Im Rahmen der Kampagne der #30mit30 präsentieren die Digital Media Women 30 Unternehmen aus verschiedenen Branchen, die einen Frauenanteil von über 30 Prozent vorweisen können. Wir sind dieses Mal bei der Bremer Internet-Agentur Webmen zu Besuch: Die Geschäftsleiterin, Christiane Niebuhr-Redder, teilt im Gespräch mit #DMW Bremen/Oldenburg Quartiersleiterin Lisa Ringen-Jacobs ihre Erfahrungen, Herausforderungen und Erfolge mit uns.
Lisa Ringen-Jacobs: Bitte stelle dich doch einmal vor und beschreibe, was Webmen genau macht.
Christiane Niebuhr-Redder: Mein Name ist Christiane Niebuhr-Redder. Ich habe mit drei Partnern vor 28 Jahren Webmen gegründet. Wir haben uns als Internet-Agentur mit Fokus auf Website-Erstellung selbstständig gemacht. Dazu kamen dann im Laufe der Jahre noch die Anwendungsentwicklung – Mobil und Fachanwendungen – und das Online-Marketing. Inzwischen sind wir mit diesen beiden Standbeinen sehr gut aufgestellt.
Lisa Ringen-Jacobs: Wie war die Konstellation bei der Unternehmensgründung?
Christiane Niebuhr-Redder: Da waren wir tatsächlich drei männliche und eine weibliche Gründerin.
Lisa Ringen-Jacobs: Das heißt, es gab dann mehr Männer als Frauen?
Christiane Niebuhr-Redder: Wir hatten ein Drei-zu-eins-Verhältnis, genau. Das war auch lange Jahre so. Und es ist im Grunde noch immer so. Was die Gesellschafter angeht, haben wir jetzt ein Drei-Männer-Verhältnis, weil ich als Gesellschafterin ausgeschieden bin. Dafür bin ich alleinige Geschäftsführerin.
Lisa Ringen-Jacobs: Und wenn du dir dein gesamtes Unternehmen anschaust: Wie steht ihr da in puncto Frauenanteil?
Christiane Niebuhr-Redder: Wir hatten nie eine Philosophie zu dem Thema. Über das ganze Unternehmen sind wir ungefähr 40-60. Also etwa zwei Drittel Männer und ein Drittel Frauen, wobei die Frauen eher in den organisatorischen Funktionen und im Marketing sind. Unser Designer ist ein Mann, der bricht dann wieder durch dieses Rollenmuster durch. Und in der Entwicklung haben wir zwei Frauen, eine davon auch als Teamleitung.
Junge Frauen für die IT begeistern
Lisa Ringen-Jacobs: Gab es konkrete Bestrebungen, den Frauenanteil zu erhöhen? Oder war das einfach kein Thema, weil es auch nie ein Problem dargestellt hat?
Christiane Niebuhr-Redder: Ich habe immer versucht, junge Frauen für die IT zu begeistern. Das fängt mit den Schulpraktikant*innen und dem Girls-Day-Schnuppertag an. Meine Kolleg*innen und ich haben uns bei diesen Aktivitäten immer engagiert. Man arbeitet da sehr gegen kulturelle Prägungen an. Wenn ich vor 15 Jahren zu einem Infotag an eine Schule gegangen bin, war ganz klar: Die Mädchen haben sich für Design interessiert und die Jungs für Entwicklung. Das weicht mittlerweile ein bisschen auf. Dass IT etwas für Jungs ist, ist ein sehr deutsches Phänomen. In den Ländern um uns herum ist das nicht unbedingt der Fall. Ich weiß, dass der Frauenanteil in der IT im westeuropäischen Ausland und englischsprachigen Raum deutlich höher ist. Sehr schade, da es ein super spannender Beruf mit viel Zukunft ist. Noch dazu ist er gut bezahlt und bietet vielfältige Möglichkeiten, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Das sehe ich auch an meinen Kolleg*innen.
Lisa Ringen-Jacobs: Die jungen Menschen, die hier beim Zukunftstag waren, hattest du da das Gefühl, ihr konntet sie für das Thema IT begeistern?
Christiane Niebuhr-Redder: Nein, ich glaube da haben wir nur ein paar klassische Vorurteile gegenüber der Branche aufweichen können. Zum Beispiel, dass hier nicht nur Nerds mit Cappuccino, Cola und Snacks vor dem Rechner sitzen. Ein ganz tolles Erlebnis war aber das TandemPower: Das ist ein Projekt bei dem eine Schule und ein Unternehmen zusammengebracht werden. In Kleingruppen haben 25 Schülerinnen und Schüler bei uns eine Unternehmensrallye gemacht, um Webmen kennenzulernen. Dabei ist so viel Dialog entstanden, so viel Austausch – ich denke schon, dass das etwas bewegt hat. Und was mich sehr gefreut hat: Knapp die Hälfte waren Mädchen.
