In der Reihe #DMWKaffee mit … gehen Autorinnen dieses Blogs mit spannenden Frauen aus der Digitalbranche einen Kaffee trinken. Für diese Folge hat sich Maren Martschenko aus dem Münchner Quartier mit Wibke Ladwig auf einen Kaffee verabredet. Aufhänger des Gesprächs ist Wibkes Vortrag zum Thema „Die digitale Welt als Bühne: Die Inszenierung des Ich im Social Web“ auf der Direttissima – the conference (kurz: DICO), wo die #DMW Creative Partner sind.
Wibke erzählt aus eigenen Erfahrungen, was Unternehmen für die Kommunikation im Social Web vom Theater und aus der Musik lernen können, von der Kunst der Pausen und der Bedeutung der Langsamkeit für gute Inhalte. Maren war so fasziniert von Wibkes Ausführungen, dass der Kaffee kalt wurde. Aber lest selbst…
#DMW: Wie kamst du auf das Thema?
Wibke: Durch Kixka Nebraska. Für 2015 wurde sie von der t3n gefragt, was Trend sei im Digitalen. Sie hatte die Szenografie des digitalen Auftritts als nächstes wichtiges Themenfeld nach dem Storytelling und mich als Beispiel genannt. Das hat mir wirklich die Augen geöffnet. Ich dachte:“ Häh? Wie kommt sie denn da drauf?“ Aber in der Tat, sie hat da nicht Unrecht.
Du bezeichnest dich selbst als Social Web Ranger. Was verbirgt sich hinter dieser Inszenierung?
Im Nationalpark Eifel, wo ich gerne wandere, gibt es die Nationalpark-Ranger. Sie führen ihre Besucher in den Landschaftsraum der Eifel, zeigen ihnen, was da kreucht und fleucht, und was die Ranger dort hegen und pflegen. Sie beschäftigen sich viel mit Wissensvermittlung und möchten ein Verständnis für diesen Nationalpark wecken. Als ich mich mit ihnen und ihrer Arbeit beschäftigte, fiel mir auf, dass das ganz ähnlich ist wie das, was ich im Digitalen mache. Ich mag die Bodenständigkeit und Handfestigkeit, die sich mit dem Begriff Ranger vermittelt. Dieser Ansatz gefällt mir, weil dieses Gehen, Entdecken, Verstehen etwas ist, was ich mit dem Rangertum verbinde. Und zack, da war er halt, der Social Web Ranger.
Ein sehr schönes Bild. Was hegst und pflegst du im Landschaftsraum des „Social Web“?
Zum einen habe ich viele eigene Projekte im Digitalen. Von Printtwitter über die Wortweide, vom Kochblog Papperlahapp über meinen Businessblog bis hin zum Denkarium. Außerdem pflege ich verschiedene Social Media Accounts.
Aber vor allem geht es mir darum, eine gewisse Kultur des Umgangs zu pflegen: Eine Kultur der Aufmerksamkeit und eine Kultur der Wertschätzung, des Vertrauens, des Respekts. Je mehr Menschen im Digitalen sind, um so wichtiger ist es, dort gewisse Umgangsformen zu pflegen. Eine positive Haltung anderen Menschen gegenüber hilft ungemein. Diese Grundhaltung hoffe ich, projekt-, netzwerk- und dienstübergreifend zu verbreiten.
„Vor allem geht es mir darum, eine gewisse Kultur des Umgangs zu pflegen: Eine Kultur der Aufmerksamkeit und eine Kultur der Wertschätzung, des Vertrauens, des Respekts“ – Wibke Ladwig
Das klingt nach einer sehr schönen Welt. Jetzt hast du das Ganze erklärt, ohne dass ein Mal das Wort Content vorkam.
Ich hasse das Wort Content (lacht), wirklich. Mitunter wird das Wort Content sehr inflationär gebraucht. Meinem Eindruck nach spricht man sehr selten von Inhalten, wenn man über Content redet. In der Social Media leben wir ohne Frage in einer vom englischen Sprachraum geprägten Welt. Da flutschen dann eben auch Begriffe wie Content, Content Marketing oder Content Strategien rüber. Alldieweil fehlt mir die Wertschätzung für gut gemachte Inhalte, vielleicht auch eher für langsame Inhalte, wachsende Inhalte. Es geht oft nur darum, Inhalte als Content schnell und kostengünstig zu erstellen oder erstellen zu lassen und eine Konversion zu erreichen. Natürlich möchte man mit Social Media etwas für sich oder sein Unternehmen erreichen. Aber das scheint mir doch mitunter reichlich platt und lieblos. Deswegen habe ich immer das Gefühl, je mehr von Content gesprochen wird, desto weniger geht es um Inhalte. Man merkt schon, dass wenige Unternehmen oder Institutionen ihre Kunden oder ihr Publikum wirklich schätzen, weil sie ihnen liebloses Zeug um die Ohren klatschen, und hört dahinter nur den Schrei „Jetzt kauf endlich!“ Oder „Schließ einen Vertrag ab!“ oder „Jetzt spring doch endlich durch den Reifen!“ Und das ist etwas, was insgesamt dieser Kultur im Digitalen nicht gut tut.
