Wie geht Diversität in einer Branche, die immer noch einen sehr geringen Frauenanteil hat? Darüber spricht Anne Katharina Rhode, Head of Professional Services bei der Technologieberatung Thoughtworks in einer Sonderfolge des #DMW Podcasts. Dabei geht es um die Förderung des weiblichen IT-Nachwuches genauso wie das Schaffen von inklusiven Arbeitsbedingungen und Karrieremöglichkeiten.
IT-Unternehmen suchen händeringend nach Fachkräften. Gleichzeitig ist das Thema Diversität und Frauen in der IT meist noch unausgewogen. Welche Lösungen es gibt, dem Fachkräftemangel unter anderem durch Förderung der weiblichen Beschäftigten zu begegnen, erzählt Anne Katharina Rhode im Interview mit Sandra Roggow von den #DMW auf der Solutions im Rahmen des Deutschen IT-Leiter-Kongresses (DILK) 2021 in Hamburg. Schon vor mehr als zwei Jahren hatten die #DMW ein Interview mit Rhode im Rahmen der #30mit30-Kampagne geführt.
Mit einer Bandbreite aufeinander abgestimmter Maßnahmen möchte Thoughtworks gezielt Frauen für eine Karriere in der IT-Branche gewinnen, erzählt Rhode. Beispielsweise wird beim Recruiting von Berufseinsteigern auf einen höheren Anteil von Frauen geachtet – um diese dann im Unternehmen wachsen zu lassen und zu fördern. Mit Erfolg: Unter den IT-Fachkräften, die bei Thoughtworks in Deutschland arbeiten, seien mittlerweile 44 Prozent weiblich. Auch wenn der Fokus stark auf Gender ziele, gebe es natürlich viele Arten von Bias und Ungerechtigkeiten, so Rhode, beispielsweise gegenüber unterrepräsentierten Minderheiten oder älteren Beschäftigten. Auch hier müssten Unternehmen verstärkt aktiv werden.
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#DMW – der Podcast. Ein Format der Digital Media Women
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Der #DMW Podcast zum Lesen – Transkript der Folge 9 mit Anne Katharina Rhode
Sandra Roggow (#DMW): In dieser Podcast-Folge schauen wir auf die Solutions bzw. DILK, Deutscher IT-Leiter-Kongress 2021, auf Kampnagel in Hamburg zurück. Die Solutions findet jährlich immer im September statt, und wir haben dort Anne Katharina Rhode von Thoughtworks getroffen, mit der wir zweieinhalb Jahre zuvor ein Interview im Rahmen unserer #30mit30-Kampagne gemacht haben. Das Interview hat damals unsere damalige erste Vorstandsvorsitzende Maren Martschenko geführt. Und auf der Solutions habe ich als damals zweite Vorstandsvorsitzende Katrin interviewt und dabei geschaut, wie sich Thoughtworks in der Zeit weiterentwickelt hat. Am Ende werde ich noch einmal Fragen aus dem Publikum wiederholen, da sie leider nicht so gut in der Tonspur übertragen worden sind. Diese werden nochmal extra eingesprochen. Also nicht wundern. Wir wünschen euch viel Spaß beim Hören unseres Podcasts, und wir hoffen, ihr bekommt dadurch auch schöne Inspirationen fürs Unternehmen, wie ihr aktiv Diversity und Inclusion mit in eurer Unternehmenskultur vorantreiben könnt.
Hallo, herzlich Willkommen zu unserem Podcast. Hallo Katrin, vielen Dank, dass du da bist.
Anne Katharina Rhode: Hallo.
Sandra Roggow: Wir sprechen heute darüber, warum gemischte Teams wichtig für die Innovationsfähigkeit von Unternehmen sind und auch für den wirtschaftlichen Erfolg im Unternehmen, und welche Lösungswege es gibt, dem Fachkräftemangel unter anderem durch Frauen zu begegnen, wie man Frauen für die IT-Jobs gewinnt und auch hält und wie man sie auch dann in Führungspositionen bringen kann. Und darüber haben wir schon vor zweieinhalb Jahren, also unsere damalige Vorstandsvorsitzende Maren Martschenko von den Digital Media Women, mit Katrin und ihrem Kollegen Erik Dörnenburg gesprochen.
