Unbeschreiblich weiblich. #29c3 Chaos Communication Congress

I did it. Ich bin zwar weder Hacker noch Haeckse, aber als Hacker-Ethik-affine Mutter eines Nachwuchsnerds konnte ich mir natürlich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, den ersten Chaos Communication Congress in Hamburg zu besuchen.

Foto: Antje Bendrich CC-BY #29c3

Nachdem das BCC in Berlin inzwischen für die interessierten Mengen (dpa schreibt dieses Jahr von 6.000 Besuchenden) zu beengt wurde, ist der CCC ins CCH direkt in die Hamburger Innenstadt umgezogen. Früher der Ort für große Konzerte, den Hamburger Presseball und Musicals – bevor sich inzwischen andere Locations für diese Events fanden.

Auf fünf Ebenen rund um den riesigen Saal 1 (3.000 Plätze!), in der häufig zu kleinen Hall 6 und in der Hall 4 fanden an vier Tagen jede Menge Talks und Workshops statt, es gab die Gelegenheit sich unter anderem im Lockpicking auszuprobieren und jede Menge anderes DIY, fliegende Quadrocopter anzusehen, ins Bällebad einzutauchen oder sich auf einen Drink im obersten Stockwerk im Ten Forward zu treffen. Oder sich zu verlaufen, was innerhalb der verwinkelten Level nicht nur mir häufig genug passierte…

Zuerst nahm ich den dritten Tag in die engere Auswahl, weil der Junghackerday sich vielversprechend anhörte (Alarmanlagen bauen! Vibrierende Elektro-Käfer zusammenlöten!) Nachdem ich mich jedoch näher mit dem Programm der einzelnen Talks an den vier Tagen beschäftigt hatte, war klar, dass der zweite Tag für mich inhaltlich erheblich interessanter wäre. Da der betroffene Nachwuchs inzwischen sowieso größer ist als ich, sind Elektro-Käfer auch nicht mehr ganz so reizvoll, der will unter den Großen mitmischen.

Für Young & Upcoming-Nachwuchs kostete die Tageskarte 10 Euro, eindeutig eine gute Investition, als ausgewachsener Erdling zahlte ich 35 Euro was ich ebenfalls als angemessen empfand. Ab 11.30 Uhr bis 22.45 Uhr hörte ich mir sieben Vorträge/Talks an, wobei ich am Ende überrascht feststellte, dass (unabsichtlich von mir ausgewählt) an allen Frauen beteiligt waren und keiner davon alleine von einem Mann gehalten wurde, die nur bei drei Talks als Co-Referenten beteiligt waren. So eine Quote habe ich in meiner gesamten Digital-Konferenz-Geschichte noch nicht erlebt. Inhaltlich hätten alle von mir ausgewählten Vorträge wohl auch auf meiner Lieblingsdigitalkonferenz, der re:publica laufen können.

Vereinzelt wurde bemängelt, es gäbe zu wenig Tech-Talks, wobei für mich die digital-politischen Inhalte genau den Reiz ausmachten: Vom Meldegesetz von Rena Tangens und Katharina Nocun über die Romantic Hackers – Keats, Wordsworth and Total Surveillance von Anne & Richard Marggraf-Turley (mit einem Schlenker zu Jeremy Bentham Panopticon, auf das ich in meinem Vortrag zur digitalen Fassade eingegangen bin), den Trojaner-Blindflug, Spionage-Software von Staats wegen von Constanze Kurz und Ulf Buermeyer waren gute, komprimierte Zusammenfassungen zu den angekündigten Inhalten.

Allerdings muss ich dazu sagen, dass ausgerechnet Britta Schinzels Vortrag über Gender Studies Informatik (der einzige, der explizit Genderfragen behandelte) eher denkwürdigen als erhellenden Charakter hatte. Mit Text vollgeknallte Vortragsfolien, die dann quasi abgelesen wurden, zuviel Stoff für eine Dreiviertelstunde, überhaupt zu sehr Vorlesungscharakter. Interessanter wurde es, als konkretere Zahlen genannt wurden:

Sehenswert, unterhaltsam und aufschlussreich ist Natalie Silanovichs „Many Tamagotchis were harmed in the Making of this Presentation“ nicht nur wegen der niedlichen Slides.

