Re:publica Tag 3: Politik, Prognosen und ein Piktomat

Der letzte Tag meiner ersten re:publica also. Aber dass sich die digitale Konferenz ihrem Ende neigte, bedeutete natürlich keinesfalls, dass da nicht noch einige Highlights warteten.

1) Gamification und Gesetze

Der Tag begann – mal wieder – mit einer nicht ganz leichten Entscheidung zwischen zwei Sessions. Urheberrecht oder Gamification?  Nachdem der Vortrag von Sebastian Deterding zu Zweiterem beim letzten dmwhh-Event so interessant und inspirierend war, entschied ich mich für Stage 5 und den Vortrag von Marcel-André Casasole Merkle „Mächtiger als Merkel: Wie Brettspielentwickler Gesetze machen (würden).“

Foto: Claudia Taubenrauch
Zentrale Frage: Warum sind Spiele so leicht verständlich und Menschen so schnell kooperationsbereit – und inwiefern lässt sich das für die Gesetzesentwicklung nutzen? Mit Deutschland als größtem Brettspielmarkt der Welt verfügen wir hier über ein enormes Know-How, das nicht einfach an der Gesellschaft vorbei gehen sollte. Auch wenn Gesetze natürlich keine Spiele sind, können bestimmte Prinzipien identifiziert und transferiert werden: Zieldefinitionen sind essentiell, bei der Lösung anzufangen, wie es noch so oft im politischen Prozess geschieht, ist wenig ziel führend. Vorhandenen Mauern wie beispielsweise Ungerechtigkeit kann durch verschiedene Wege und Vielfalt begegnet werden: In Spielen müssen nicht alle den gleichen Weg gehen. Der Zufall ist eine wichtige und zu berücksichtigende Größe, der in der Leistungsgesellschaft jedoch häufig unterschätzt oder gar negiert wird. Der Entwicklungsprozess wird durch digitale Prozesse unterstützt: Mauern lassen sich umdeuten, freie Entfaltung, Selbstwirksamkeit und alternative Wege lassen sich fokussieren. Viel Input, aber eine durchaus unterhaltsame Session. Trotzdem hätte ich mich natürlich gern zweigeteilt, um die Copyriots-Debatte, moderiert von Johnny Häusler, zu verfolgen, von der ich ebenfalls so viel Gutes hörte.

2) Thank you for decoding

Die nächste Session ergab sich für mich als häufig Reisende quasi von selbst. Ich transportierte mich erneut zu Stage 5, wo es bei Stefan Plöchinger, Lorenz Matzat und Pieter Colpaert um den Zugmonitor von Süddeutsche Zeitung ging, eine Live-Karte der Verspätungen im Fernverkehr. Millionen Zugreisende pro Monat, zahlreiche Beschwerden über Verspätungen und strukturelle Probleme – die Probleme und ihre Relevanz sind allgemein bekannt. Mittels real-time data scraping von der DB-Homepage wurde gezeigt, auf welchen Routen die größten Verspätungen liegen und dass die angezeigten unter den realen liegen. Keine große Überraschung, aber ein Nachweis – auch dafür, welche neuen Formen journalistischer Arbeit aufkommen und welches Storypotential dahinter steckt. Die Bahn wurde nicht um Erlaubnis gebeten, nutzt die Daten selbst auch nicht – vor der Veröffentlichung wurde jedoch ihr Feedback eingeholt. Probleme gab es nach Angaben der Vortragenden dabei nicht.

3) Der RegSprecher spricht.

Foto: Claudia Taubenrauch
Im enorm gut gefüllten Saal der Stage 1 folgte ein Interview mit Steffen Seibert, twitternder Regierungssprecher. Im Gespräch schilderte er den Prozess der Integration und Nutzung von Social Media für die Vermittlung der Regierungsarbeit: dass eher die Nichtnutzung als die Nutzung zu rechtfertigen gewesen wäre („Man sollte in Sachen Modernität nicht hinter den Vatikan zurückfallen.“), wie eigene Ziele aussahen (3 Mio. Follower von Obama übertreffen), welche falschen Vorstellungen er hatte („Dialogfunktion bei Twitter erst einmal zurück stellen.“) und warum Twitterviews und Online-Dialoge ein wichtiges und beizubehaltendes Element der politischen Kommunikation sind. Steffen Seibert präsentierte sich souverän, smart und sympathisch und bewies feinen Humor, der mit viel Zustimmung im Publikum und Kleiner Dreis in der Timeline quittiert wurde. Macht er gut, den Job.

Anerkennung verdient sowohl in dieser Session wie auch allgemein aber vor allem auch Jule @einAugenschmaus, die sich konstant und unermüdlich für Barrierefreiheit einsetzt und auch via Twitter und in der Interaktion mit dem Regierungssprecher stets dabei bleibt und sich engagiert, damit sich wichtige Dinge endlich ändern.

4) Standardsituationen der Technologiebegeisterung

Eine der Sessions, die ich mit großer Begeisterung erwartet hatte, war die von Kathrin Passig, die zahlreiche Prognosen zu technologischem Erfolg aus allen Epochen vorstellte. Diese gingen in unterschiedlichste Richtungen und Extreme, wurden aber durch eins vereint: alle falsch. Unterhaltsam falsch, aber falsch. Warum? Weil Prognosen allgemein wenig präzise und zuverlässig sind. Woher die Irrtümer? Weil Neues dem Alten ähnlich sieht und Nutzungsvorstellungen vom Vorgänger abgeleitet werden. Es dauert, bis die Innovation ankommt und richtig erkannt wird. Dafür müssen sich Menschen umstellen. Auch Wunschdenken und Eigennutz sowie fehlende Geschichtskenntnisse führen zu falschen Vorhersagen. Und nun? Akzeptieren, dass es Prognosen an Treffsicherheit mangelt. Standardbehauptungen vermeiden. Um das Nichtwissen wissen. Akzeptieren, dass wir über Neues nicht viel wissen. Und: Den Wikipediaeintrag zu incorrect predictions lesen. Gegebenenfalls ergänzen. Und uns dran erinnern.

Fazit: Technik ist toll, aber eben nur Technik. Sie macht nicht allein alles besser und führt ohne Zutun zu Verständigung, Brüderlichkeit und Weltfrieden. Sie kann beitragen, aber eigener Einsatz ist unverzichtbar.

5) Zu schnell vorbei.

hach... Foto: Vodafone Piktomat
Woran man tolle Dinge erkennt: Man hat immer den Eindruck, dass sie zu schnell vorüber gehen. Genau so war es auch mit meiner ersten re:publica, ruck zuck saß ich in der Verabschiedung. Und war wirklich sentimental. Aber schön sentimental. Mir fehlen hier die Vergleichswerte aus den Vorjahren, da es ja meine erste re:publica war, aber ich erlebte eine mehr als gelungene Veranstaltung. Vielfältige Sessions, eine tolle Atmosphäre, eine wunderbare Location, unzählige und fabelhafte Gespräche mit vielen lieben Menschen und noch viel mehr machten meine rp:12 zu einem unvergesslichen Erlebnis. Ein riesengroßes Dankeschön dafür an die Organisatoren, Sponsoren, Unterstützer und alle Teilnehmer: Das war ganz, ganz großartig! Bis zum nächsten Jahr! 🙂

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