Und jetzt wollen wir mal gucken, was sich in der Zeit vielleicht noch getan hat. Warum machen wir #30mit30? Also unsere Kampagne von Digital Media Women beschäftigt sich damit, weil es gesellschaftliche Bedeutung und Relevanz hat. So sagt man, dass ein Anteil von 30 Prozent erst eine Wirkung hat, um Geschlechterstereotype aufzubrechen. Studien von McKinsey beweisen zum Beispiel oder auch von Accenture und der Boston Consulting Group, dass Unternehmen mit mehr Vielfalt und heterogenen Teams einfach viel besseren wirtschaftlichen Erfolg haben. Und dennoch sind Frauen in der IT und auch in Führungspositionen deutlich unterrepräsentiert, gerade in Deutschland.
Thoughtworks legt mit seinen aktuell über 9.000 Mitarbeiter*innen die Messlatte in der Unternehmenskultur und Diversity-Strategie wirklich sehr hoch. Und daher freue ich mich, dass Katrin heute hier ist. Sie ist Head of Professional Services bei Thoughtworks und kann sich jetzt ganz kurz vielleicht nochmal vorstellen?
Anne Katharina Rhode: Ja, hallo und danke für die Einladung – mal wieder. Ich berichte immer gerne darüber, wie wir Diversity bei Thoughtworks vorantreiben. Vielleicht zunächst zu mir: Mein Name ist Anne Katharina Rhode. Ich bin Head of Professional Services bei Thoughtworks in Deutschland, bin Teil des Deutschen Leadership-Teams von Deutschland und kümmere mich um alles, was operativ ist. Das heißt, einerseits die Projekte, die wir für unsere Kunden durchführen, und andererseits arbeite ich mit unseren internen Teams zusammen, Recruitment, People, die Leute, die bei uns Projekte besetzen. Und das Thema Diversity findet sich in allem wieder. Von daher kümmere ich mich besonders gerne darum.
Zu Thoughtworks vielleicht ganz kurz, wer Thoughtworks nicht kennt: Wir sind ein IT-Beratungsunternehmen. Wir kümmern uns mit unseren Kunden zusammen um alles, was digitale Transformation umfasst, angefangen von der Beratung, Strategie, wie gehe ich das Thema an, Produktinnovation, tolle digitale Produkte erfinden und sie bauen. All dies tun wir seit deutlich mehr als 25 Jahren. Wir sind ein internationales Unternehmen, in 17 Ländern vertreten und seit vielen Jahren eben auch in Deutschland unterwegs.
Sandra Roggow: Was macht Thoughtworks Deutschland, und wie seid ihr weltweit aufgestellt? Und kannst du in dem Zusammenhang auch etwas zur Frauenquote sagen bei Thoughtworks?
Anne Katharina Rhode: Ja, das Thema Diversity ist bei Thoughtworks von Anbeginn an ein sehr, sehr wichtiges gewesen. Einerseits, weil wir so eine Kultur der Gerechtigkeit haben und tatsächlich nicht nur antreten, um unsere Kunden zufrieden zu machen und dabei Geld zu verdienen, sondern auch, um sowohl den IT-Bereich als auch die Welt einen besseren Platz zu machen. Das heißt, es gibt sozusagen immer auch einen Aspekt von: Was können wir besser machen, und wie können wir die Welt gerechter machen? Und natürlich ist im IT-Bereich das Thema Diversität und Frauen in der IT ein ganz offensichtlich nicht fair verteiltes. Und von daher war Diversität seit langer Zeit wichtig für uns – und das nicht nur in Deutschland, sondern auch global.
In Deutschland sind wir aber besonders stolz auf auch mittlerweile unsere ja immer wieder produzierten Ergebnisse, weil gerade in Deutschland gibt es einfach sehr, sehr wenige Frauen in der IT, deutlich weniger als 20 Prozent studieren das. Und Maren hat mir gerade erzählt, dass die Zahlen eher sinken und noch deutlich abnehmen. Der überwiegende Teil unserer Mitarbeiter, unserer Consultants sind Software Developer, und da gibt es nicht viele Frauen.
