#GenderEquality Bericht: Gegenlobby für die Bremser – ein Gespräch mit Terry Reintke

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Ende Oktober fand in Brüssel der erste Online Feminist Summit statt. Die #DMW waren dabei und haben berichtet. Grünen-Abgeordnete Terry Reintke hatte europäische Frauengruppen zwecks Input zu ihrem Bericht „Gender equality and empowering women in the digital age“ eingeladen. Dieser Report wurde Anfang Mai vom Europaparlament beschlossen. Damit ist der Startschuss für ein spannendes Kapitel in der europäischen Geschichte gefallen.

Zunächst ein kurzer Exkurs in Sachen EU-Gesetzgebung: In der Europäischen Union darf ausschließlich die Europäische Kommission neue Gesetzesvorschläge machen (Initiativrecht). Das Parlament selbst hat diese Kompetenz nicht. Wollen EU-Parlamentarierinnen wie Terry Neuerungen auf den Weg bringen, wird ein sogenannter Report geschrieben, mit dem das Parlament die Kommission auffordern kann, zu einem bestimmten Thema aktiv zu werden. Zuvor muss der Report noch eine letzte Hürde nehmen: die Unterstützung des Parlamentes erhalten. Genau das ist jetzt passiert.

Der Bericht – hier in voller Pracht abrufbar – ist ein 19 Seiten starkes Dokument, das man als Rundumschlag zum Thema Frauenrechte im Digitalen beschreiben kann. In 67 Bullet Points in den Kategorien Teilhabe, Arbeitsmarkt, Aus- und Weiterbildung, Investment und Funding von Entrepreneurship sowie Kampf gegen Gewalt im Digitalen werden Handlungsfelder formuliert, mit denen die Kommission sich befassen soll. Eine Menge Arbeit. Wir haben mit Terry gesprochen, was wir von der Kommission in den nächsten Jahren erwarten können und wo sie den dringendsten Handlungsbedarf sieht.

Bild: Team Reintke
Bild: Team Reintke

Herzlichen Glückwunsch! Der Bericht ist beschlossen. Kannst du kurz umreißen wie die nächsten Schritte aussehen?

In den nächsten Wochen werde ich mich mit den zuständigen Kommissarinnen und Kommissaren treffen. Die Abstimmung war ein großer Erfolg, aber eigentlich geht es jetzt erst richtig los. Eigentlich muss ich die Ergebnisse bei den Kommissaren nochmal durchkämpfen.

 

Welcher Kommissar ist denn in erster Linie zuständig?

Gender Equality ist ein Querschnittsthema und ich werde meine Arbeit sehr breit aufstellen, auch um den Glauben zu brechen, dass es bei der digitalen Agenda um technologische Veränderungen geht. Das bedeutet, dass zahlreiche Ressorts in der Kommission betroffen sind: Von Arbeitsmarkt bis Regionalfördermittel. Digitalisierung verändert unsere Gesellschaft in nahezu allen Bereichen. Genau deshalb muss Geschlechtergerechtigkeit eine ganz zentrale Rolle spielen. Hier brauchen einige Kommissar*innen noch Nachhilfe.

Mein Ziel ist es, die Breite des Themas offen zu legen. Deshalb werde ich mit der Kommissarin für Arbeitsmarkt und Soziales Marianne Thyssen sprechen. Mit Carlos Moedas, der das Thema Forschungspolitik betreut, aber auch mit dem deutschen Kommissar Günther Oettinger, der für den digitalen Binnenmarkt zuständig ist. Věra Jourová, die zuständige Kommissarin für Gleichstellungsfragen, muss endlich konkrete Schritte in der Antidiskriminierungspolitik auf den Weg bringen.

Aber auch andere Arbeitsbereiche der Kommission sind wichtig, um eine inklusive digitale Agenda voranzutreiben, zum Beispiel im Bereich Mittelvergabe. Der Kommissar Jyrki Katainen ist verantwortlich für den sogenannten „Investment Plan“ der Kommission. In meinem Bericht schlage ich vor, ein Investitionsprojekt aufzusetzen mit dem gezielt Unternehmerinnen im ICT Sektor gefördert werden. Gender Equality ist ein sehr breites Aufgabengebiet und der Erfolg meiner Arbeit ist auch davon abhängig, welche Kommissarin und welcher Kommissar Drive und Zugang zum Thema hat und hier etwas voranbringen will.

 

Wie hat sich die Kommission bzw. die zuständigen Kommissare denn bisher zum Thema positioniert?

Bei bestimmten Menschen wird das Thema überhaupt nicht ankommen, das ist einfach so. Günther Oettinger zum Beispiel weigert sich, die digitale Transformation als etwas anderes als eine Technikfrage zu sehen. Das ist der politische Kampf, der mir jetzt bevorsteht. Kürzlich habe ich mich mit der Büroleiterin von Andrus Ansip getroffen (Kommissar für den Digitalen Binnenmarkt). Sie wiederum stand dem Thema mit einer großen Offenheit gegenüber.

 

Wie kann es eigentlich sein, dass soziale Belange bisher in den Debatten zum Digitalen Binnenmarkt nicht aufgetaucht sind? Dass die digitale Transformation unsere Gesellschaft verändert ist ja nicht gerade eine neue Erkenntnis?

Da steckt viel politische Strategie dahinter. Solange etwas nur mit technologischer Datenverarbeitung zu tun hat, interessieren sich nicht viele dafür und reflektieren auch nicht welche Umwürfe das in den nächsten Jahren und Jahrzehnten mit sich bringen wird. Beispiel Netzneutralität: Wenn sich niemand dafür interessieren würde, könnte Oettinger seine Politik gemeinsam mit den Konzernen einfach so durchdrücken.

