Ein Social Media Junkie packt aus: "Ich muss abschalten, um abzuschalten"

Täglich twitterte ich. Schaute bei Facebook, was meine Freunde und Kollegen machen. Kommentierte dies und das. Teilte Interessantes und Inspirierendes. Schrieb ein Blog. Kuratierte Fotos bei Pinterest und Instagram. Auch bei Xing schaute ich ab und zu vorbei. Alles gerne zwischendurch, auch von unterwegs. Morgens, mittags, abends.

Viele Apps machten mir das Leben leichter. Runtastic im Sport. Zwei Ordner Bildbearbeitungsapps halfen mir,  die Fotos von meinen diversen Passion Projects zu verschönern. Im iPod sammlte ich den Soundtrack meines Lebens. Ich schielte oft mit einem Auge auf mein Smartphone. Alle Kontaktdaten sind dort gespeichert. Meine Festnetznummer haben nur Menschen, die mich schon lange kennen. Außer meinen Eltern ruft dort niemand an.

Ich brauchte meine tägliche Dosis digitaler Gespräche. Deshalb war ich doch nicht gleich süchtig, dachte ich… Bis ich das Interview mit Filmemacherin Tiffany Shlain sah. Sie beschrieb ihr Techniknutzungsverhalten. Ich fühlte mich ertappt. Sie erklärte, wie sie und ihr Mann wöchentlich eine Auszeit von der Technik nähmen und wie gut ihnen das täte. Es hätte ihr Leben verändert! Ich wollte auch abschalten, um abzuschalten. Um keinen Rückzieher zu machen, verkündete ich das Vorhaben öffentlich bei Facebook.

Technology Shabbat

Nun also eine Auszeit von der Technik. Einmal pro Woche 24 Stunden kein Smartphone und kein Computer. Von Freitag- bis Samstagabend. Ich nenne es inspiriert von Tiffany Shlains „Technology Shabbat„.

„Warum machst Du das?“, wurde ich immer wieder gefragt, seit ich vor beinahe drei Monaten Techniksabbat einführte. Es sei doch nichts Besonderes, mal sein Handy und den Rechner auszuschalten. Auf viele mag das zutreffen, auf mich nicht. Ich wollte wissen, wie ich mich fühle, wenn ich nicht mehr online gehen kann. Ich wollte herausfinden, wie es um meine Digital-Life-Balance bestellt war. Habe ich sie im Griff oder sie mich?

Eine Regel ohne Ausnahmen

Quelle: OpenIcons Pixabay
Quelle: OpenIcons Pixabay

Meinen Entschluss fasste ich im April ungeachtet der Tatsache, dass ich am nächsten Tag einen Social-Media-Vortrag halten sollte. An einem Ort, den ich ohne Google Maps nicht finden würde.

Diese erste Herausforderung meisterte ich: Den Weg fand ich anhand des Shell-Atlas, den mein Großvater mir vererbt hatte. Den Vortrag veranschaulichte ich anhand eines einfachen Flipcharts. Meine These, Social Media seien vor allem eine Frage der Haltung und nicht der Technik, bekam dadurch einen neuen Grad der Glaubwürdigkeit. An meinem Tag ohne Technik fühlte mich zurückversetzt in die achtziger Jahre. Im Hintergrund lief passend dazu eine CD von Wham. Mit leichtem Unbehagen beobachtete ich, wie ich immer wieder intuitiv nach meinem iPhone greifen wollte. Aber ich blieb konsequent. Bis heute.

Freiheit zur Freizeit

Symptomatisch war die Frage meines Sohnes, nachdem ich den Beginn der ersten Auszeit ohne Smartphone und Computer verkündete: „Und was machst Du dann den ganzen Abend?“ Gute Frage! Ich räumte meinen Schreibtisch auf. Las ein Buch. Ich hatte das Gefühl, die Zeit bliebe stehen.

Ich stellte bald fest, dass ich ohne Laptop gar nicht arbeiten kann. Ich hatte mich, ohne es zu merken, im Job zur Sklavin der Technik gemacht. Blogbeiträge ohne Delete-Taste und Copy & Paste? Nicht machbar. Anfangs holte ich das alles am Sonntag nach. Mittlerweile habe ich meine gesamte Arbeit effizienter auf die Werktage verteilt. Was dazu führt, dass ich mindestens einen arbeitsfreien Tag am Wochenende habe. Bis dahin fiel mir nicht auf, dass ich an jedem Tag der Woche arbeitete. Als Selbständige gab es immer etwas zu tun. Die Freiheit, einen ganzen Tag Freizeit zu nehmen, hatte ich mir offensichtlich selten bis nie (abgesehen von Urlaub) gestattet.

Netzwerken gerne, aber ich bestimme den Takt

Auch heute fühle ich auf den diversen Kanälen immer noch mehrmals täglich den Puls meines Netzwerks. Seltener allerdings. Das bewusste Abschalten hat dazu geführt, dass ich mittlerweile auch an anderen Wochentagen bewusster kommuniziere.  Der Technology Shabbat hat noch nicht mein gesamtes Leben, aber bereits mehr als meine samstägliche Routine verändert. Ich greife nicht mehr so oft in meine Tasche, um schnell etwas zu twittern. Vorträge von bis zu einer Stunde halte ich nun völlig analog. Mir fällt es leichter, nicht mehr selbst und ständig zu arbeiten. Kundenemails werden nur noch zu normalen Arbeitszeiten beantwortet. Ich setze meine Termine mit mehr zeitlichem Abstand. Ich gönne mir regelmäßig Zeiten, in denen ich völlig ziel- und planlos im Netz surfe. Bei dieser Form der Prokrastination habe ich oft gute Ideen. Das gehört für mich zu einem ausgewogenen digitalen Leben dazu.

Wie handhabt ihr euer digital life? Liegt das Smartphone immer auf dem Tisch? Gibt es bewusste Auszeiten?

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