Und ich habe mir gerade heute nochmal die aktuellen Zahlen geben lassen. Es macht vielleicht Sinn, damit anzufangen. Unter den IT-Fachkräften, die bei Thoughtworks in Deutschland arbeiten, sind mittlerweile 44 Prozent Frauen. Gesamt sind es sogar noch etwas mehr, denn natürlich haben wir auch Querschnittsbereiche wie Recruitment, HR, wo es typischerweise nicht so schwierig ist, viele Frauen zu haben. Unser Leadership-Team umfasst 25 Personen. Da sind wir mehr als 50 Prozent Frauen. Das heißt, seit unserem letzten Gespräch haben sich die Zahlen leicht verbessert. Das heißt, auch Corona hat uns nicht davon abgehalten, weiterzumachen mit dem Thema Diversität.
Sandra Roggow: Super, das ist echt spannend. Denn unser Ziel ist es tatsächlich mit #30mit30 … Falls man sich fragt, woher die Zahl kommt: Es geht darum, Unternehmen zu finden mit mindestens 30 Prozent Frauenanteil in den oberen drei Führungspositionen, also Führungsetagen. Und wir haben vor zweieinhalb Jahren angefangen. Ursprünglich wollte unsere ehemalige erste Vorstandsvorsitzender Maren Martschenko das tatsächlich in 30 Wochen schaffen. Das haben wir bis heute nicht geschafft. Wir sind, glaube ich, bei 12 Unternehmen. Ja, warum funktioniert das denn so gut bei euch?
Anne Katharina Rhode: Ich denke, das funktioniert deshalb so gut, weil wir es a) wichtig nehmen und b) eine ganze Bandbreite von aufeinander abgestimmten Maßnahmen treffen. Das fängt an beim Recruitment. Das heißt, wir haben tatsächlich Rekrutierungsquoten, die herausfordernd sind. Also wir erwarten von uns, dass wir tatsächlich mehr als 40 Prozent Frauen einstellen. Was nicht so einfach ist, wenn wir sagen, bei den Software-Developern gibt es deutlich, deutlich weniger. Das ist ein herausforderndes Ziel. Innerhalb aller Einstellungen haben wir bestimmte Strategien. Wir setzen zum Beispiel sehr stark darauf, bei Universitätsabsolventen einen höheren Anteil von Frauen einzustellen, weil wir das leichter finden, und die dann im Unternehmen wachsen zu lassen und zu Consultants und Senior Consultants und dann auch Lead Consultants zu machen. Damit fängt es an. Dann geht es weiter über die Kultur.
Wenn man Frauen im Unternehmen hat oder generell unterrepräsentierte Minderheiten, das ist so, wie wir das mittlerweile betrachten, dann reicht es nicht, wenn man die einstellt und dann sagt: Na ja, jetzt seid ihr hier, und unser Ziel ist erfüllt. Sondern man muss sich natürlich darum kümmern, dass die inkludiert werden, erfolgreich sein können, wachsen können, die gleichen Chancen haben. Da haben wir einen besonderen Fokus auf Frauen und unterrepräsentierte Minderheiten zum Beispiel in unseren Leadership-Programmen. Und es gibt Entwicklungsmaßnahmen, die speziell auf Frauen abzielen.
Zum Beispiel haben wir ein Programm für Senior Developerinnen, die auf dem Schritt sind zum Tech Lead. Das ist sozusagen die erste Leadership-Position, die man typischerweise in IT-Teams hat, um die schneller dorthin zu bringen und zu ermutigen. Das ist ein Programm, wo sich Senior Developerinnen treffen, Erfahrungen austauschen, vielleicht auch offen über Ängste sprechen können, über Herausforderungen im Kontakt mit Kunden, im Kontakt mit Kollegen. Das ist sozusagen das Thema Führungsnachwuchsentwicklung, wo wir bestimmte Maßnahmen haben.
Das ganze Thema Inklusion und wie arbeiten eigentlich Teams miteinander und wie gleichberechtigt können Minderheiten in Teams agieren ist uns wichtig. Schon wenn Mitarbeiter neu zu uns kommen, die erste Woche gestalten wir mit einer Einführungswoche. Und schon da fängt es an, dass wir eine, wir nennen das Induction, zum Thema Unconscious Bias und Gender Bias oder Bias im Allgemeinen haben. Das heißt, da werden Informationen verteilt und damit natürlich gleichzeitig auch Erwartungen geweckt, dass uns das wichtig ist.