Frauen in Führung bringen: Mit Coaching Barrieren überwinden
Lisa Ringen-Jacobs: Was würdest du Unternehmen raten, die vor dieser Herausforderung stehen, ihre Führungsriege diverser und auch weiblicher aufzustellen?
Christiane Niebuhr-Redder: Es hat sich sehr bewährt, Frauen, die für eine Führungsposition in Frage kommen, erstmal direkt darauf anzusprechen und bei Interesse zu coachen. Üblicherweise haben Frauen nämlich erstmal Bedenken, ob sie so eine Position auch ausfüllen können. Internes oder externes Coaching kann helfen, Barrieren beim Thema Führung zu überwinden. Dabei handelt es sich um ein intensives Gespräch über Möglichkeiten und Erwartungen, auch angesichts der persönlichen Situation. Außerdem bietet es eine zusätzliche Möglichkeit zur Weiterqualifizierung in bestimmten Feldern. Wir haben mittlerweile fünf weibliche und zwei männliche Führungskräfte.
Lisa Ringen-Jacobs: Wie bist du bei diesem Coaching-Ansatz vorgegangen? Bist du selber auf die Personen zugegangen, bei denen du dir das vorstellen konntest?
Christiane Niebuhr-Redder: Ich habe in den letzten 20 Jahren immer individuelle Gespräche geführt und dabei gefragt, ob die Personen sich das vorstellen können, in eine Teamleitungsfunktion zu gehen – übrigens nicht nur mit Frauen, sondern auch mit Männern. Das habe ich immer dann gemacht, wenn ich Talent gesehen habe, das man fördern und entwickeln kann. Die Anzahl der Menschen, die sich zutrauen, Verantwortung zu übernehmen, ist überschaubar. Viele sind glücklich und zufrieden mit einer Fachkarriere.
Lisa Ringen-Jacobs: Es gibt ja dieses Klischee – das vielleicht auch keines ist – dass Frauen sich Führung nicht so zutrauen oder das Gefühl haben, andere wären fähiger. Hast du das auch beobachtet?
Christiane Niebuhr-Redder: Es ist einfach eine andere Sichtweise. Der Klassiker ist ja: Ich habe eine Stellenanzeige mit zehn Kriterien für den oder die Kandidatin. Ein Mann erfüllt die Hälfte davon und sagt: „Hui, hier bewerbe ich mich“. Und eine Frau erfüllt acht davon und sagt: „Oh nein, das ist nichts für mich.“ Das ist natürlich überspitzt, aber meine Erfahrung bestätigt das auch. Und deshalb ist eben dieses persönliche Gespräch, das Ermutigen und In-Aufgaben-reinwachsen-Lassen sehr wichtig, wenn man mehr Frauen in Führungspositionen haben möchte. Das gilt aber sowohl für Frauen als auch Männer.
Die Persönlichkeit ist wichtiger als das Fachwissen
Lisa Ringen-Jacobs: Gab es bei Webmen einen Kulturwandel oder hat sich die Sichtweise zu der Frage, wer für eine Führungsposition infrage kommt, gewandelt?
Christiane Niebuhr-Redder: Als ich angefangen habe, habe ich mir die Geschäftsführung noch nicht zugetraut und hätte das wahrscheinlich auch nicht allein gemacht. Nur in diesem Pairing mit Dirk und den Gesellschafter*innen im Rücken. Hat sich meine Perspektive gewandelt? Ja, besonders in Bezug auf die Frage: Ist die Person bereit und fähig, Verantwortung zu übernehmen? Das ist eigentlich das entscheidende Kriterium. Alles andere kann man lernen. Im Unternehmen ist es genauso. Wir schauen viel individueller auf die einzelnen Menschen hier im Unternehmen – auf Potenziale und Entwicklungsmöglichkeiten. Früher haben wir eher auf Techniken geguckt. Das ist wirklich sekundär.
Lisa Ringen-Jacobs: Was hat dich denn letztendlich zu dem Schritt der Gründung ermutigt?
Christiane Niebuhr-Redder: Das war 1995, die Aufbruchsphase Internet. Das erste Mal in Echtzeit eine E-Mail mit jemandem in Schweden oder in den USA auszutauschen – das war wirklich toll. Wir wollten was machen und ich hatte schon immer darüber nachgedacht, mich selbstständig zu machen. Für mich als Diplom-Biologin gab es damals kaum wissenschaftliche Stellen. Ich musste nach Alternativen suchen – eigener Chef sein fand ich dabei ganz gut. Wer einmal unter blöden Arbeitsverhältnissen gearbeitet hat, ist sehr motiviert, die leitende Selbstständigkeit auf sich zu nehmen.