„Ich habe immer das Gefühl, je mehr von Content gesprochen wird, desto weniger geht es um Inhalte.“ – Wibke Ladwig
Du bist wirklich ein Profi der digitalen Szenografie, wenn ich sehe, mit welcher Leichtigkeit du deine diversen Szenen bespielst. Ich denke an den Findelkraken, der als Büroleiter zum Einsatz kommt. Deine Lakritzeleien wie die wunderbare #DMW Jubiläumsgiraffe, die mich auf meinem Schreibtisch freundlich anlacht. Auch das Printtwitter, das mich fast täglich auf Instagram begrüßt, mit dem du für den Grimme Online Award nominiert bist. Ist die Wertschätzung, die du dafür erfährst, eine Bestätigung, dass das der richtige Weg ist? Braucht es diese vielen kleinen Szenen in der Gesamtinszenierung?
Ich denke, das hat mehrere Ebenen. Also ganz zuvorderst steht meine Freude darüber, dass andere Menschen sich auch über diese kleinen Geschichten, diese kleinen Störer im Alltag freuen. Es ist weniger eine bewusste Inszenierung als etwas, das sich einfach seinen Weg sucht ohne viel nachzudenken. Vielleicht hat es auch deshalb diese Leichtigkeit, weil ich dem erst mal überhaupt keine Absicht mitgebe oder keine strategischen Ziele damit verfolge. Es macht mir einfach Freude.
Es hat aber auch die Ebene, die sich erst durch die Resonanz entwickelt. Ich bekomme etwas zurück, das mir etwas über die Inhalte erzählt, dessen ich mir vorher nicht bewusst war, dass ich das diesen Inhalten mitgebe.
Wenn man sich den richtigen Resonanzraum mit Menschen, deren Rückmeldung man auch gut einschätzen kann und gut einordnen kann, aufbaut, ist das fast wie so ein Live-Coaching. Das macht den Resonanzraum Digitalien so wertvoll.
Und es gibt noch eine Ebene: Egal, ob es die Lakritzeleien sind, egal, ob es die Inszenierung von meinem Büroleiter, dem Findelkraken, sind oder auch andere Projekte, die ich mache. Die sind ja weit davon entfernt, perfekt zu sein. Ich bin davon überzeugt, dass das auch sehr wichtig ist, sich leichte Inhalte zuzutrauen und sich zu trauen, unperfekte Inhalte zu kommunizieren. Denn Perfektionismus tötet Kommunikation ab.
Man merkt das etwa bei Karaoke-Abenden: Es funktioniert super, bis jemand auftaucht, der singen kann. Dann erstarren alle in Ehrfurcht, niemand traut sich mehr zu singen und alle wollen nur noch, dass der- oder diejenige singt, der oder die wirklich singen kann. Aber solange alle fröhlich drauflos krächzen, trällern und brummen können, macht es einen Heidenspaß. Und ich denke, das ist vielleicht etwas, was die Kommunikation in der Social Media von der klassischen Kommunikation einfach gewaltig unterscheidet. Insofern verstehe ich meine Inhalte da durchaus auch als eine Ermächtigung und Ermutigung für andere, einen eigenen Weg zu suchen, einen eigenen Ausdruck zu suchen und nicht perfekt sein zu müssen.
„Perfektionismus tötet Kommunikation ab.“ – Wibke Ladwig
Der Abschied vom Perfektionismus aus der klassischen Kommunikation hin zur leichten Unterhaltung im Social Web ist für viele Unternehmen eine große Hürde. Wie erlebst du das?
Ja. Die sind sehr unsicher, was die Wahrnehmung angeht. Aber je unsicherer man sich ist, desto wichtiger wird die äußere Form, die alles zusammenhält. Deshalb arbeite ich mit Unternehmen oder Institutionen wie derzeit mit den öffentlichen Bibliotheken erst mal überhaupt nicht digital, sondern ganz analog. Es geht zuerst um Identität und Verortung, sich seiner selbst sicher zu sein, um im Social Media auch unter leichtfüßiger Auslegung der äußeren Form kommunizieren zu können und dadurch auf andere Menschen einladend zu wirken – nicht ausgrenzend.
