Was wir aus der Digitalbranche kennen, ist in der Musikbranche ein noch viel größeres Problem: Es gibt zu wenige Frauen in wichtigen Positionen. Und in Line-ups von Festivals lassen sich die weiblichen Akteure oft an einer Hand abzählen. Klar, in den Pop-Charts finden sich genügend Sängerinnen, aber ein Blick hinter die Kulissen zeigt, wie männlich dominiert die Branche noch ist. Die Reeperbahn Festival Conference hat in diesem Jahr einen Themenschwerpunkt zu „Women in Music“ geplant. Wir geben hier einen Überblick über die Branche und einen Einblick in das Programm der Konferenz. Last but not least sprechen wir mit Roxanne de Bastion und Electric Indigo über ihre Erfahrungen als weibliche Artists.
Und wie bei jeder Konferenz-Ankündigung der #DMW, könnt ihr ein Festivalticket gewinnen!
Der Anteil der Frauen im Bereich Labels und Musikverlage liegt bei knapp 43 Prozent in Deutschland. Betrachtet man jedoch die Anzahl der Frauen in Führungspositionen so ist die Zahl deutlich geringer. Bei Produzentinnen und DJanes zeigt sich ein ähnliches Bild. Dabei ist es nicht einmal nur so, dass es nicht genug musikschaffende Frauen gäbe – sie sind schlicht unsichtbarer. Selbst Superstar Björk monierte in einem Pitchfork Interview zu Anfang des Jahres, dass ihr in der Presse ständig der Produzentenpart an ihren Album abgesprochen werde – zugunsten ihrer männlichen Kollaborateure, die kleine Parts beisteuerten und denen die Zuschreibung selbst unangenehm war. Das Bild produzierender Frauen ist aber einfach nicht fest genug in unseren Köpfen verankert.
Die Initiative „female:pressure“ will das ändern. Ende der 90er-Jahre wurde sie von der DJ Electric Indigo gegründet und bietet unter anderem ein Verzeichnis weiblicher Akteure in der elektronischen Musik. Mittlerweile sind mehr als 1520 Frauen aus 66 Ländern gelistet. Als Reaktion auf die Aussage von Björk erstellten sie einen tumblr mit einer Fotosammlung von produzierenden Frauen, der von Antye Greie kuratiert wird. Regelmäßig veröffentlicht die Initiative zudem Zahlen über den Anteil von Frauen bei Festivals und in Club-Line-ups.
Auch während meiner Zeit als Musikjournalistin standen wir als Redaktion jeden Monat vor der Herausforderung: Wir brauchen mehr Frauen im Heft! Wir haben auch immer welche gefunden, aber es machte definitiv mehr Mühe, sie zu entdecken. Diese Mühe machen sich viele Journalist_innen nicht – und wer möchte es Bookern vorwerfen, dass sie als erstes ihre Kumpels einladen? Böse Absicht ist das meist keine. Aber gerade deshalb ist es so wichtig, der Branche immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass es da noch ein Problem gibt.
Auf sehr anschauliche Weise hat das das Musikblog Crack in the Road mit einem Tweet zum Reading and Leeds Festival getan. Über 89 Prozent des Line-ups bestand aus all-male Acts. Crack in the Road veröffentlichte eine Version des Festivalplakats, auf dem nur mehr die Acts mit weiblicher Beteiligung zu sehen waren.
Dies wiederum war der Anlass für die Singer/Songwriterin Roxanne de Bastion, die auch bei unserer #5JahreDMW-Feier in Hamburg aufgetreten ist, einen Artikel zum Thema „Female is not a genre“ über ihre Erfahrungen als Frau in der Musikbranche zu schreiben. Denn es ist nicht nur die Unsichtbarkeit von Frauen ein Problem – sondern auch die Art und Weise, wie mit Frauen in der Branche umgegangen wird. Mit genau diesem Thema ist sie auch beim diesjährigen Reeperbahn Festival zu Gast. Denn glücklicherweise ist das Festival durchaus bemüht, einen vorzeigbaren Frauenanteil zu haben. Auch die begleitende Konferenz hat viele Top-Speakerinnen im Programm. Auch Electric Indigo wird auf einem Panel sitzen. Wir haben sowohl mit Roxanne als auch mit Electric Indigo vorab gesprochen.
