Malika Rabahallah und Linda Dudacy prägen das diesjährige FILMFEST HAMBURG und die Explorer Konferenz mit frischen Perspektiven und innovativen Ansätzen. Im Interview sprechen sie über ihre Zusammenarbeit, die Herausforderungen und Chancen der Filmbranche und darüber, wie wichtig es ist, diverse Stimmen zu fördern und nachhaltige Strukturen zu schaffen.
DMW: Malika, das ist die erste Ausgabe mit dir als Festivalleiterin von FILMFEST HAMBURG. Bis vor kurzem warst du bei der MOIN Filmförderung. Wovon profitierst du am meisten, wenn du in ein anderes Tätigkeitsfeld wechselst?
MR: Auf jeden Fall hat mir die Erfahrung bei der Filmförderung ein tiefes Branchenverständnis eingebracht. Ich weiß, wie die Produzent*innen ticken, was die Autorinnen und Autoren brauchen, weil ich mich intensiv damit auseinandergesetzt habe. Aber am wichtigsten ist natürlich, dass ich mir ein breites Netzwerk an nationalen und internationalen Kontakten aufgebaut habe. In meiner neuen Funktion merke ich, wie sehr ich davon profitiere. Jetzt habe ich die Möglichkeit, eine Plattform zu etablieren, wo ich Branche und Publikum zusammenbringe.
Das Interessante ist auch, dass man sich in der Stadt ganz anders vernetzen muss. Ich knüpfe Kontakte zu verschiedenen Kulturinstitutionen und habe einen weiteren Blick, weil ich schauen muss, wer in der Stadtgesellschaft präsent ist. Außerdem möchte ich verstehen, wie die anderen Institutionen arbeiten.
DMW: Linda, auch du bist dieses Jahr zum ersten Mal dabei und kuratierst die eintätige Explorer Konferenz. Wo siehst du Ähnlichkeiten und wo Unterschiede zu anderen Konferenzen, wie der Tincon oder der Re:Publica, die du sonst kuratierst?
LD: Die Explorer-Konferenz ist in erster Linie ja ein Branchenevent, es hat eine sehr klare Zielgruppe: Die Produzentinnen und Produzenten. Es ist wie eine Art Klassentreffen, aber auch eine Netzwerkveranstaltung. Das heißt: Branchenthemen werden diskutiert und man möchte sich Inspiration abholen. Das ist der größte Unterschied zu den anderen Veranstaltungen: Die Zielgruppe ist sehr heterogen und von einer extrem hohen Themenvielfalt und Bühnenanzahl geprägt. Mein Interesse ist, mich darauf zu fokussieren, die relevantesten und innovativsten Branchenthemen herauszupicken, sie innerhalb eines Tages auf eine Bühne zu packen und all das gleichzeitig noch mit neuen Formaten und überraschenden Ansätzen zu mixen.
DMW: Wie sieht eure gemeinsame Arbeit aus? Wo sind eure Schnittstellen? Und wie profitiert ihr von der jeweiligen Erfahrung der anderen?
MR: Erstens kommunizieren wir viel miteinander, ich glaube das ist das A&O. Wir haben regelmäßige Zoom-Calls. Linda hat natürlich wahnsinnig viel Erfahrung, wie man so eine Konferenz macht. Sie kommt auch immer wieder mit Formatideen, die sie gerne einbauen möchte und überrascht mich mit Input. Das ist wirklich das tolle, dass wir uns empowern und uns auch als Frauen gegenseitig unterstützen. Wir arbeiten da Hand in Hand.
LD: Ich profitiere sehr von dem Netzwerk, das Malika angesprochen hat. Ich komme ja eher aus der Kultur- und Kreativwirtschaft oder der Digitalkultur. Und da habe ich mit Malika eine echt tolle Beraterin, wenn ich mit einer speziellen Idee oder einem neuen Format um die Ecke komme und sie mir dann weiterhilft.
DMW: Was war zum Beispiel eine deiner besonderen Ideen?
LD: Eines unserer ersten Meetings drehte sich um die Frage, wie wir die Konferenz starten. Wir wollen über den Tag hinweg eine Geschichte erzählen, dem Motto entsprechend „Risk & Reward“ – also starten wir mit Risiko und dem Umgang mit Ungewissheit. Mir war ziemlich schnell klar, dass ich eine Perspektive aus dem All möchte. (lacht) Und dann eher eine weibliche Perspektive, die mehrdimensional an das Thema Risiko herangeht. Malika war sofort dabei und hat gesagt, dass sie das spannend findet. Da es eine sehr branchenfremde Perspektive ist, macht es das zu einem Experiment, aber ich bin mir sicher, dass wir mit Dr. Insa Thiele-Eich einen guten Start in den Tag wagen.