Die Art und Weise, wie wir in Teams zusammenarbeiten: Wir haben bestimmte soziologische Teamkonzepte, mit denen wir arbeiten, die fördern das auch. Das sind jetzt einige Beispiele von Maßnahmen. Und am Ende schafft man das nur konsistent, wenn man die ganze Bandbreite von Ideen von vorne bis hinten, irgendwie familienfreundliches Arbeiten, wenn man sich um alles kümmert.
Sandra Roggow: Was macht ihr aktiv, um Frauen für Thoughtworks zu gewinnen und vor allen Dingen auch zu halten?
Anne Katharina Rhode: Zum einen: gewinnen. Ich habe gesagt, wir haben eine Hiring-Quote, und die kontrollieren wir. Und wenn wir da absinken, dann merken wir das relativ schnell, und dann kümmern wir uns darum. Und natürlich zum Beispiel durch Veranstaltungen wie diese hier versuchen wir schon immer wieder darauf aufmerksam zu machen, dass wir für Frauen eine tolle Heimat sind, für Frauen, die Interesse haben an einem Job in der IT.
Es gibt auch bestimmte Marketingmaßnahmen, die speziell auf Frauen abzielen, wo wir so unter den Frauen ein Netzwerk machen. Mittlerweile geht Hiring im Bereich IT gar nicht mehr so sehr über Leute bewerben sich oder irgendwie Kandidaten bewerben sich, sondern vieles ist auch Active Sourcing. Das heißt, wir arbeiten nicht mit Headhuntern zusammen, sondern haben ein relativ großes eigenes Rekrutierungsteam, was natürlich dann auch, weil sie Teil des Unternehmens sind und auch Teil der Kultur sind, super erklären kann, was wir machen und was uns wichtig ist.
Sandra Roggow: Und eure Lösungsansätze, wenn Frauen plötzlich dann doch mal unsicher sind, also zum Beispiel bei euch jetzt mit Reisen, was jetzt bei Corona nicht mehr so stark ist, aber wenn sie sagen: Ich möchte jetzt nicht fünf Tage die Woche von zu Hause weg sein, was sind da die Lösungsansätze, um die Frauen dann im Unternehmen zu halten? Ich meine, das ist auch ein Thema, was Männer genauso betrifft, die wollen ja auch vielleicht bei ihren Familien sein.
Anne Katharina Rhode: Gut, jetzt ist es seit anderthalb Jahren natürlich wirklich anders. Wir sitzen seit anderthalb Jahren nun auch immer noch im Homeoffice alle zusammen. Jetzt hatten wir irgendwie andere Themen, was Frauen angeht, weil natürlich viele mit kleinen Kindern zu Hause waren. Da kann ich gleich noch was dazu sagen. Zurück sozusagen 2019 und davor sieht das Leben eines IT-Consultant oft so aus, dass man montagmorgens in den Zug steigt oder in ein Flugzeug steigt und dann zu seinem Kunden fährt und dort arbeitet bis donnerstagnachmittags und dann wieder zurückkommt. Das ist natürlich per se erstmal nicht übermäßig familienfreundlich. Und das ist auch eine Herausforderung, muss man sagen.
Umso besser, dass wir trotzdem die Zahlen schaffen. Das heißt, die Ansprüche sind erstmal an Frauen gleichermaßen so wie Männer. Und natürlich beide kommen dann irgendwann in das Alter, wo sie eine Familie gründen, Kinder haben oder vielleicht sich auch schon mit Kindern bei uns bewerben. Und das ist und wird vielleicht auch wieder eine konstante Herausforderung, die wir versuchen, dadurch anzugehen, dass wir tatsächlich versuchen, lokal in den Städten zu besetzen, das heißt, Mitarbeiter aus Hamburg bei Hamburger Kunden. Dass wir Kollegen, wenn es die Möglichkeit gibt, auch auf interne Rollen staffen. Am Ende stehen wir dazu, wir haben, in Englisch, einen Business Run, und müssen mit dieser Herausforderung umgehen. Und trotzdem ist es uns in den letzten Jahren immer gelungen, dass die Kündigungsrate unter Frauen leicht niedriger ist.
Es ist durchaus üblich in der IT-Beratung, dass Mitarbeiter sagen nach vier, fünf, sechs Jahren: Jetzt kann ich das nicht mehr machen oder will das nicht mehr machen. Das ist okay, das ist sozusagen Teil des Modells. Man sieht viel, man lernt viel, man kann in verschiedenen Umfeldern arbeiten. Und trotzdem haben wir es geschafft, dass die Kündigungsrate bei Frauen niedriger ist, eben weil Frauen so gute Chancen haben, sich zu entwickeln bei uns.
