Ein altes indianisches Sprichwort sagt, man solle immer mal eine Rast einlegen und warten, bis die Seele einen wieder einholen kann. Das war das Credo des ersten Talks auf dem Norddeutschen Journalistentag des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) 2011, vorgetragen von Dr. Margot Käßmann. Die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche und Bischöfin von Hannover, die übrigens keine politische Karriere anstrebt, wie sie auf eine Publikumsfrage antwortet, führte für den Einstieg ihre Gedanken zur Entschleunigung im digitalen Zeitalter aus.
Immer wieder innehalten und sich fragen: „Was will ich mit meinem Leben? Verfolge ich noch meine Ziele?“, nicht die Getriebene zu sein, sondern seine eigenen Entscheidungen zu treffen, das rät sie aus eigener Erfahrung und kritisiert die allgegenwärtige Hektik, mit der heute Themen aufgegriffen und genau so schnell wieder fallen gelassen würden. Diese Frau strahlt eine Ruhe und Weisheit aus und sorgt allein durch ihre Anwesenheit für eine erste „heilsame Unterbrechung des Alltags“.
Alles hat seine Zeit
Alles hat seine Zeit – lautet der Untertitel ihres Impulsgesprächs mit Jan Dieckmann und erinnert mich an den grandiosen Film von Roy Andersson, „Songs from the second floor“, in dem der auf einer Sonnenbank liegende Chef seinem in voller Montur daneben stehenden Angestellten erklärt, dass es Zeit ist, ein paar Leute zu entlassen, denn „alles hat seine Zeit, die Pyramiden hatten ihre Zeit, die Dampflok hatte ihre Zeit…“ – ein brillant grotesker schwarzer Humor. Aber das mal off-topic.
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Aus dem Publikum kommt eine Buchanregung, „Die Müdigkeitsgesellschaft“ des koreanischen Karlsruher Philosophen Byung-Chul Han, eine Antwort auf das „Panorama jener großen Überforderung, die wir Gegenwart nennen.“ (FR-Online)
Wie Journalisten die Sozialen Netze nutzen
Das erste Forum, das ich besuche, ist das von Peter Jebsen moderierte Gespräch über Journalismus und Social Media. Eine kurze Frage ans Publikum ergab, dass die meisten Anwesenden Blogs lesen, dann absteigend auf Facebook sind, twittern und einige wenige selbst einen Blog schreiben. Von der bekennenden Social-Media-Anhängerin und Journalistin Ulrike Langer erfahren wir, dass in den USA Blogs und hyperlokale Angebote ein viel höheres journalistisches Gewicht haben als in Deutschland. In den USA gibt es auch viel mehr politische Blogs, und es gibt Stiftungen, die solche Projekte fördern, wie zum Beispiel die beachtliche Propublica.org, eine Praxis, die in Deutschland eher fehlt.
Aus dem Publikum kam die Frage, wie man denn mehr Klicks aus den sozialen Medien auf die Internetseite bekommen könnte – eine sehr gute Frage, die eine Antwort erlaubte, die das Wesen von Social Media auf den Punkt bringt: Es geht nicht vordergründig um Klicks, es geht um den Dialog. Das Zuhören, das Erkennen der Tonalität die dort herrscht und der Respekt, der den Menschen, die dort unter Freunden sind, entgegen gebracht werden sollte – das sind die besten Empfehlungen fürs Agieren in sozialen Netzwerken. Peter Jebsen warf ein, dass es statistisch gesehen vor allem Katzenblogs gäbe. Welcher Content darüber hinaus für die Leser interessant sein könnte, das sind nach Alexander Svensson (NDR) vor allem: Highligts, Hintergrundberichte und Einblicke, wofür man auch etwas von seiner Freizeit-Zeit investieren müsste. Die häufig bloggenden Journalistenmarken Holger Schmidt (Netzökonom, FAZ) und Olaf Kolbrück (off-the-record, Horizont) wurden dabei als nachahmenswert genannt.
Authentisch, aktuell, ethisch vertretbar?
Weiter ging es mit dem Forum Ethik, wo Frauke Hamann (ZEIT Stiftung), die ich schon bei gemeinsamen I-15 Salonabenden schätzen lernte, mit Gunther Latsch (Der Spiegel), Alexander Freiherr von Sobeck-Skal (ZDF) und Lutz Tillmanns (Deutscher Presserat) über neue Herausforderungen sprach: Qualitätsjournalismus unter Zeitdruck, unüberprüfbare Quellen und darüber, ob man sich Cross-Checker heute überhaupt noch leisten kann.
Neue Hoffnungsträger für den Journalismus
Im Forum „Zukunft Print“ wird darüber diskutiert, ob iPad, eReader & Co. die künftigen Hoffnungsträger oder ein Hype seien. Während Thomas Osterkorn (stern) sich etwas verhalten zeigte und erklärte, dass er nicht bereit sei, „Millionen zu versenken, wenn nicht eine bestimmte Perspektive da ist“, sagte Frank Schmiechen (WELT), dass die Auseinandersetzung zwischen Print und Online vorbei sei, denn Online habe gewonnen. Während früher ein kleiner Wissensvorsprung ausreichte, um es als Nachricht zu verkaufen, müsse man heute andere „Waffen“ auffahren. Bei Weltkompakt habe jeder Redakteur einen Twitter Account und twittere von seinem Redaktionsalltag, von seiner Arbeit. Dadurch gelinge es, eine Community aufzubauen und durch den Input der Leser ein besseres Produkt anzubieten.
Die jungen Wilden der Print Szene
Im Forum der Jungen Wilden schließlich erzählten junge Macher vom Gründen und neuen Geschäftsmodellen im Print. Auf die Frage, wie man seine Ideen gegenüber den Chefs vorträgt bzw. realisiert bekommt, empfehlen Dr. Katarzyna Mol (Verlegerin EMOTION): unbedingt an die Idee zu glauben und Ausdauer mitbringen. Michaela Hummel (Doc Lights, Studio Hamburg) betont das persönliche Gespräch und ist hauptsächlich auf Reisen, um die Menschen persönlich zu treffen, für Daniel Fiene (Was mit Medien) sind es Geduld und Beharrlichkeit, die man mitbringen muss, und Dennis Kaupp (Extra 3, NDR) empfiehlt eine Kombi „aus in den Hintern kriechen und treten“, um seine Interessen durchzusetzen.
Alles in allem ein gelungener Samstag in der Magnus Hall, den ich mit jede Menge Eindrücken über den Status Quo in der Presselandschaft in Richtung Wohlwillstraßenfest verlasse.
Mehr O-Töne vom Event findet ihr unter dem Hashtag #NDJT11 und im ersten Review, das ich gefunden habe von Daniel Fiene. Denselben Artikel habe ich für meine Kunden im Blog des Social Media Führerscheins gepostet.