ROXANNE DE BASTION: „I was always the only girl in what felt to me like a distinctly male space. I remember feeling like an intruder“
Roxanne, when did you realize that the music business is this far away from gender equality?
Ever since I started performing solo, I’ve been referred to as a “female” singer-songwriter. I think that’s the first thing that struck me as odd and started to bother me. In the few years I’ve been making music, I have been exposed to a lot of what I now know is sexist behaviour. For a long time I just accepted comments such as “you’re a pretty good guitarist for a girl” or “all female singer songwriters sound the same” until I realized just how bad this kind of thinking is and what injustice it does to both girls and boys.
Subconsciously, I realised from a really young age that there were far fewer female role models in the music industry, be it rock’n’roll icons or industry moguls. Every time I went into a record store to persue Beatles albums or into a guitar shop to marvel at the electric guitars as a young teenager, I was always the only girl in what felt to me like a distinctly male space. I remember feeling like an intruder. Luckily, this is changing.
Were you surprised about how differently women are still treated?
I continue to be surprised by some peoples inability to even acknowledge that there is still an issue, despite the many, painfully obvious examples and statistics. I think some peoples reluctance or boredom with the subject comes from a sense of helplessness, a feeling that talking about gender inequality exacerbates a problem that should no longer exist.
What’s your way to deal with this?
I think the best thing to do is to continue the dialogue. I do believe that sexism in the music industry is a problem that is slowly but surely taking care of itself. More people are aware of it than ever before, more women are taking up influential roles in the industry and more amazing men and women are making music independently and are supporting one another. As for the horrible experiences when someone mistreats you because of your gender, don’t let it stop you from doing what you do best, let it fuel you to make your art better.
What are the most important steps or measures towards a truly diverse music scene in your opinion?
I think the demise of the traditional music industry and the diminishing importance of major labels will result in a more diverse music scene. With the rise of independent labels, artists are able to build sustainable careers without squeezing their music and images into tiny, preconceived boxes. It’s shameful that all music that’s “non-western” should be grouped together into the “world music” category. We need better representation of all kinds of music. With regard to gender equality within the music industry, again, we simply need more women to take up influential roles within the industry so that a younger generation of women will recognise themselves in the industry and not shy away from seeking careers as label CEOs, sound engineers and community leaders.
What organizations or people are worth mentioning for actively trying to solve this imbalance?
Luckily, there are so many people out there doing great things to encourage gender equality. In the UK, “The Girls are“ provide a great on- and offline platform for women who make music. Ruth Barnes, BBC6 / Amazing Radio, has a great radio show called „the other woman“, which is highly popular on the independent music making scene. She created the show after being bored with hearing only “that one type of woman” being played on the radio. I strongly believe that education is at the heart of the issue and therefore think that projects such as Pink Stinks and Princess Awesome, that fight against the heavily stereotyped and limiting roles presented to young girls, are really important too.
Thanks for sharing your experiences with us!
Electric Indigo: „MAN KANN NIEMANDEN ZU EINER AUFGEKLÄRTEN HALTUNG ZWINGEN“
Susanne, du hast female:pressure schon 1998 gegründet. Haben sich die Bedingungen für Produzentinnen seither gebessert?
Es ist seit 1998 generell einfacher geworden, gute und umfassende Produktionsmittel zu bekommen. Auch der Austausch mit Kolleg_innen und Fans ist schneller, einfacher und direkter geworden. Und das wirkt sich natürlich auch auf die Positionierung von Künstlerinnen aus. Gerade in den letzten zwei Jahren gehört es z. B. in Deutschland immer mehr zum guten Ton, Frauen im Line-up und beim Label zu haben. Es gibt auch immer mehr Produzentinnen von elektronischer Musik. Ich denke, es ist hierzulande, zumindest in aufgeklärten Kreisen, schon viel normaler geworden, dass Frauen Musik produzieren. Das bedeutet auch, dass einzelne nicht immer nur als Ausnahmeerscheinungen und Exotinnen wahrgenommen werden, was ich für längst überfällig und für eine vielfältige Entwicklung unbedingt notwendig halte.
Wo besteht im Moment die größte Baustelle, wenn es um Frauen in der Musikbranche geht? Und welches sind wünschenswerte Maßnahmen, um die Situation zu verbessern?