Sandra Roggow: Du hattest ja vorhin schon von Leadership-Programmen gesprochen. Wie geht ihr insbesondere vor, wenn ihr Leadership-Positionen durch Frauen besetzen möchtet?
Anne Katharina Rhode: Zunächst einmal haben wir für, sage ich mal, die Key-Leadership-Position ein sogenanntes „succession planning“. Das heißt, wir warten nicht, bis jemand vielleicht auf eine neue Rolle geht oder das Unternehmen verlässt, sondern zumindest für die wesentlichen Haupt-Leadership-Rollen haben wir eine Idee, wenn das passiert, wer könnte nachfolgen. Und da berücksichtigen wir das Thema Geschlecht von vornherein. Das heißt, wir achten darauf, dass wir unsere Quote, die wir auch fürs Leadership haben, von 40 Prozent auch beim „succession planning“ beachten. Und am Ende muss man ganz simpel sagen: Es ist nicht einfach, im Leadership im IT-Bereich 40 Prozent Frauen zu haben. Man muss dafür was tun und wirklich systematisch Frauen dorthin entwickeln – Männer auch, aber die gibt es halt mehr. Also man muss irgendwie alle dahin entwickeln. Aber wenn man 40 Prozent Frauen im Leadership haben will, dann muss man sich das vornehmen und dafür auch was tun.
Sandra Roggow: Du hattest ja gesagt vor zweieinhalb Jahren im Interview mit den Digital Media Women, dass ihr auch auf die leisen Frauen achtet, die jetzt nicht so selbstbewusst sagen: Hier bin ich, ich möchte unbedingt in Führung gehen.
Anne Katharina Rhode: Wir achten aber auch auf die leisen Männer.
Sandra Roggow: Das ist auch wichtig, genau.
Anne Katharina Rhode: Ja, das ist ja sozusagen geschlechterunabhängig, wer introvertiert ist und wer extrovertiert ist und wer laut nach Karriere ruft und wer das eher leise tut. Und unsere Erfahrung ist, dass durchaus Highperformer oft nicht diejenigen sind, die ganz viel Lärm um sich machen und um ihre Karriere machen. Was bei Frauen vielleicht etwas überdurchschnittlich zu beobachten ist, aber das gibt es bei Männern auch, ist das sogenannte Impostor-Syndrom, dass man es sich irgendwie nicht so richtig zutraut und deswegen etwas mehr Ermutigung und vielleicht auch mal einen kleinen Stups braucht.
Und das versuchen wir zu erkennen und dann auch zu unterstützen, ohne zu bedrängen, ohne jemanden jetzt in die Opposition hinein zu quatschen. Weil am Ende, wenn einem Leadership nicht liegt, dann kann man es vielleicht mal probieren, aber irgendwie dauerhaft glauben wir daran, dass man glücklich wird und auch gut ist, wenn man das tut, was man wirklich tun will.
Sandra Roggow: Und wie gehen die Männer dann mit um, dass sich so vieles bei euch um die Frauen dreht?
Anne Katharina Rhode: Gut. Aber auch dafür tun wir etwas. Schon in unserem Interviewprozess, der relativ aufwendig ist und durch den ja alle unsere Mitarbeiter laufen, schauen wir auf das Thema Fairness, Bias, die Einstellung zum Thema Gender. Eines unserer Interviews, das wir mit allen Mitarbeitern machen, ist so ein Culture-Fit-Interview. Da werden nicht nur diese Sachen, aber auch das wird versucht zu diskutieren. Das heißt, wenn sich jemand bewirbt und in einem solchen Interview auffällt, dass da sehr viele Stereotype vorhanden sind, oder komische Sprüche gemacht werden, jetzt nicht nur gegen Frauen, vielleicht auch gegen, weiß ich nicht, farbige Kollegen oder so, dann würden wir, wenn wir das merken, von der Einstellung absehen. Das heißt, wir achten schon von vornherein darauf, dass es gar nicht so viel Konfliktpotential gibt.
