In der Reihe #DMWKaffee mit… gehen Autorinnen dieses Blogs mit inspirierenden Frauen aus der Digitalbranche einen Kaffee trinken. Für diese Folge hat Christiane Brandes-Visbeck von den #DMW in Hamburg Carline Mohr aka @Mohrenpost über ihr Leben als bloggende Journalistin ausgefragt.
Christiane: Carline, auf deinem Blog mohrenpost.de schreibst du liebevoll über deine Familie und die AfD, komisch-verzweifelt über die Erziehung deiner Hündin Rio, Bemerkenswertes über Berlin oder über misslungene Dates. Im anderen Leben bist du Chefin vom Dienst Audience Development bei „Spiegel Online“ in Hamburg, warst davor Head of Social Media bei „Bild.de“.
Eine Journalistin, die sich traut, diesen Themenmix öffentlich zu bedienen, muss sehr mutig und selbstbewusst sein. Woher kommt das bei dir? War Carline, das Mädchen, auch schon so?
Carline: Als kleines Mädchen habe ich jahrelang in die Poesiealben meiner Freunde unter Berufswunsch „Pippi Langstrumpf“ geschrieben. Wenn meine Mutter mir vorgelesen – oder sich Geschichten für mich ausgedacht hat – kamen da meistens starke Mädchen drin vor. Räubertöchter und Rotzgören, Piratenbräute und Traumtänzerinnen. Diesen Satz habe ich in meiner Kindheit oft gehört: „Du bist gut so wie du bist, mein Kind.“ Es sind solche Sätze, die Kinder stark und mutig machen. Es sind solche Sätze, die einen noch begleiten, wenn man längst erwachsen ist, und die einem die Angst vor der Welt nehmen.
Deine Mutter @IlseMohr hat eine Zeit lang auf Twitter lustige Kinderbilder von dir gepostet und Texte dazu geschrieben, die der einen oder anderen Tochter sicherlich peinlich wären.
Wie ist das so, wenn Eltern mit ihren erwachsenen Kindern öffentlich über Social Media kommunizieren?
Ich finde das ganz großartig. Ich sehe meine Mutter plötzlich nochmal ganz anders. Im Internet ist sie ja nicht meine Mutter, sondern einfach Ilse Mohr. Wann hat man als Kind schon die Möglichkeit, seine Eltern etwas aus der Distanz – als ganz normale Menschen – zu beobachten? Ich glaube, wir müssen unsere Eltern viel mehr dabei unterstützen, im Internet anzukommen. Digitale Kompetenz lernt man ja nur durchs Machen. Uns Kindern darf nicht immer alles peinlich sein. Ich finde es wichtig, dass wir unsere Eltern mitnehmen. Als ich mit dem Bloggen und dem ganzen Social-Media-Gedöns angefangen habe, hat meine Mutter immer gesagt: „Ich will das verstehen! Ich will auch teilhaben!“ Also habe ich ihr geholfen, über den digitalen Graben zu springen. Bis heute eine meiner besten Ideen.
Hat sich deine Mutter revanchiert?
Immer wenn meine Steuererklärung dran ist, lade ich sie auf einen Rotwein zu mir ein. Erst schimpft sie mit mir, weil sie findet, dass ich mit 33 Jahren alt genug bin, das selbst hinzukriegen – dann legt sie einen neuen Steuerordner an. Beim letzten Mal hat sie sogar einen Euro auf den Ordner geklebt, damit ich ihn im Bücherregal sofort erkenne. Beste Mama.
Okay, Steuern sind nicht so dein Ding, schreiben aber schon. Wolltest du immer Journalistin werden?
Ja, nachdem ich zu alt für Pipi Langstrumpf war, wollte ich immer Journalistin werden. Weil ich so gern Geschichten erzähle. Nach dem Abi habe ich in der Lokalredaktion der „Dürener Nachrichten“ (heute gehören sie zu den Aachener Nachrichten) ein Praktikum absolviert und dort bis zum Studienbeginn als Freie gearbeitet. Mit 19 bin ich zum Studium nach Gießen gezogen, habe dort Journalistik, Geschichte, Literaturwissenschaften und Psychologie auf Magister studiert, verschiedene Praktika absolviert und immer irgendwo als Freie gearbeitet. Auch als ich für ein paar Jahre in München war. 2011 wurde ich bei der Axel-Springer-Journalistenschule angenommen. 2013 begann ich als Social-Media-Redakteurin bei „Bild“, baute 2014 das Viralteam auf und übernahm gemeinsam mit Andreas Rickmann die Leitung Social Media und Community.