DMW: Ihr habt es bereits gesagt: „Risk & Reward” ist das Thema der diesjährigen Konferenz. Wie seid ihr auf das Thema gekommen?
MR: Wenn man weiß, wie Produzentinnen und Produzenten arbeiten, dann weiß man auch, dass sie sehr viele Risiken eingehen müssen. Du schaust dir also die Filmbudgets an und denkst “Wow, wollen sie das wirklich so versuchen? Mit so wenig Drehtagen?“ Es ist schon verrückt, wie die Bedingungen von Produzent*innen heutzutage aussehen. Aber es ist uns total wichtig, dass wir nicht nur negatives Storytelling machen. Wir möchten immer etwas Positives und Inspirierendes vermitteln. Manche Risiken lohnen sich. Wir wollen ermutigen.
DMW: Wie stellt ihr außerdem sicher, eine Plattform für diverse Stimmen und Perspektiven zu bieten? Wie stärkt ihr die Förderung von Frauen in der Filmindustrie?
MR: Ich bin fest davon überzeugt, dass man mit Filmen auch Brücken über Kulturen hinaus bauen kann. Ich habe selbst einen sehr diversen Background. Ich komme aus Frankreich, meine Eltern aus Algerien. Außerdem habe ich in den USA gelebt, in Kanada, in Lateinamerika. Und das hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, verschiedene Kulturen und Stimmen zu hören und sie zu integrieren. Das ist unser Ansatz mit dem Programmteam. Als Festivalleiterin ist es außerdem sehr wichtig für mich, über die Förderung von Frauen zu reden. Ich eröffne das Festival dieses Jahr mit einem französischen Film von einer Regisseurin: Könige des Sommers von Louise Courvoisier. Sie ist noch jung, das ist ihr erster Film, trotzdem ist es mir wichtig, ihr eine Plattform zu geben. Erstens, weil ich fest davon überzeugt bin, dass es ein großartiger Film ist und sie eine brillante Regisseurin. Zweitens, weil ich glaube, dass wir als Frauen eine Verantwortung haben für die Generation, die nach uns kommt. Viele Frauen haben mich unterstützt und jetzt ist es an der Zeit, dass ich auch in meiner neuen Funktion andere unterstütze.
LD: In meinen Augen ist es mittlerweile eine faule Ausrede, wenn Konferenzen im Programm nur Männer haben. Das hat nichts mehr mit Ressourcen zu tun, Expertinnen gibt es da draußen genug. Es ist eine bewusste Entscheidung, in die Recherche zu gehen und für Sichtbarkeit zu sorgen. Ähnlich wie beim Filmfest haben auch wir bei der Explorer Konferenz eine weibliche Perspektive an den Anfang gelegt. Wir setzen da schon sehr bewusst unsere Anker. Mir ist es wichtig, Perspektivenvielfalt klar zu benennen und in allen Themen einzubinden. Nicht nur weibliche, sondern generell diverse Perspektiven.
DMW: Wo siehst du schon Fortschritte in der Branche, und wo gibt es noch Handlungsbedarf?
MR: In der Filmbranche sind alle alert. Es ist schon wichtig, dass die Leute ein Bewusstsein dafür entwickelt haben. Früher war das kein Thema und deshalb hat niemand darauf geachtet, aber mittlerweile sollen die Entscheidungsgremien 50/50 sein, das ist extrem wichtig. Das heißt, es gibt Frauen, die die Projekte lesen und die mitentscheiden. Und dann siehst du trotzdem, dass die Filme mit großen Budgets weiterhin von Männern gemacht werden, weil sie über breitere Netzwerke verfügen und nachweisen können, dass sie diese Budgets erfolgreich einhalten können. Dieser Schritt muss also noch weiter gepusht werden. Aber ich war auch dieses Jahr in Cannes positiv überrascht davon, dass Frauen sich immer mehr trauen, Genre-Filme zu machen. Es passiert etwas, weil die Regisseurinnen gesehen haben, dass Julia Ducournau die Goldene Palme mit TITANE gewonnen hat und dann denken: „Wenn sie das gemacht hat, dann kann ich das auch”.
DMW: Wie setzt ihr das inhaltlich für die Explorer Konferenz um?