Ansonsten, wenn man das Thema offen anspricht immer wieder und es auch klar ist, jedem aus dem Leadership ist es wichtig, in den Teams ist es wichtig, dann gewöhnen sich die Leute sozusagen auch eine neue Kultur an. Also ich meine, jeder hat seinen Bias, du, ich, vielleicht nicht gegen Frauen, aber gegen was anderes. Man wächst in einem bestimmten Kontext auf. Und der Mensch ist ja adaptiv, das heißt, man übernimmt das, was um einen herum passiert. Und wenn dort ein Bias war, gegen was auch immer, dann wird man das übernehmen. Das ist auch erstmal so gar nicht schlimm. Wichtig ist es, dass man da offen drüber spricht und es erkennt und versucht, Stereotype und Vorurteile abzubauen.
Sandra Roggow: Und diese Trainings macht ihr ja auch regelmäßig, nicht? Das macht ihr ja nicht nur im Assessment?
Anne Katharina Rhode: Genau. Wir machen zwei Arten von Trainings. Ich hatte vorhin die Unconscious-Bias-Trainings erwähnt, wo es ja um Grundlagenwissen und darum geht, wie funktioniert das überhaupt und wie kann man das auch an sich selber feststellen. Und das andere ist: Wir sind natürlich trotzdem gerade als IT-Consultancy ja nicht nur in unseren eigenen Teams unterwegs, sondern wir arbeiten ja in gemeinsamen Teams mit Kunden. Und da haben wir natürlich keinen Einfluss, welche Mitarbeiter vom Kunden auf die Projekte besetzt werden.
Und natürlich begegnen wir allen möglichen Verhalten. Sozusagen was im Bundesdurchschnitt passiert, das passiert auch in unseren Projekten. Und deswegen versuchen wir auch zu trainieren, was ist denn, wenn wir eine solche Situation erleben, wenn ein Team eine solche Situationen erlebt, eine Frau wird von einem Mann in irgendeinem Kontext, in einem Meeting minimiert, nicht zugehört, ein Argument wird nicht für wichtig genommen. Wie können denn vielleicht die Kollegen und idealerweise die männlichen Kollegen dann damit umgehen, wenn sie das bemerken, und einen solchen Fall unterstützen.
Sandra Roggow: Wie nehmen das denn überhaupt die Kundenunternehmen an, also wenn sie merken, dass sie da bei euch auch noch diese Unternehmenskultur miteinkaufen? Ist ihnen das bewusst?
Anne Katharina Rhode: Ja, das ist irgendwie schwer zu verbergen, glaube ich, weil viele Thoughtworker sehr passionate about das Thema sind, und dann kommt es früher oder später zur Sprache. Das ist ein bisschen unterschiedlich. Viele Unternehmen heute haben ja die gleichen Ziele wie wir, sind vielleicht noch nicht so weit wie wir, aber haben die gleichen Ziele. Alle IT-Unternehmen ringen händeringend um neue Mitarbeiter und versuchen, Möglichkeiten zu finden, Mitarbeiter an ihr Unternehmen zu binden und attraktive Arbeitsumgebungen zu schaffen. Und das ist eben ein Teil davon.
Viele große Unternehmen, also wir arbeiten ja für viele große deutsche Kunden, haben auch Diversity-Programme, vielleicht nicht ganz so ausgefeilt und auf ihrer Reise sind sie noch nicht so weit. Von daher gibt es schon oft irgendwie auf einem hohen Level ein Agreement und ein Alignment. Und dann ist es recht unterschiedlich. Manche Unternehmen sprechen uns explizit darauf an: Wie macht ihr das? Wie kriegt ihr das so toll hin? Und können wir von euch lernen? Also solche Gespräche, wie ich jetzt hier habe, habe ich hin und wieder auch mit Kunden oder die Kollegen aus unserem Recruitment oder aus unserem People-Team. Und für andere ist es noch nicht so wichtig. Dann drängen wir uns jetzt nicht unbedingt auf. Also wir sind in allererster Linie dafür da, digitale Produkte zu bauen und unseren Kunden bei ihrer digitalen Transformation zu helfen.