Führen heißt abgeben – nicht alles alleine machen
Lisa Ringen-Jacobs: Hast du für Frauen, die entweder eine Gründung anstreben oder gerne den nächsten Karriereschritt gehen möchten ein paar Tipps?
Christiane Niebuhr-Redder: Also eine der besten Ideen, die ich damals hatte, war es, mich fachlich so aufzustellen, dass ich mich sicherer gefühlt habe. Ich habe zum Beispiel an einem Gründerkurs von der Handelskammer teilgenommen. Der hat mir etwas Rüstzeug mit auf den Weg gegeben. Auch der Austausch mit anderen Gründerinnen und Gründern war sehr wichtig. Außerdem habe ich mich über ein Fernstudium betriebswirtschaftlich sattelfester gemacht. Dazu kommen noch Führungskräfte-Coachings und Trainings, bei denen das ganze Handwerkszeug zu den Themen Gesprächsführung, Mitarbeiter*innenführung dran kam.
Mein wichtigstes Learning aus meiner Zeit als Geschäftsleiterin: sich immer darauf zu fokussieren, dass es nicht darum geht, alles allein umzusetzen. Viel wichtiger ist es, Arbeit abzugeben und Vertrauen in andere Menschen zu haben. Eine gesunde Fehlerkultur ist dabei sehr wichtig. Manchmal geht das Lernen nur darüber.
Lisa Ringen-Jacobs: Führen und eine Abteilung leiten, das hat auch etwas mit Macht zu tun. Glaubst du, dass Macht für Frauen negativ belegt ist?
Christiane Niebuhr-Redder: Ja, das glaube ich. Weil Macht eben auch immer mit Machtmissbrauch gleichgesetzt wird – so wie Technik oft mit Technikmissbrauch verglichen wird. Ich verstehe Macht mehr im Sinne der Handlungsvollmacht: Ich kann etwas tun. Und das richtig eingesetzt kann unheimlich klasse sein. Aber Handlungsvollmacht beinhaltet auch immer das Risiko des Scheiterns, das sollte man nicht vergessen.
Lisa Ringen-Jacobs: Das heißt, ein weiterer Tipp wäre keine Angst vor Scheitern?
Christiane Niebuhr-Redder: Ja, also aus Fehlern lernt man am meisten. Das ist einfach so. Und es ist selten so, dass sich Probleme durch Aussitzen lösen lassen. In der Regel ist es besser, eine nicht ganz richtige Entscheidung zu treffen als gar keine.
Der Austausch mit anderen ist wichtig
Lisa Ringen-Jacobs: Hast du selber Erfahrungen damit gemacht, dass es anderen merkwürdig aufstößt, dass eine Frau Geschäftsführerin ist?
Christiane Niebuhr-Redder: Ja, doch, natürlich. Das Interessante an dieser Art Resonanz ist, dass sie sich in der Regel nicht (verbal) äußert, aber durchaus zu spüren ist. Ich vertrete das Unternehmen ja in etlichen Gremien, darunter sind einige auch sehr traditionell aufgestellt. Ein paar der Herren dort – und es sind nicht zwingend die steinalten – stören sich daran, dass sie nicht mehr exklusiv unter sich sind. Es gibt auch einige Kund*innen, die Schwierigkeiten mit ihrem Vertrauen hatten. Diese Geschäftsbeziehungen sind dann nicht zustande gekommen.
Lisa Ringen-Jacobs: Wie wichtig ist für dich Netzwerken?
Christiane Niebuhr-Redder: Total wichtig. In unserem Frauenberufsnetzwerk, dem BPW habe ich zum Beispiel viel darüber gelernt, wie man Projekte organisiert, wie man führt, wie man macht. Gerade in einer Führungsposition ist der Austausch mit anderen wichtig. Da geht es dann darum, wie andere bestimmte Entwicklungen, die wirtschaftliche Lage, bestimmte Strategien, bestimmte Moden und so weiter beurteilen. Nur so kommt man voran.
Lisa Ringen-Jacobs: Wie geht es dir mit deiner Rolle als Geschäftsleiterin?
Christiane Niebuhr-Redder: Es ist wirklich toll zu sehen, wenn Ideen, die alleine oder gemeinsam entwickelt wurden, von der Umsetzung zum Erfolg werden. Außerdem erlebe ich mit wie sich Menschen im Unternehmen entwickeln und wie sie aufblühen, wenn man ihnen Chancen gibt. Das kannst du nur als Führungsfrau auf den Weg bringen.
Lisa Ringen-Jacobs: Dankeschön für das inspirierende Gespräch.
Fakten zum Unternehmen
- Webseite: https://www.webmen.de/
- Branche: Internet
- Anzahl Mitarbeiter*innen: 30
- Frauenquote: 40 %
Das #30mit30 Team bei diesem Interview
- Interview: Lisa Ringen-Jacobs
- Autorin: Clara Baumert
Bilder: DMW Bremen/Oldenburg & Webmen