Du hast den Resonanzraum angesprochen. Einerseits spricht man von Echtzeitkommunikation, andererseits entsteht bewertbare Resonanz doch erst über die Zeit durch die Verdichtung von ganz bestimmten Aspekten. Das heißt, es braucht im Grunde Geduld bei der Beobachtung. Das wiederum steht im totalen Widerspruch zur Schnelllebigkeit des Internets, weil man Angst hat, dass man so schnell vergessen wird.
Das führt zu ganz eigentümlichen Verhaltensweisen draußen im Digitalen. Es ist ein Missverständnis, dass die Möglichkeit zur Echtzeitkommunikation und die Schnelligkeit, die im Internet möglich ist, dieser Gleichzeitigkeit sozusagen, irgendetwas im Aufbau von Beziehungen zwischen Menschen verändern würde. Zwischenmenschliche Kommunikation und Beziehungspflege funktioniert noch genauso wie vorher. Gerade so etwas wie Vertrauen und Gesprächsfähigkeit braucht wie im echten Leben Zeit.
Ich finde das ganz interessant, wir leben wirklich in so einer Art soziologischem Langzeitexperiment. Ich glaube, dass die Menschen wirklich nie so häufig und so regelmäßig in dieser Masse aufeinander zurückgeworfen wurden, wie das momentan der Fall ist. Beziehungen aufzubauen wird häufig durch Automatisierung oder Regelmäßigkeit herzustellen versucht. Was in der seltsamen Marotte mündet, dass man irgendwie meint, jeden Tag bloggen zu müssen oder an einem bestimmten Wochentag muss jeder einen Blogbeitrag veröffentlichen, man muss täglich bei Twitter, Facebook oder jetzt meinetwegen bei Snapchat auftauchen, um irgendwie im Gedächtnis zu bleiben. Ich halte es für einen Fehlschluss. Es ist eher so, dass man anfängt, sein Netzwerk zu verschleissen, wenn man nicht auch mal mit Pausen komponiert.
Ich sehe viele Parallelen etwa zur Musik. Auch da braucht man eine Pause. Wenn man ständig immer im selben Rhythmus dieselbe Musik spielt, dann kann man auch das Lieblingsstück irgendwann nicht mehr hören. Das heißt, man muss sich auch überlegen, okay, wo instrumentiere ich mal anders, wo wähle ich einen anderen Rhythmus, wo ist auch einfach mal Stille angesagt und wo komme ich mit einem Paukenschlag wieder auf die Bühne und schmettere eine Arie meinetwegen. Ich glaube einfach, dass es ein Gespür dafür erfordert, was ich meiner Community momentan zumuten kann. Es ist auch wichtig, sich mal zurückzunehmen und einfach mal zuzuhören, zu gucken, was die anderen machen. Es ist nicht unbedingt der lauteste Affe auf Twitter, der am relevantesten ist.
Du hast Parallelen zur Musik gezogen. Bist du ein bisschen wie ein Musiker auf der Bühne? Muss man im Social Web eine Rampensau sein, um in der Inszenierung erfolgreich zu sein? Welche Chancen haben eher introvertierte Menschen?
Ich sehe momentan eine ganz interessante Entwicklung bei der jüngeren Generation hin zu den geschlossenen Communitys wie WhatsApp und Snapchat, die Introvertierten wieder zugutekommen, weil die in der Lage sind, in einem überschaubareren und vertrauteren Kreis zu kommunizieren. Im Theater oder bei der Musik steht ein Teil der Belegschaft auf der Bühne, ein Teil der Belegschaft steht an den Instrumenten oder singt, aber nicht weniger wichtig sind die Leute im Hintergrund, die dafür sorgen, dass alles da ist, die dafür sorgen, dass das Licht stimmt, die dafür sorgen, dass die Leute einen Sitz finden. Es ist wichtig, sich die Plätze oder die Orte zu suchen, wo sie selber sich wohl fühlen und wo sie das machen können, was sie gut machen.
Theaterstücke sind ja erfundene Geschichten. Aber wir müssen in der Unternehmenskommunikation letztlich doch über das echte Leben schreiben, oder?
Ich meine, auch Theater spiegelt letztlich das wahre Leben wieder. Es hilft immer, sich mit den Techniken einfach mal auseinanderzusetzen. Bei Musik hilft es sehr, wenn man sich ansieht, wie viele verschiedene Genres, wie viele verschiedene Tonarten es gibt, was Musik eigentlich besonders macht. Wenn jemand nicht eine haargenaue Coverversion von etwa anderem bringt, sondern eine eigene Version daraus macht. Bei den Jazzstandards kann man das gut sehen: ein Stück, hunderte Interpretationen, und jede für sich ist toll. Das kann einem doch Mut und Inspiration geben!