Praktika, Studium, Freie Mitarbeit, Journalistenschule – das hört sich nach einem ziemlich straighten Einstieg in den klassischen Journalismus an. Irgendwann kam das Bloggen dazu. Worum ging es in deiner ersten Geschichte auf mohrenpost.de?
(lacht) Warum das erste eigene Auto wie die erste große Liebe ist. Ich habe einfach über alles gebloggt, wozu mir eine Geschichte eingefallen ist. Warum ich BWLer blöd finde und bei Tinder nie ein Date hatte, wie es ist, mit einem AfD-Wähler unter dem Weihnachtsbaum zu sitzen, wie ich meinen Hund für drei Tage im Grunewald verloren oder warum ich einer „besorgten Bürgerin“ einen offenen Brief geschrieben habe.
Wegen dieser und anderer Geschichten aus deinem Alltag folgen dir knapp 10.000 Menschen auf Twitter. Wenn du willst, kannst du super leicht viralen Buzz erzeugen. Als deine Mutter beispielsweise während der re:publica von einem Twitterer verbal belästigt wurde, da hast du deine Follower aufgefordert, das „Richtige zu tun“.
Ich persönlich bin gegen Social-Hass inzwischen ziemlich stabil. Aber wenn so ein widerlicher Irrer meine Mum angeht, muss er halt damit rechnen, dass ich meine Reichweite gegen ihn einsetze. So einfach ist das.
Zurück zum Bloggen: Wie passen deine hochpolitischen Themen und das überaus lustige Hundetagebuch zusammen?
Die Geschichten über meine Shiba-Inu Hündin Rio machen mich einfach glücklich. Es gibt immer was zu erzählen. In Zeiten wie heute kommt man aber nicht umhin, sich politisch zu positionieren. Ich mache das eigentlich viel zu selten.
Du hast Rio beigebracht, sich tot zu stellen, wenn er den Hundebefehl „Print!“ statt „Peng!“ hört. Denn der Medienwandel beschäftigt dich sehr. Was macht eine „Chefin vom Dienst Audience Development“, also jemand, die bei SPON dafür bezahlt wird, das Publikum zu entwickeln, genau?
Meine Aufgabe ist es, alle Menschen, die nicht klassisch über die Homepage in unsere Artikel einsteigen, in Kontakt mit der Marke zu bringen. Zu überlegen, welche Inhalte für welche Plattform geeignet sind, neue inhaltliche Impulse in die Redaktion zu tragen und die Nutzer wieder stärker für unseren Journalismus zu begeistern.
Ist das noch Journalismus?
Naja, der Nutzer kommt im Jahr 2017 eben nicht mehr selbstverständlich zu uns. Also müssen wir, die Journalisten, überlegen, wie wir zum Nutzer kommen. Wir müssen in Kontakt mit ihm treten, ihn ernst nehmen, Vertrauen schaffen und ihm unsere Inhalte so attraktiv wie möglich auf den unterschiedlichsten Kanälen präsentieren.
Auf der re:publica und der Media Convention in Berlin gab es spannende Sessions, die sich im weitesten Sinne mit „Rethinking Journalism“ beschäftigt haben. Community Manager, Medienwissenschaftler und Neurowissenschaftler-turned-Redakteur denken über neue Wege nach, wie digitale User auch außerhalb des technischen Reichweitenaufbaus erreicht werden können. Gehören solche Überlegungen auch zu deinem Aufgabenbereich?
Ja, am Rande schon. Wir haben aktuell viele Baustellen. Auch wir können uns nicht mehr darauf verlassen, dass die vertrauten Marken „Spiegel“ und „Spiegel Online“ die Nutzer schon halten werden. Auch wir machen uns Gedanken, wie wir mehr Transparenz herstellen können, mehr Nähe zum Leser und mehr Austausch. Ich glaube, es hilft, wenn Leser besser verstehen, wie engagiert und hochwertig Journalisten von „Spiegel Online“ arbeiten. Nach welchen Kriterien wir Themen auswählen, wie Fact Checking funktioniert, und wie wir recherchieren, um zu den Ergebnissen kommen, die sie in unseren Artikeln nachlesen können.
Innovation, Transparenz und Kommunikation auf Augenhöhe gehört ja auch zu den Aufgaben einer zeitgemäßen Führungskraft. Du bist Chefin – was bedeutet Leadership für dich?
