Das Smartphone in seiner flachen, eckigen Form könnte bald schon ein Auslaufmodell sein. Was uns die kommenden Jahre im Mobile-Bereich erwartet und wie die Gesellschaft sich darauf einstellen muss, darüber haben wir mit Heike Scholz gesprochen. Sie ist Gründerin von mobile-zeitgeist.de, Autorin, Rednerin und lobbyiert bereits seit 2006 für die gesellschaftliche Anerkennung mobiler Technologien.
Interview: Carolin Neumann
Digital Media Women: Der Tod des Smartphones ist absehbar, oder?
Heike Scholz: Die Form, wie wir das Smartphone heute kennen – flach, vier abgerundete Ecken mit einem Touchdisplay – wird natürlich nicht auf ewig erhalten bleiben. Es wird nach und nach Funktionen auf unterschiedliche Gadgets, etwa sogenannte Wearables, abgeben. Nichtsdestotrotz werden wir immer eine zentrale Recheneinheit bei uns tragen.
Wearables, also Elektronik, die ich als Kleidungsstück oder Accessoire tragen kann, sind das nächste große Ding?
Die Datenbrillen, mit denen man über eine Sprachsteuerung Fotos machen kann oder mir Inhalte anzeigen lassen kann, sind nicht mehr ganz neu, Google Glass ist natürlich ein Name. Insgesamt wandern Units mit digitalen Funktionen in die Peripherie, angefangen von Solarzellen in Taschen, die unsere Geräte aufladen, bis hin zu kleinen Ladegeräten, die in Designermaßanzügen eingenäht sind.
Von solchen Solarzellen in der Kleidung wird schon seit Jahren gesprochen, durchgesetzt haben sie sich aber immer noch nicht – woran liegt das?
Es gibt immer noch nicht so viele Konsumenten, die ständig unterwegs und online sind, das Smartphone vor der Nase haben und auf Stromversorgung angewiesen sind. Das ist ein Nischenmarkt. Es wird noch einen Moment dauern, bis die vor allem jungen Leute, die heute schon einen solchen Lebensstil pflegen, nachgerückt sind und diese Produkte nachfragen.
Welche Herausforderungen ergeben sich durch Erfindungen wie Google Glass für die Gesellschaft?
Die eine Herausforderung ist: Die Deutschen sind Bedenkenträger – das müssen wir abbauen und neue Technologien zumindest erst einmal wohlwollend betrachten, bevor wir sagen: Das ist alles ganz fürchterlich! Damit verbunden müssen wir in unserem Land daran arbeiten, wieder zu den Technologieführern und Innovatoren zu gehören. Als Technologiestandort sind wir seit Jahren sehr weit abgeschlagen. Auf der anderen Seite müssen wir natürlich als Gesellschaft einen Diskurs darüber führen: Was wollen wir an Technologie, die in unser Privatleben eindringt und uns ständig in den digitalen Raum stellt? Wir müssen uns im Klaren darüber sein, was neue Technologien für unsere Privatsphäre bedeuten.
Was antwortest du denen, die heute vehement zwischen Online und Offline unterscheiden?
Ich gehöre selbst zu den Älteren und bin noch damit groß geworden: Ich gehe jetzt ins Internet. Sprich: Wir mussten uns einwählen, um online zu sein. Das hebt sich vollkommen auf. Wir haben inzwischen 15 Millionen Deutsche, die nicht mehr unterscheiden: Bin ich jetzt online oder bin ich offline? Sie sind ständig vernetzt, das ist so selbstverständlich wie zu atmen.
Auch du sprichst von online und offline. Dieser Unterschied wird allein auf sprachlicher Ebene immer wieder gemacht.
„Always on“ meine ich eher als intuitive Selbstverständlichkeit. Das heißt natürlich nicht, ständig auf einen Bildschirm zu starren. Ich bin auch online, wenn ich mich mit einem guten Freund unterhalte und bekomme dann trotzdem mit, wenn etwas passiert, was ich wissen möchte oder muss. Diesen Unterschied spiegelt Sprache wieder. „Always on“ sind vor allem jüngere Menschen und die haben ein sehr genaues Bild davon, was und wer ihnen wichtig ist und ob sie andere ständig mit einem digitalen Device teilen wollen. Das tun sie sehr bewusst. Es ist ja nicht so, dass die breite Masse der jungen Menschen nur noch schlechte Manieren hat und während sie mit jemandem reden, ständig auf ein Display guckt.
Woran hast du zuletzt gemerkt: „Es muss sich etwas ändern“?
Wir brauchen mehr Steckdosen! Ich war gerade erst wieder bei einem Workshop, wo ich das Hotel bitten musste, für Verlängerungskabel zu sorgen, weil dort jeder mit mindestens zwei Geräten ankam. Überhaupt sieht man die Hardcore-Mobile-Nutzer, zum Beispiel am Flughafen, ständig nach Steckdosen suchen. Das muss sich ändern, wobei ich eher denke, dass wir leistungsfähigere Akkus bekommen werden.
Abgesehen von Steckdosenleisten überall: Wie können wir den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel schneller herbeiführen?
Es ist nicht so abwegig, eine Art „Internetministerium“ zu fordern, weil es für unsere Zukunft so immanent wichtig ist, dass unsere Gesellschaft und damit auch unsere Politiker sich mit der zweiten industriellen Revolution beschäftigen, mit der wir es zu tun haben. Es braucht auch eine digitale Ausbildung in den Schulen. Ich halte es für sinnvoll, dass Kinder die Grundlagen des Programmierens lernen, um zu verstehen, in welcher Welt wir uns in Zukunft bewegen werden. Wir brauchen gleichzeitig auch Anstandsregeln, wie wir mit der Vernetzung und den Menschen um uns Herum umgehen. Es wäre doch sehr traurig, wenn wir zu Smartphone-Zombies werden, die ihre Umwelt nicht mehr wahrnehmen. Und die kulturelle Elite muss aufhören, gegen das Digitale zu wettern, sondern Partei ergreifen und eingestehen: Ja, das ist die Zukunft, und wir müssen als Wissensgesellschaft wieder versuchen, dieses Feld mitzugestalten.
Dieses Interview ist eine geänderte Fassung eines Beitrags aus der Reihe „Digitales Morgen“ von „Süddeutsche.de“ und VOCER.