LD: Um mal eine kleine Gegenthese zu unserem Konferenzthema aufzustellen, müssen wir auch über Sicherheit sprechen. Also wie schafft man mehr Sicherheit, wie konstruiert man stabilere Strukturen? Im Raum steht ja auch immer die Frage: Wer kann sich das überhaupt leisten, Risiken einzugehen? Ich frage mich: Wie fair ist die Filmbranche? Wie ermöglicht sie auch heterogenen Gruppen einen Einstieg? Und wie garantiert sie eine möglichst lange Verweildauer in der Branche? Wenn ich das Programm betrachte, sprechen wir über Koproduktion, es geht um kollaboratives Arbeiten, vor allem auch um ein kollaboratives Halten von sehr instabilen Strukturen und Fördermechanismen. Wir sprechen zum Beispiel auch über familienfreundliches Produzieren, Job Sharing, die 4-Tage-Woche. Es geht ganz viel um Umdenken von bestehenden Strukturen und ich denke, das kann man schablonenhaft in alle Branchen übersetzen.
DMW: Lasst uns zuletzt noch einen Blick in die Zukunft werfen. Was wird sich branchenintern oder -übergreifend ändern, was ihr heute schon aufgreift?
LD: Ich finde es relevant, wie Jobs sich verändern und auf neue Technologien und andere Innovationen anpassen. Ich beobachte, wie KI viele Jobs in der Branche – seien es Drehbuchautor*innen, Formatentwickler*innen oder Expert*innen in der Postproduktion – verändert. Wie schnell geht man diesen Weg mit? Wie schnell passt man sich an, ohne Angst zu haben, ersetzt zu werden? Ich finde es gerade sehr interessant, die Branchen dahingehend zu beobachten.
MR: Mich interessiert alles, was große technologische Veränderungen mit sich bringt. Also die Digitalisierung und KI natürlich. Sie wird eine wahnsinnig große Rolle spielen in unserer Branche. Animationsfilmer*innen arbeiten schon sehr viel mit KI, sie wird aber auch vermehrt in anderen Bereichen zu sehen sein. Einerseits, eine große Hilfe, wirft sie doch noch viele Fragen auf. Wenn zum Beispiel ein KI-Film demnächst einen Preis gewinnen sollte, wer kriegt diesen Preis? Solche Fragen müssen wir auch mit unserer Branche diskutieren. KI ist zum Teil frauenfeindlich, KI ist zum Teil rassistisch, KI spiegelt also die Vorurteile der Gesellschaft wider. Sie stellt uns vor Challenges, weshalb wir auch über Regulierungen sprechen müssen.
Ich freue mich sehr auf diese Gespräche bei der Explorer-Konferenz, vielen Dank für das Interview!
Infos
Das FILMFEST HAMBURG findet vom 26.9.-5.10 statt. Die Explorer-Konferenz am 30.9.24.
Malika Rabahallah
Malika Rabahallah wurde 1970 in Frankreich geboren. Sie absolvierte ein Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Ecole Nationale de Commerce in Paris sowie ein Fremdsprachen-Studium an der Université Nanterre, ebenfalls in Paris. Es folgten Weiterbildungen im Bereich Filmproduktion und -verleih an der Filmakademie Ludwigsburg und der Filmhochschule FEMIS Paris (Atelier Ludwigsburg-Paris) sowie bei EAVE (European Audiovisual Entrepreneurs). Nach mehr als zehn Jahren als Producerin, Co-Autorin und Co-Regisseurin begann sie 2011 ihre Tätigkeit bei der MOIN Filmförderung, zuerst als Förderreferentin und ab 2014 als Leiterin der Förderabteilung. Seit 2024 leitet sie FILMFEST HAMBURG.
Linda Dudacy
Nach ihrem Literaturstudium im Ruhrgebiet ist Linda seit 2014 tief in die Berliner Event- und Festivalszene eingetaucht und erkundet digitale Kunst, Netzpolitik und Jugendkultur. Für TINCON war sie zwei Jahre als Programmleiterin im Internet unterwegs, koordinierte 12 Bühnen gleichzeitig für die re:publica. Als Eventdirektorin entwickelte sie für das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes erlebnisorientierte Austauschformate. Seit 2022 arbeitet sie als freiberufliche Kuratorin und Eventmanagerin und ist unter anderem Programmdirektorin von NEW NOW, dem Festival für Digitale Kunst, mit einem Schwerpunkt auf den Kräften zwischen Natur und Digitalität.