Ein Herz in allen Farben. Also, jede_n zu nehmen, wie er/sie ist. Stärken zu fördern und Schwächen auszuhalten. Das Wichtigste in der Führung ist, glaube ich, immer fair zu bleiben. Wenn man es dann noch schafft, Menschen von seinen Ideen und Zielen zu begeistern, ist schon viel geschafft.
Du hast im letzten Jahr neben deinen Hauptjobs als CvD und Hundemama auch einen Roman geschrieben. Wie hast du das zeitlich hinbekommen?
Ich hatte das Glück, mich mit SPON auf eine 80-Prozent-Stelle einigen zu können. „Spiegel Online“ ist in der Hinsicht ein sehr offener und mitarbeiterfreundlicher Arbeitgeber. Ich habe also jeden Freitag am Schreibtisch gesessen und am Buch gearbeitet. Abends nach der „normalen“ Arbeit allerdings auch. Ich habe mich in eine Kneipe neben meiner Wohnung gesetzt und bei Riesling und Fußballspielen im Hintergrund geschrieben. Am Wochenende natürlich auch. Eigentlich war es ein Jahr lang so, als hätte ich immer Hausaufgaben auf. Immer war noch was zu tun, zu schreiben, zu überlegen, zu korrigieren. Die Work-Life-Balance hat mich hart ausgelacht. Zum Glück gibt es Rotwein…
Am Freitag, den 23. Juni, erscheint „Küssen kostet extra“ im Rowohlt Verlag. In deinem Roman geht um eine junge Journalistin, die als Bardame in einem Bordell jobbt und eine Menge über Sexarbeit, Blowjobs und das Rotlichtmilieu lernt – Stoff für einen echten Besteller. Wie bist du darauf gekommen?
Naja, es gibt durchaus den ein oder anderen autobiografischen Anknüpfungspunkt. In meiner Münchner Zeit habe ich am Wochenende tatsächlich als Bardame in einem Erotic-Club gearbeitet. Weil ich neugierig war und dringend Geld brauchte. Vergangenes Jahr hat mich ein Literaturagent angesprochen, weil ihm mein Blog gefiel. Wir haben darüber geplaudert, was sich so als Buchthema eignen würde. Als ich in einem Nebensatz von meiner Zeit im Bordell erzählte, war die Sache klar. Ich habe ein Probekapitel geschrieben, der Agent hat das bei verschiedenen Verlagen gepitcht, und Rowohlt hat zugeschlagen.
Früher Bardame, jetzt Feministin – wie du in deiner SPON-Kolumne Warum ich gestern einen Wutanfall hatte und jetzt ‚offiziell‘ Feministin bin wunderbar beschrieben hast. Passt das zusammen?
Feminismus heißt für mich erstmal nicht, dass man grundsätzlich Sexarbeit ablehnen muss. Es gibt Frauen, die sich bewusst für diesen Beruf entscheiden, und das Recht sollte ihnen meiner Meinung nach niemand absprechen. In meinem Buch gibt es aber auch viele Frauen, die nicht ganz so freiwillig im Bordell gelandet sind. Und ich hoffe, dass in meiner Geschichte deutlich wird, wie sehr wir als Gesellschaft daran arbeiten müssen, das zu ändern.
Im Feminismus geht es für mich um die Grundannahme, dass jeder Mensch unabhängig von seinem/ihrem Geschlecht, der sexuellen Orientierung oder Herkunft die gleichen Chancen haben sollte. Natürlich gibt es auch im Feminismus unendlich viele Graustufen. Aber das ist so der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich doch eigentlich alle einigen sollten. Und mit „alle“ meine ich natürlich auch die Männer.
Apropos Männer. Ist dein Freund auch Feminist?
Ja, ich bin zum ersten Mal in meinem Leben mit einem Mann zusammen, der sich selbst als Feminist bezeichnet. Das ist unendlich befreiend. Gemeinsam daran zu arbeiten, aus erlernten Strukturen auszubrechen, fühlt sich genau richtig an.
Zum Schluss eines Interviews frage ich gern nach Tipps für uns #DMW. Fällt dir etwas Motivierendes ein?
Sucht euch einen Feministen als Partner!
Word, liebe Carline. Danke für das großartige Gespräch. Dein Buch habe ich fest als Urlaubslektüre eingeplant. 🙂