Im Theater kann man sich überlegen, wie Menschen miteinander sprechen. Wer ist der Chor? Welche Rollen gibt es? Es hilft einem, einen gewissen spielerischen Abstand zu dem zu bekommen, was man in Wirklichkeit macht. Als ich das erste Mal als Buchhändlerin im Laden gestanden habe, habe ich die ersten Wochen nur Kaufladen gespielt. Also ich musste mich immer zähmen bei jedem, der rein kam, Palim-Palim (lacht). Ich sah mich immer wieder wie als Kind im Kaufladen stehe. Und auch war es so, dass ich nicht das Gefühl hatte, echtes Geld einzunehmen, weil es kein Geld war, das ich mit nach Hause getragen habe, sondern das war Buchhandlungsgeld. Dieser spielerische Ansatz hilft enorm. Wenn ich auf die Bühne gehe, um einen Vortrag zu halten, dann bleibe ich ja nicht die private Wibke, sondern ich ziehe mir zum Beispiel ein besonderes Kleid an und schlüpfe in die Rolle einer bühnentauglichen Wibke. Das bin auch ich, aber eben eine Inszenierung von mir.
Letztlich ist das Theater entstanden, um Geschichten über das wahre Leben zu erzählen. Und so kann man es eben auch nutzen, um im wahren Leben besser zu bestehen. Das ist eine Frage von Storytelling. Storytelling funktioniert ja auch nur, wenn es einen wahren Kern hat.
„Der spielerische Ansatz hilft enorm beim Strukturieren von Geschichten.“ – Wibke Ladwig
Spannender Ansatz, den du den Unternehmen mitgibst. Es geht darum, eine Geschichte aus dem wahren Leben zu erzählen, aber sich zu fragen, wer welche Rolle hat, was die Bühne ist und ob wir das Stück als Komödie, Drama oder Kammerspiel inszenieren.
Ich denke, es hilft Unternehmen, mit diesem Sujets zu spielen, weil es eine Hilfe bei der Strukturierung von ihren Geschichten sein kann. Es gibt wirklich wenige, wenige Unternehmen, die es schaffen, eine gute Geschichte zu erzählen. Sie sind viel zu sehr mit sich verstrickt. Die denken die ganze Zeit nur: „Wie kriegen wir die Leute dahin, durch den Reifen zu springen?“ Statt daran zu denken, wir müssen das in dieser Manege so gut machen, dass die alle Lust haben, durch den Reifen zu springen, weil die da rein wollen.
Ich sehe schon, die Unternehmen können in Sachen Szenografie des digitalen Auftritts jede Menge von dir lernen, wie sie Menschen dazu bringen durch Reifen zu springen ohne sich zum Affen zu machen oder etwas vorzugaukeln. Ich freue mich sehr auf deinen Vortrag bei der Direttissima – the conference. Vielen Dank für das Gespräch!
Ihr wollt auch zu Wibkes Talk auf der #dico16 „Die digitale Welt als Bühne: Die Inszenierung des Ich im Social Web“?
Euch erwartet ein vergnüglicher Bummel voller Lustbarkeiten, Kunstreitern, Gauklern, exotischen Tieren und Sensationen frei nach dem Motto „Theater, Theater, der Vorhang geht auf, dann wird die Bühne zur Welt.“ (Katja Ebstein).
Dort erfahrt ihr mehr dazu, wie man die Kunst der Inszenierung im digitalen Raum einsetzen kann, um unabhängig von Plattformen und Themen wiedererkennbar und gleichzeitig unverwechselbar zu sein. //konferenz.direttissima.de/wibke-ladwig/
DIRETTISSIMA – Im Alpinismus ein direkter, umwegloser Aufstieg zum Gipfel. Während der Normalweg den Weg des geringsten Widerstands sucht, stellt sich der Begeher einer Direttissima „direkt“ den Schwierigkeiten, die der Berg bietet.
DIRETTISSIMA – Das ist auch die neue, die andere Konferenz in München für die Verlags- und Medienbranche. Wir laden Referenten aus den unterschiedlichsten Branchen und Umfeldern ein. Denn außerhalb der eigenen Filterblase entstehen unendlich viele Ideen und Lösungsansätze für Herausforderungen, die wir auch auf unsere eigene Arbeitswelt transferieren können. Schauen wir also genauer hin.
Auf der Bühne erwarten uns Charaktere, keine Tabellen. Wir blicken auf die Gegenwart und nicht in die Zukunft. Unser Ziel ist der gemeinsame Austausch und Einblicke in spannende Projekte, die uns bisher verborgen blieben. Dadurch schaffen wir das Rüstzeug um unsere Herausforderungen und Ziele zu meistern.
Dabei sein lohnt sich – besonders zum early bird-Preis mit dem Rabattcode: DMW-DICO.