Abends musste ich mich zwischen Violet Blue „Hackers as a High-Risk Population“ und „How I met your Pointer“ von Carlos Garcia Prado entscheiden. Die Tweets über seinen Vortrag waren so euphorisch, dass ich ihn sicher noch nachholen werde, sobald er online zu finden ist. Violet Blue benötigte sehr lange, um zum eigentlichen Punkt ihres Vortrages zu kommen. Mein persönlicher Tagesabschluss und trotz seines teilweise Altherren-Humors ein Highlight: Rena Tangens und Padeluuns „Meine Kleidung funkt“ über RFID-Chips in Kleidung.

Sehr schade an den anderen Tagen verpasst zu haben scheinen mir Jacob Appelbaums Keynote „Not my department“ und  Anatol Stefanovitsch über Sprache, Ungleichheit und Unfreiheit – beides verlinkt bei YouTube nachzusehen. Weitere Vorträge werden nach und nach im CCC-YouTube-Kanal hochgeladen, es lohnt sich dort zu stöbern.

„Verpasst“ ohne es schade zu finden, habe ich das inzwischen vermutlich legendäre Jeopardy, ebenfalls denkwürdig, wenn auch in einem gänzlich anderen Sinne:

Die Creeper-Cards, die in diesem Jahr erstmals (allerdings vereinzelt, unsystematisch und nicht offiziell vom Orga-Team) verteilt wurden, habe ich weder erhalten noch gesehen. Gedacht waren die grünen, gelben und roten Karten, um im Fall sexistischer Bemerkungen oder Beleidigungen der belästigenden Person zu übergeben. Die Notwendigkeit solcher Karten wurde sehr unterschiedlich ausgelegt, so machten sich die Jeopardy-Moderatoren über die Karten lustig, nachdem mehrfach während der Veranstaltung gelbe und rote Karten an sie übergeben wurden. Die Notwendigkeit einer Diskussion frauendiskriminierenden Verhaltens innerhalb der Hackerszene scheint (vor allem wenn die Masse der Tweets zu dem Thema liest) gegeben zu sein, ob die Karten so formuliert und gehandhabt (wie verlinkt beschrieben) sinnvoll sind, ist die zweite Frage.

Vor Ort habe ich selbst keine Situation erlebt, die unangemessen oder frauenfeindlich auszulegen wäre. Ich habe mich auf dem #29c3 wohl gefühlt, auch wenn sich die Menge der Menschen auf den fünf Leveln extrem verteilt, was zur Folge hatte, dass ich viele Bekannte, die parallel anwesend waren, in den zwölf Stunden nicht einmal getroffen habe.

Sehr gut gefallen hat mir das Engel-System, mit dem Teilnehmende freiwillig einige Stunden beim Kongress helfen konnten. Was dann dazu führte, dass Daniel Domscheit-Berg mir das Kongress-T-Shirt für den Nachwuchs verkaufte. Dem ich wiederum das Tagungsthema „Not my Department“ natürlich erst erklären musste: Nicht seine altersgemäße Lebenshaltung wäre damit gemeint, es ist vielmehr eine Anspielung auf Wernher von Braun in einem Spottlied von Tom Lehrer: „Wenn die Raketen hochgeschossen werden, ist es egal wo sie runterfallen, das ist nicht mehr mein Problem, sagt Wernher von Braun“.

Meine Empfehlung zum #30c3 Ende 2013: Rechtzeitig Tickets sichern! Wer sich den Call for Papers in diesem Jahr ansieht, bekommt vielleicht ja Lust, im kommenden Jahr selber ein Thema einzureichen!

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