Auf einmal fühlte ich mich ganz, ganz klein. Auch wenn die Frau auf der Bühne des Medienforum.NRW mir vermutlich nur bis zum Kinn reicht und zweimal in mich rein passt. Doch Esra’a al Shafei hat als Aktivistin in ihrer Heimat Bahrain und in anderen Ländern des Nahen Ostens Beeindruckendes angestoßen: mit ihrem Netzwerk Mideast Youth, Provokativem wie dieser Persiflage auf Ägyptens Tourismuskampagne oder der in diesem Jahr gestarteten LGBTQ-Community Ahwaa.org.
Über letzteres Projekt – eine Seite, auf der sich etwa Schwule, Lesben oder Transsexuelle anonym austauschen können – sagte Esra beim Branchentreff in Köln sinngemäß: Das meiste, was sie mache, könne sie ins Gefängnis bringen oder bedrohe ihr Leben. Aber nichts sei so gefährlich für sie und ihre MitstreiterInnen wie Ahwaa.org. Homosexualität gilt nicht nur als Tabu, sondern steht in vielen arabischen und afrikanischen Ländern sogar unter Strafe; mancherorts fordern muslimische Politiker sogar die Todesstrafe.
Esras Leben ist wegen ihres Einsatzes für Menschenrechte und Meinungsfreiheit ständig in Gefahr. Und so begann ihr Vortrag auf dem Medienforum.NRW mit demselben Hinweis wie schon bei der re:publica vor zwei Jahren, als ich sie das erste Mal sprechen hörte: dass man sie bitte weder filmen noch fotografieren möge. Anonymität, soweit sie denn möglich ist, ist Esras einzige Sicherheit. Ihr Name: ein Pseudonym. Eine Comicfigur ist ihr Gesicht im Netz. Und wenn Freunde sie auf Aktionen wie Ahwaa.org ansprechen, tue sie ganz interessiert, als habe sie noch nie davon gehört, erzählt Esra.
Es klingt nach einem etwas einsamen Leben, trotz der intensiven Vernetzung. Und doch hat sie sich inmitten aller Gefahr eine unglaubliche Leichtigkeit bewahrt. Nur mit Humor sei der Angst beizukommen, die sie natürlich verspüre, so Esra bei einer Fragerunde im Anschluss an ihren Vortrag. Sie lässt es so selbstverständlich klingen, dass eine Frau Mitte 20 derart vehement und unerschrocken gegen Ungerechtigkeit kämpft – und das in einer zunehmend gefährlichen Region. Dadurch, dass die Mainstreammedien von den Revolutionen in der arabischen Welt berichten und die dortigen Probleme wie nie zuvor in den Fokus gerückt haben, erhalten Esras Erzählungen noch mehr Wucht. Wir mögen nicht mehr oder weniger betroffen sein von den Problemen der Syrer oder Jemeniten als vor der Berichterstattung, aber gefühlt ist die Nähe heute größer. Das erklärt vielleicht, warum ich noch mehr Demut verspürte bei Esras Vortrag in Köln als 2009. (Schon damals lautete mein Fazit im Medienlese-Blog: „Esra’a al Shafei is kicking ass“.)
Schade ist, dass die Aktivistin seinerzeit bei der re:publica den gut gefüllten Friedrichstadtpalast fesselte, das Publikum beim Medienforum.NRW hingegen in sehr überschaubarer Anzahl kam. Angesichts der gerade beschriebenen Veränderungen wäre das Gegenteil eigentlich logischer. Dabei wusste Esra zu berichten, dass die wenigen Presseanfragen zum Beispiel an Mideast Youth vor allem von deutschen Journalisten kämen.
Es war ein gut gewählter Schluss des ersten Medienforum-Tages, Esra’a al Shafei von ihrer Routine erzählen zu lassen und die Repressionen in anderen Ländern zum Thema zu machen. Vorhergegangene Diskussionen wie über den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag oder die Ankündigung von NRW-Ministerpräsident Hannelore Kraft von der künftigen Werbefreiheit der öffentlich-rechtlichen Sender wirkten auf einmal ziemlich banal.
Keine leichte Kost zum Ausklang. Aber richtige, wichtige.