Man kann ja niemanden zu einer aufgeklärten und offenen Haltung zwingen. Aber wenn öffentliche Gelder im Spiel sind, muss darauf geachtet werden, wohin die verteilt werden und wie die verschiedenen Geschlechter davon profitieren. Mit anderen Worten: Ich finde, wenn z. B. Veranstaltungen oder kulturelle Institutionen ganz oder zum Teil mit Geldern der öffentlichen Hand finanziert werden, muss die Vergabe dieser Gelder an ein bestimmtes Mindestmaß an Diversität geknüpft sein. Ein Nichterfüllen solcher Auflagen muss auch den Entzug der Gelder bedeuten.
Oft heißt es, Frauen seien nicht so proaktiv in der Selbstdarstellung und daher weniger erfolgreich. Ist das wirklich so? Oder nur eine Ausrede?
Ich halte gar nichts von solchen Geschlechtsstereotypen. Fakt ist allerdings, dass es normalerweise nur um vereinzelte Künstlerinnen einen Hype gibt, der dann auch noch vergleichsweise kurz ist und gerne in einen negativen Backlash ausartet (siehe “Bathgate” / Nina Kraviz). Wenn man als Veranstalter_in oder Kurator_in ein ausgeglichenes oder meinetwegen ein angemessenes Geschlechterverhältnis auf den Bühnen anstrebt, dann bedeutet das einerseits mehr Recherche und andererseits vielleicht auch etwas mehr unternehmerisches Wagnis, da fast zwangsläufig mit diesem Vorhaben einhergeht, dass man nicht einfach die gleichen Artists buchen kann, wie alle anderen. Beides, sowohl die Recherche als auch das Wagnis, kann sich aber auch sehr erfreulich lohnen.
Du wirst demnächst vom Verband unabhängiger Musikunternehmen ausgezeichnet. Helfen solche Auszeichnungen, mehr Unterstützer_innen zu bekommen?
Was meinst du mit Unterstützer_innen? Leute, die finanziell unterstützen? Nein, female:pressure ist mein Privatvergnügen und hat eigentlich noch nie eine finanzielle Unterstützung bekommen. Ich glaube nicht, dass so eine Auszeichnung etwas Wesentliches am Status von female:pressure ändert. Ich würde sie lieber als Anerkennung für meine jahrzehntelange Arbeit sehen.
Gratulation zur Auszeichnung und vielen Dank für dein Engagement auch von uns!
Sessions zum Thema AUF DER REEPERBAHN FESTIVAL CONFERENCE:
- Why We Need More Women in Music mit Electric Indigo
- Female Is Not a Genre mit Roxanne de Bastion
- Women and Live (noch nicht online)
Weitere Top-Speakerinnen auf der Konferenz:
- Mary Ramos, Music Supervisor, US
- Alison Wenham, Impala, GB
- Carole Tongue, European Coalitions for Cultural Diversity, GB
- Monika Eigensperger, Radio FM4 / ORF, AU
- Jennifer Schwanenberg, dpa infocom, DE
- Francine Gorman, Nordic Playlist
- Natasha Baldwin, Imagem, GB
Ticket zu gewinnen
Du hast noch kein Ticket und möchtest beim Reeperbahn Festival und der Konferenz in Hamburg dabei sein? Als offizieller Medienpartner verlosen wir ein Ticket, das du gewinnen kannst. Um an der Verlosung teilzunehmen, hinterlasse bitte bis Sonntag, den 6. September 2015, um 23:59 Uhr einen Kommentar unter diesem Artikel mit deiner Lieblingskünstlerin – inklusive Namen und gültiger E-Mail-Adresse. Die Gewinner_in wird am 7. September 2015 per Losverfahren ermittelt und im Anschluss über ihren Gewinn informiert. Falls es sich im Verlosungszeitraum ergibt, dass du doch nicht kannst, dann gib uns bitte direkt Bescheid, damit jemand anderes von deinem Ticket profitieren kann. Eventuell anfallende Reise- und Übernachtungskosten (o. ä.) trägt die Gewinner_in. Viel Glück! Wir freuen uns zudem, falls die Gewinner_in Lust hat, hinterher auf diesem Blog über ihre Erlebnisse zu berichten.
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