das ist einfach nicht dasselbe.
Im gleichen Absatz wird die These aufgestellt, „dass personalisierte Werbung nicht nur störend, sondern abschreckend wirkt. 42 Prozent sagten, dass sie allein deshalb ihren Social-Media-Konsum zurückschrauben würden.“ Die 42 Prozent sind aber laut Studienergebnissen nicht auf die 2.034 Befragten bezogen, sondern auf die 24 Prozent davon, die in Frage 1 angegeben haben, ihre Zeit auf Social Media reduzieren zu wollen. Und von diesen 486 Menschen geben 42 Prozent – also 204 Leute und damit etwa 10 Prozent der insgesamt Befragten – als Begründung an: „Too much advertising.“ Von personalisierter Werbung ist an dieser Stelle gar nicht die Rede.
Aber jetzt zu den Annahmen, die so oder sehr ähnlich ziemlich häufig in deutschen Medien auftauchen, wenn es um Social Media geht.
Annahme 1: Facebook und Google sind böse.
Interessant ist erstmal, dass sich die Kritik an Facebook und Google aufhängt. Denn deutsche Zeitschriftenverlage verstoßen auf ihren Websites seit Jahren durch Tracking gegen die DSGVO, trotzdem scheint unter vielen Journalist:innen Einigkeit zu bestehen, dass das Problem in erster Linie bei den sozialen Medien liegt. Und nicht zum Beispiel bei der Deutschen Post, die seit Jahrzehnten führend im Bereich von Verbraucherprofilerstellung für das Direktmarketing ist.
Annahme 2: Targeting wirkt immer, weil es Nutzer:innen individuell anspricht.
Ja, online gibt es die Möglichkeit, Werbung auf einzelne Nutzer:innen abzustimmen. Aber auch das ist keine Gehirnwäsche. Geschlechterbasiertes Targeting – das laut Umfrage 56 Prozent der Nutzer:innen ablehnen – heißt in meinem Fall, dass ich bei Google und Facebook sehr viele Anzeigen für unfassbar hässliche pinke Etuikleider sehe, die ich nicht gegen Bezahlung tragen, geschweige denn kaufen würde. Werber-Logik (ich bin eine von denen, ich muss das wissen) ist halt: „Aber du bist EINE FRAU! Du magst PINK!“ Man kann das nervig finden. Aber damit sind wir schon beim nächsten Punkt:
Annahme 3: Das Gegenteil von personalisierter Werbung ist keine Werbung.
Das taucht schon in der Einleitung zum Artikel auf: Die Nutzer:innen wollen keine personalisierte Werbung, „[d]as Gegenteil ist der Fall.“ Ok, personalisierte Werbung ist raus. Wenn ich allerdings statt der schon erwähnten pinken Etuikleider nur noch Werbung für Hühneraugenpflaster und Schrankwände (Eiche altdeutsch) sehen würde, wäre mir persönlich das auch wieder nicht recht. Kann natürlich sein, dass andere Nutzer:innen das anders bewerten, aber eins steht fest: Das Gegenteil von personalisierter Werbung ist nicht keine Werbung, sondern nicht-personalisierte Werbung.
Da diese auch weniger effektiv ist – nein, Targeting ist immer noch keine Gehirnwäsche, aber natürlich kaufen Menschen eher Produkte, die sie auch brauchen können – würde das vermutlich Werbeformen zurückbringen wie diese riesigen Pop-Ups, die die ganze Zeit hin- und herspringen, damit man möglichst lange braucht, um das „x“ zum Schließen mit der Maus zu treffen. Für Gamer:innen war das immerhin ein ziemlich gutes Reflextraining, für alle anderen der schnellste Weg zur Migräne.
Annahme 4: Facebook und Google müssen sich was Anderes überlegen.
Am Ende des Artikels werden einige Vorschläge gemacht, wie sich der Konflikt zwischen den Interessen der werbefinanzierten Plattformen und den um ihre Daten besorgten Nutzer:innen lösen lässt. Die ersten beiden – mehr Transparenz bei der Datenverarbeitung, einfachere Sprache in den Rechtstexten – haben meine volle Unterstützung. Die letzte Option, nämlich den Nutzer:innen die Möglichkeit zu geben, jede Datennutzung abzulehnen, halte ich allerdings für zu kurz gedacht. BASIC thinking weist hier darauf hin, dass dieser Ansatz sich ja bei Apple bewährt hat. Dieser Vergleich hinkt allerdings: Ja, Apple betont hohen Datenschutz im Marketing, Apple verkauft aber auch Hardware, keine Werbeflächen.
Zum Anderen halte ich den Schluss, den BASIC thinking aus der Umfrage zieht, für zu dramatisch. Im Artikel heißt es: „[Eine Opt-Out-Möglichkeit für die Nutzer:innen] mag zunächst nicht wirtschaftlich klingen. Doch verlorenes Vertrauen ist noch schädlicher fürs Geschäft […] die Alternative ist andernfalls, dass Menschen sich frustriert komplett von sozialen Netzwerken abwenden.“ Das halte ich nicht für realistisch. In der Umfrage sagen 57 Prozent der Befragten, dass sie keine personalisierte Werbung sehen wollen, die oben schon erwähnten 74 Prozent wünschen sich unabhängige Kontrolle der Algorithmen zum Schutz vor Hass, Diskriminierung und Fake News und 44 Prozent sind der Ansicht, dass personalisierte politische Werbung die Demokratie schädigt. Gleichzeit sagen aber 67 Prozent, dass sie nicht weniger Zeit auf Social Media verbringen wollen, 6 Prozent würden sogar am liebsten mehr Zeit investieren. Eine Tendenz in Richtung „wenn sich das nicht bald ändert, dann bin ich aber weg“ erkenne ich in der Umfrage nicht.
Ein wesentlicher Punkt ist, dass Menschen in Umfragen eigentlich immer sagen, dass sie am Liebsten überhaupt keine Werbung sehen würden, egal wo. Allerdings heißt das nicht unbedingt, dass sie auf die entsprechenden Kanäle verzichten. In einer Studie der Imas aus dem Jahr 2018 bezeichneten 57 Prozent der 1.013 Befragten Werbung im Internet als „sehr/etwas nervig“, bei Fernsehwerbung waren es allerdings sogar 66 Prozent. Sprich, das Menschen von Werbung genervt sind, heißt nicht, dass sie daraus Konsequenzen ziehen.
Wie seht ihr das? Ist personalisierte Werbung in euren Augen gefährlich? Oder ist euch das egal? Schreibt eure Meinung gerne in die Kommentare.