Am Montag hat mich D64 zu der Diskussionsveranstaltung “Hamburg im Jahr des IT-Gipfel – Welchen Stellenwert hat die Informatik?“ eingeladen. Am Ende der Diskussion wurde festgestellt, dass sich alle mehr oder weniger einig sind und diese Diskussion doch nun endlich außerhalb der Blase geführt werden müsse. Wer hätte gedacht, dass es vielleicht heute schon so weit ist?
Worum geht es eigentlich?
Um Hamburger Schulpolitik! Schulpolitik ist übrigens Ländersache. In Hamburg gibt es seit einer Reform sogenannte Stadtteilschulen. Bislang war es so, dass Informatik ein Teilfach von Naturwissenschaft und Technik war und somit ein Pflichtfach für alle Schüler. Heute wurde dem Antrag des Hamburger Schulsenators Thies Rabe (SPD) zugestimmt, Informatik nur noch als Wahlpflichtfach anzubieten. Schüler-, Eltern- und Lehrerkammer haben übrigens gegen den Antrag laut protestiert. Die Begründung des Hamburger Senats ist unklar. Es findet sich auf der Webseite keine offizielle Erklärung und auch keine Pressemeldung. Laut Welt.de und Hamburger Abendblatt gab es folgendes Statement:
Informatik sei als Fach „nicht für alle in gleicher Intensität vonnöten“, sagte Behördensprecher Peter Albrecht. „Etwas salopp formuliert: Alle sollten in einer mobilen Gesellschaft ein Auto fahren können. Aber nicht alle müssen auch wissen, wie es im Detail funktioniert oder gebaut wird.“
Anrufe beim Senator und in der Pressestelle haben mich nicht weitergebracht. Man wollte mir weder sagen, ob es dazu eine offizielle Meldung gibt oder ob das überhaupt stimmt. Man würde mich zurückrufen. Tat man auch, nämlich um zu fragen, von welchem Medium ich anrufe. Ich warte weiterhin und werde hier dann updaten.
(Update: Man schickte mir diese Mitteilung per Mail. Demnach war Informatik nie Pflichtfach, die neue Ausrichtung würde Informatik mehr würdigen. Und zudem sei Informatik als „Teil der Medienerziehung eine sogenannte Querschnittsaufgabe in zahlreichen Schulen“. Spricht die Schulbehörde wirklich über Hamburg? Wo sind diese Schulen?)
Shitstorm galore
Gestern schaltete sich Walter Scheuerl in die Diskussion ein. Der Rechtsanwalt kippte maßgeblich die Hamburger Schulreform (es gab sehr viele Schulreformen in Hamburg) und sitzt seit 2011 in der Hamburger Bürgerschaft. Ich vermute, dass Herr Scheuerl kein Freund der Hamburger Schulbehörde ist, sonst würde eine Pressemitteilung nicht mit dem Satz: „Herr Scheuerl behauptet ständig…“ beginnen.
Ausnahmsweise scheint man sich aber beim Stellenwert der Informatik unter dem Gesichtspunkt Bildung aber einig zu sein. Auf Twitter gibt Herr Scheuerl seit gestern ein paar „interessante“ Statements ab, wie z.B.:
Er ist ebenso der Meinung, dass die „digitale Seifenblase 2000 geplatzt ist“ und die „digitale Revolution“ weitestgehend abgeschlossen ist, da wir bereits „im digitalen Zeitalter“ leben. Wenn man diese Statements liest, dann sind die nicht so weit weg von denen der Schulbehörde. Zu Recht kassiert er dafür ordentlich Häme auf Twitter.
Interessant ist, dass Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz das aber eigentlich anders zu sehen scheint, was die drängende Frage nach den Abstimmungsprozessen innerhalb der Behörden aufwirft. Laut der Pressemeldung von Dienstag zum Mediendialog 2013 heißt es nämlich, dass „eine Vielzahl von technischen Innovationen Medienproduktion und Mediennutzung immer schneller verändere“ und das „Tech- und Content-Unternehmen“ zusammenwachsen müssen. Ferner heißt es, dass z.B. in Medienhäusern die enge Zusammenarbeit von Entwicklern und Journalisten die Zukunft sei „damit am Ende nicht Verdrängung, sondern Vielfalt das Markenzeichen der digitalen Medienwelt wird.“
Ich kann das unterschreiben und ich glaube, dass es nicht nur Medienhäuser betrifft, sondern viel mehr Berufszweige. Ich glaube, dass die digitale Revolution noch ganz am Anfang steht, denn noch (!) gibt es viel zu viele EntscheiderInnen in Unternehmen, Behörden und der Politik, die vehement die Augen davor verschließen und sich mit Händen und Füßen versuchen zu wehren. Warum das so ist, kann ich nur vermuten. Nach meiner Erfahrung ist es die Angst vor dem Unbekannten und Angst vor der Demokratisierung gewisser Prozesse und der damit einhergehende Machtverlust.