„Viele Menschen, die im Digitalen arbeiten, wollen überhaupt nicht, dass diese großen Umwälzungen von allen gesehen werden, weil sie sich dann auch mit den Widerständen und Interessenskonflikten auseinandersetzen müssen.“

Viele Menschen, die im Digitalen arbeiten, wollen überhaupt nicht, dass diese großen Umwälzungen von allen gesehen werden, weil sie sich dann auch mit den Widerständen und Interessenskonflikten auseinandersetzen müssen. Ein inklusives Internet bedeutet, dass manche Macht abgeben müssen. Das gefällt natürlich nicht allen.

 

Du forderst die Kommission im Report auf „… to make full use of the ‘Europe for Citizens’ programme to specifically target civil society and women’s organisations working in areas relating to digitalisation and ICT, in order to improve conditions for civic and democratic participation of women and to pay special attention to the gender-specific objectives in the upcoming implementation evaluations“. Heißt das umgekehrt auch wir haben bisher zu sehr vor unserer eigenen Tür gekehrt und sollten uns stärker auf europäischer Ebene einbringen?

Ja, gerade auf europäischer Ebene. Vieles was hier diskutiert und entschieden wird hat kein Korrektiv einer Online-Zivilgesellschaft auf europäischer Ebene. Das ist ein Riesenproblem! Gerade Frauenorganisationen müssen hier eine wichtigere Rolle spielen. Die großen feministischen Kampagnen wie #aufschrei oder #ausnahmslos, waren sehr national gebunden. Aber das Internet und dessen grenzübergreifenden Raum könnte man noch stärker nutzen, wenn wir uns stärker europäisieren. Mit dem Report will ich ganz deutlich sagen: Zivilgesellschaftliche Akteur*innen müssen in der Debatte um Digitalisierung viel mehr Gehör finden.

 

Du erwähnst im Report die Strategy for Equality between Women and Men 2016-2020. Was genau hat es damit auf sich? Hier sprichst du auch direkt von Women’s Networks wie den #DMW und dass wir mehr Unterstützung brauchen. Was genau dürfen wir uns erhoffen?

Die Strategie ist ein nicht so erfreuliches Thema. Als Parlament haben wir dafür gekämpft, dass die Kommission eine Gleichstellungsstrategie vorlegt. Stattdessen werden wir mit einem sogenannten „Staff Working Document“ abgespeist, das bei Weitem nicht die Durchschlagskraft einer Strategie hat. Das ist wirklich eine traurige Entwicklung. Eine Strategie hätte Fördermöglichkeiten für Frauenorganisationen eröffnet und neue Möglichkeiten für grenzüberschreitende Zusammenarbeit eröffnen können. Kommissarin Jourová scheint darauf nicht genügend Augenmerk zu legen.

 

Jetzt ist die Natur eines Rapports, das er alle Ebenen eines Themas anspricht; eine Art Rundumschlag zum Thema Gender Equality. Ich kann mir vorstellen, dass man mit nur einem der 67 Bullet Points ganze Teams für mehrere Jahre beschäftigen kann. Was ist deine Mindest- und Maximalerwartung für die nächsten fünf bis zehn Jahre?

Drei Themen liegen mir sehr am Herzen: Eine stärkere polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit ist absolut essentiell und da hat die Kommission zu liefern. Mir geht es dabei nicht nur um wirksame Gegenwehr gegen antifeministische Trolle. Das Internet ist in seiner Natur grenzüberschreitend und offensichtlich ist es nationalen Behörden aktuell nicht möglich, enger zusammenzuarbeiten. Věra Jourová hat bei diesem Thema eine große Bereitschaft gezeigt. Hier ist weniger die Kommission die Bremse als die Mitgliedsstaaten, da sie sich in Fragen der inneren Sicherheit nicht die Macht aus den Händen nehmen lassen wollen.

Das zweite ist das Thema Geld! Wenn die EU gezielter Mittel für Frauen einsetzen würde, z.B. im Bereich Digitale Demokratie und Digitales Entrepreneurship, wenn es klare Kriterien in den Förderrichtlinien für geschlechtergerechte Entscheidungsstrukturen bei den Antragsteller*innen gäbe, dann wäre ein riesiger Schritt gegangen.

„Wir müssen weiter an einer feministischen Zivilgesellschaft auf europäischer Ebene bauen“.

Und Drittens: Wir müssen weiter an einer feministischen Zivilgesellschaft auf europäischer Ebene bauen. Die Inhalte des Reports kommen von Leuten wie euch, die Erfahrungen haben, riesen Potenzial mitbringen und sich dann immer wieder Hürden gegenüber sehen. Die müssen wir gemeinsam abbauen. Nur mit digitalen Multiplikatoren, können wir langfristig eine soziale Säule für die digitale Agenda etablieren.

 

Was kann jede Einzelne, was können Organisationen wie die #DMW tun?

Wir müssen gemeinsam mehr Krach machen! Wir müssen alle Akteur*innen überzeugen, dass es sich lohnt, Geschlechtergerechtigkeit und Digitalisierung zusammen zu denken. Dazu braucht es Geschichten von Frauen, die was zu sagen haben, die Innovation und Technik weiter denken. Eure Leserschaft gehört dazu. Wir brauchen eine Öffentlichkeit für das Thema. Unterstützt Petitionen, geht demonstrieren, schreibt Briefe an die Kommissar*innen, schließt euch Bündnissen an und bringt das Thema immer auf die Tapete. Hilfreich ist auch der Schulterschluss mit Unternehmen, die verstanden haben, dass es ein Problem ist, wenn bei Ihnen nur 3% Frauen arbeiten. Wir müssen die Gegenlobby sein für die Bremser.

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