So, und dann kommt es vielleicht in einer Teamsituation dann doch mal zur Sprache, und dann nehmen wir sozusagen das an, den Kunden dort an, wo er steht auf seiner Reise. Was in seltenen Fällen schon passiert, und da sind wir dann auch konsequent, also wenn es sozusagen wirklich Verhalten gibt, wo wir sagen: Nein, das ist jenseits der Grenze, was wir akzeptieren wollen oder was wir auch unseren Mitarbeiterinnen zumuten wollen, dann gibt es schon in wirklich seltenen Fällen, aber da sind wir auch konsequent, wo wir dann irgendwie Feedback geben oder tatsächlich auch mal eine Mitarbeiterin abziehen aus einem Projekt. Aber, gut, das kommt maximal einmal alle zwei Jahre oder so was vor.
Aber auch das ist wichtig, dass die Mitarbeiter sehen: Bis hierhin und nicht weiter. Und dann ist sozusagen mein Wohlergehen und Gerechtigkeit und Fairness Thoughtworks wichtiger als vielleicht der Revenue, den wir dann dadurch verlieren. Auch das ist sozusagen ein Baustein von dem, dass Mitarbeiter denken: Nein, nein, das ist hier schon ein ernstes Thema.
Sandra Roggow: Vielen Dank. Jetzt kommen wir zu den Fragen aus dem Publikum. Es wurde gefragt: Ihr habt eine 40-prozentige Einstellungsquote und sagt, ihr wollt nicht unter 40 Prozent bei der Einstellung von Frauen rutschen. Sagt ihr dann: Okay, solange wir keine Frauen finden, können wir die Stelle nicht besetzen? Oder habt ihr noch andere Maßnahmen?
Anne Katharina Rhode: Also dadurch, dass wir ein IT-Consultancy-Unternehmen sind, stellen wir kontinuierlich ein und weniger für eine konkrete Stelle. Also wir haben sozusagen nicht so einen Stellenplan, weil die Mitarbeiter rotieren ja von Projekt zu Projekt. Von daher geht es bei uns eher darum, wie viele Software Developer stellen wir ein, wie viele Businessanalysten. Und wir gucken, wir monitoren, ob wir da runterrutschen. Und dann ist es eher so, dass das Recruitment-Team beim Aufbau der Pipelines, beim Sourcing nennt man das, wenn man sozusagen auf Linkedin und wo immer irgendwie neue Mitarbeiter sucht, dass die Pipelines entsprechend aufgebaut sind.
Im Detail haben wir innerhalb aller Mitarbeiter schon noch eine spezielle Strategie, weil das ist tatsächlich nicht so einfach, 40 Prozent Frauen einzustellen. Wir setzen darauf, dass wir gerade bei den eher weniger erfahrenen Mitarbeitern, Universitätsabsolventen und jüngere Consultants, also Kolleginnen und Kollegen mit vielleicht nur zwei, drei Jahren Berufserfahrung, dort stellen wir mehr Frauen ein, also 60 oder 70 Prozent, und lassen die dann bei Thoughtworks wachsen.
Das heißt, es hat auch mehrere Jahre gedauert. Wir hatten nicht immer über 40 Prozent Frauen, sondern wir sind dahin gekommen dadurch, dass wir jüngere Mitarbeiter, dass wir da 60 Prozent und teilweise auch mehr eingestellt haben und die dann hoffentlich bei uns bleiben. Gerade bei Senior Developern und Lead Developern ist bei uns auch die Einstellungsquote so um die 20 Prozent, denn es gibt eben einfach keine auf dem Markt. Das ist so ein bisschen sozusagen eine Strategie, die auch über mehrere Jahre wirkt. Und dann sind wir irgendwann tatsächlich auf die auf 40 Prozent gekommen oder jetzt sogar über 40 Prozent.
Sandra Roggow: Eine weitere Frage aus dem Publikum hier. Das klingt alles ganz toll. Hat man bei euch auch mit 50plus eine Chance?
Anne Katharina Rhode: Ich bin 50plus.
Sandra Roggow: Dann noch ergänzend: Das klingt alles so, als baut ihr euch selber auf. Aber stellt ihr auch Ältere ein?
Anne Katharina Rhode: Also, das ist tatsächlich eine interessante Frage. Wir haben jetzt sehr stark auf Gender fokussiert, aber es gibt natürlich viele Arten von Bias und Ungerechtigkeit. Und in der IT-Branche sagt man, und das halte ich auch für richtig, dass es auch einen Bias gegen ältere Mitarbeiter gibt, dass die dann die neuen Techniken nicht mehr beherrschen oder nicht mehr up-to-date sind oder mit digitaler Transformation nichts mehr am Hut haben, ihren Leadership-Style nicht mehr ändern können.