Digital ist überall
Zurück zum Thema. Herr Scheuerl sagte ja selbst, dass wir im digitalen Zeitalter leben. Das ist korrekt (auch wenn wir erst am Anfang stehen) und das bedeutet, dass wir endlich begreifen müssen, dass die Informatik nicht die EDV ist und das die Informatik keine Insellösung mehr sein darf – egal ob wir über Unternehmen, Schulen oder Politik sprechen.
Im digitalen Zeitalter zu leben bedeutet auch, dass man mündig und aufgeklärt sein muss um zu verstehen was um einen herum eigentlich passiert. Das kann man aber erst, wenn man wenigstens über ein Grundwissen verfügt, das es ermöglicht sich eine eigene Meinung zu bilden. Wenn wir diesen Teil der Bildung weiterhin den klassischen Medien überlassen, dann sehe ich schwarz für unsere mündige Gesellschaft, denn die tragen in den letzten Jahren maßgeblich dazu bei, dass der digitale Graben immer größer wird.
Ich bereue es, dass ich nicht mehr Programmierwissen habe. Denn so muss ich den Entwicklern immer glauben, dass etwas angeblich nicht geht. Zwar konnte ich mit meiner mir angeborenen Renitenz auch schon häufiger das Gegenteil beweisen, muss aber zugeben, dass das immer anstrengend ist und es deutlich stressfreier ist mit Fachwissen zu glänzen.
Informatik als Pflichtfach bleibt allerdings nicht die alleinige Lösung für das Dilemma. Zumindest nicht so, wie es in der bisherigen Form umgesetzt wird. Eine Stunde die Woche oder zwei Stunden alle zwei Wochen reichen nicht aus. Und was ist mit den Gymnasien, denn wir reden derzeit nur über die Stadtteilschulen?
Digitales Zeitalter bedeutet, dass „digital“ alle Lebensbereiche betrifft. Und so muss es auch in der Schule sein. Für mich fängt das mit Medienkompetenz in der Grundschule an, der Einbindung in Geschichte (wo wir über die Anfänge der Industrialisierung der Gesellschaft reden, müssen wir auch über die Anfänge der Digitalisierung reden), in Ethik und in Technik etc. an. Die Digitalisierung muss in den Schulalltag integriert sein, so gibt es z.B. die ersten Schulen mit Stundenplan-Apps. Das sollte Standard sein, denn das ist Alltag. An dieser Stelle bleibt es wichtig anzumerken, dass Medienkompetenz nicht gleich Informatik ist. Bei der Informatik handelt es sich um eine Kulturtechnik die ebenso wie das Lesen und Schreiben erst zu erlernen ist. Medienkompetenz ist die übergeordnete Metaebene.
Am Montag diskutierten wir, dass es vor allem auch besonders wichtig ist, die Mädchen für die Informatik zu begeistern, denn die Quoten bei den Studierenden sind immer noch sehr gering und das, obwohl beim Vergleich der Schulabschlüsse mehr Mädchen als Jungen qualifiziert dafür sind. Da zeigt sich wieder, dass die Informatik ein Image-Problem hat. Informatik als Pflichtfach kann ein Baustein sein, denn er bietet zumindest die Gelegenheit, es auszuprobieren. Ich würde dennoch, neben einer breiten Integration in möglichst viele Fächer und der verpflichtenden Aufnahme der Medienkompetenz in das Curriculum, für weitere Maßnahmen plädieren: Informatik-Projektwochen, Angebote im Nachmittagsprogramm (ab diesem Sommer sind ja alle Schulen mindestens offene Ganztagesschulen in Hamburg), spezielle Kurse für Mädchen, Zusatzangebote wie Roberta und Ferienkurse.
Schulen müssen im Sinne des Bildungsauftrages ihren Teil dazu beitragen (wie Eltern auch, aber das kann man ihnen nicht alleine überlassen, da auch hier sehr häufig die Kompetenz fehlt), da gibt es für mich keine Diskussion. Die Aussagen, die die Schulbehörde scheinbar getroffen hat, sind natürlich absolut inakzeptabel. Als Elternratsmitglied weiß ich aber auch, dass die Behördenmühlen nicht so schnell sind wie gesellschaftliche Entwicklung. Die Schulen haben es wirklich nicht einfach und können somit jede freiwillige Unterstützung gut gebrauchen und nehmen diese auch sehr dankbar an. Ich bin jeden Dienstag für 45 Minuten Computermutter. Nehmt euch bitte alle ein Beispiel daran, unsere Kinder brauchen uns.