Wir haben tatsächlich einige Mitarbeiter, die älter sind. Aber die meisten sind tatsächlich unter 50. Die, die älter sind, sind dann oft auch schon in Leadership-Rollen, also Projektmanager oder so Leute wie ich. Wir haben kein Programm, was gezielt nach Älteren sozusagen sucht, um das ähnlich zu machen. Wir sind jetzt dabei.
Wir haben im letzten Jahr zum ersten Mal einen Diversity- oder einen Engagement-Survey gemacht, so eine Mitarbeiter-Zufriedenheitsumfrage. Das machen ja viele Firmen. Das machen wir auch. Aber wir haben einen speziellen Diversity-Fragenanteil hinzugefügt und mussten dann selbstkritisch feststellen, dass Frauen … Also es gibt natürlich immer mal wieder irgendwie Probleme, aber dass wir im Großen und Ganzen ziemlich gut unterwegs sind. Aber wir haben schon das Feedback bekommen zum Beispiel, dass Kolleginnen, farbige Kolleginnen, dass die sich durchaus nicht so gut repräsentiert fühlen. Das heißt, wir wenden uns jetzt eher anderen Diversity-Bereichen schon zu, wo auch wir noch was zu tun haben.
Sandra Roggow: Und noch eine Frage aus dem Publikum. Bei Moia gibt es einen Workshop zu Unconscious Bias für Mitarbeiter. Macht ihr sowas bei Thoughtworks auch?
Anne Katharina Rhode: Bei Moia, ah, interessant. Ja, Moia ist auch einer unserer Kunden. Ja, genau, das machen wir auch, und zwar in zwei Arten: einerseits so ein Basistraining, was ist überhaupt Unconscious Bias und gegen was kann man Vorurteile haben und wie wirkt das auch, was sind die Mechanismen, wie dann am Ende Diskriminierung wirkt. Weil das ist ja heutzutage in extrem seltenen Fällen wirklich rassistische Witze oder Frauenwitze. Das ist ja irgendwie viel subtiler so auf der Ebene der Micro-Aggression, sodass man es sozusagen auf den ersten Blick gar nicht erkennt, was es aber viel problematischer macht, ständig das Unterhöhlen der Reputation, des Selbstbewusstseins von Frauen oder anderen diskriminierten Minderheiten. Das ist sozusagen das eine. Und vorhin habe ich gesprochen über dieses Ally-Skills-Training, was können andere, die so ein Verhalten beobachten, wie kann man das erkennen, und das kann man dann tun. Eine Frage können wir noch.
Sandra Roggow: Und eine letzte Frage aus dem Publikum. Da sagt die Teilnehmerin: Mich würde interessieren, ob ihr auch Möglichkeiten bietet, als Mitarbeiter in Arbeitsgruppen aktiv an der Unternehmenskultur in puncto Diversity und Inclusion mitzuwirken. Gibt es das bei Thoughtworks?
Anne Katharina Rhode: Ja, das können sie. Wir haben eine Repräsentantin in unserem Leadership-Team, die sozusagen der D-und-I-Lead ist, Diversity, Equity und Inclusion Lead. Und die hat zu verschiedenen Themen, was Inklusion, Diversität angeht, so Arbeitsgruppen. Und da können sich Mitarbeiter freiwillig engagieren. Und die bearbeiten dann Themen, die machen zum Teil Veranstaltungen, die denken sich Dinge aus. Und das wird auch nicht durch mich oder durch das zentrale Leadership-Team gesteuert. Also da gab es irgendwie zum Beispiel einen ganz langen Veranstaltungszyklus mit Meetups zu solchen Themen. Und aus diesen Gruppen kommt dann auch hin und wieder nochmal ein Feedback. Also ich meine, ich habe natürlich jetzt überwiegend erzählt, was wir gut machen. Aber ich kann natürlich auch nicht verhehlen, dass es trotzdem manchmal klappen muss. Und aus diesen Gruppen kommt dann auch Feedback, und die kommen mit Vorschlägen.
Sandra Roggow: Vielen Dank, danke Katrin.
Anne Katharina Rhode: Gerne.
Sandra Roggow: Ich freue mich, dass du da warst, vielen Dank.