Dass die Technikbranche keine Männerdomäne sein muss, beweist Geraldine de Bastion. Die international tätige Politologin unterstützt als freie Mitarbeiterin der Berliner Agentur newthinking Technikprojekte in Afrika und setzt sich mit der Digitalen Gesellschaft e.V. für digitale Bürgerrechte ein. Ihr Vortrag „Made in Africa“ auf der TEDxHamburg drehte sich um den Start-up-Spirit eines Landes, an das wir im Normalfall nicht denken, wenn es um Innovationen in der IT-Branche geht. Zu Unrecht, wie Geraldine uns im Interview verrät.
Digital Media Women: In Nairobi ist Wifi in den Bussen weit verbreitet, in Deutschland nicht (bzw. selten). Dabei wird gerade Berlin als Start-up-Zentrum der Internetbranche gehyped. Sind wir doch nur ein digitales Entwicklungsland?
Geraldine de Bastion: Ich ziehe gerne Parallelen zwischen Berlin und Nairobi – Silicon Alley und Silicon Savannah. Die Städte haben total viel gemeinsam. In Berlin gibt es keine große Industrie, die Leute müssen ihre eigenen Jobs schaffen. Natürlich haben wir ganz andere Rahmenbedingungen hinsichtlich der Gesetzeslage und der Businessförderung. Aber trotzdem ist es ähnlich zu dem, was man in Nairobi vorfindet. Es gibt dort ebenso viele Menschen, die einen entrepreneurial Start-up-Drive haben. Aber: Auch dort fehlen Strukturen, so dass sich kreative Zentren wie das iHub (vergleichbar mit dem Betahaus in Berlin oder Hamburg) bottom-up aus der Community herausbilden.
Digital Media Women: Du sprichst dabei von den Open-Source-Projekten in Kenia. Was glaubst du, warum Ideen wie das Interactive-Mapping-Tool Ushahidi oder der Mobile-Payment-Dienst M-Pesa hier in Deutschland nicht übernommen werden?
Geraldine de Bastion: Ich glaube, das ist nur eine Frage der Zeit. Wir haben in Afrika zu lange mit klassischer technischer Entwicklungszusammenarbeit verbracht. In Deutschland wurde etwas gebaut und den Menschen in Kenia vorgesetzt: „Hier, das könntet ihr brauchen“. Aber wir haben gar nicht verstanden, dass es auch anders herum geht und dass wir uns Inspirationen aus anderen Regionen der Welt suchen können. Der Gedanke des Miteinanders und des Austausches ist dabei sehr wichtig.
Digital Media Women: Wie genau kann man sich deinen Alltag in Afrika vorstellen: Fährst du einfach in ein iHub, setzt dich hin und los geht’s?
Geraldine de Bastion: Genauso sieht es aus: Ich fahr hin und setz mich ins iHub (lacht). Obwohl wir geographisch so weit von einander entfernt sind und man sich nur alle paar Monate mal vor Ort sieht, haben wir trotzdem eine sehr enge Community. Diese offene und kollaborative Atmosphäre ist toll, man fühlt sich einfach gleich wie zuhause. Und natürlich besuche ich auch in Afrika viele Tech-Veranstaltungen, von denen es täglich unzählige gibt. Nairobi und Berlin haben auch in dem Punkt vieles gemeinsam.
Digital Media Women: Was muss sich deiner Meinung nach verändern, damit Ideen in Deutschland schneller und vor allem effektiver umgesetzt werden können: die Netzpolitik, die Bürgerrechte oder sogar die Struktur des Internets?
Geraldine de Bastion: Oh, dazu könnte ich ganz viel sagen. In Deutschland gibt es viele Gesetze, bei denen wir abwägen müssen: Sind sie förderlich oder sind die hinderlich im Bereich der Innovation und IT-Wirtschaft? Ich finde es sehr wichtig, dass zum Beispiel die Netzneutralität gewahrt wird. Nur durch Gleichberechtigung im Internet können Start-ups überhaupt zu großen Unternehmen werden. Genauso ist es auch im Bereich „freies WLAN“. Einer der Gründe, warum das in Deutschland so kompliziert ist, ist die Störerhaftung. Hier brauchen wir eine Änderung der Gesetzeslage. Was aber abseits der Regulierungen wichtig ist, ist der Spirit. Man darf nicht darauf warten, dass die Regierung etwas für einen tut. Sondern es geht darum, etwas selber zu schaffen – mit den Mitteln und Ressourcen, die man jetzt hat.
Digital Media Women: Apropos Regierung: Du hast ein Jahr für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gearbeitet. Aber du hast den politischen Weg aufgegeben und mit der Digitalen Gesellschaft e.V. und newthinking eigene, unabhängige Projekte gewählt. Warum dieser Wechsel?
Geraldine de Bastion: Das hatte verschiedene Gründe. Ich hab mich nach dem Jahr am BMZ dazu entschlossen, dass ich das nicht mehr möchte und daher bei der Open-Source-Beratungsagentur newthinking in Berlin angefangen. Der Wechsel war mir sehr wichtig, da ich in der freien Wirtschaft und vor allem auch fachlich arbeiten wollte. Ich habe schon immer eine Passion für netzpolitische Themen und für digitale Medien gehabt. Damals war die Zeit aber einfach noch nicht reif. Es wollte damals niemand mit mir über Open Source und soziale Netzwerke reden. Das ist jetzt zum Glück anders geworden.
Digital Media Women: Das Digitale ist deine Leidenschaft. Aber eine Idee zu haben, bedeutet ja nicht gleich, dass sie dein Leben finanzieren kann. Wie machst du daraus etwas Dauerhaftes, etwas Sinnvolles?
Geraldine de Bastion: Ich sehe mich oft als Connectionmaker. Ich gehe nie in anderes Land mit dem Gedanken „Ich hab hier eine fertige Idee und die möchte ich jetzt ausschütten“. Sondern ich gehe mit Fragen an das Neue heran, mit Entdeckergeist, um zu erfahren, was vor Ort passiert. Erst dann verknüpfe ich es mit meinem Kontext und schaue, wie ich es sinnvoll ergänzen kann, um dann am Ende die Verbindung herzustellen – die Verbindung zwischen Menschen und Projekten.
Digital Media Women: Auf der diesjährigen TEDxHamburg ist der Anteil der Speakerinnen merklich höher als letztes Jahr (was uns als Digital Media Women natürlich freut). Welchen Rat würdest du anderen Frauen aus der Digitalbranche geben: Sollen sie mit ihren Themen auf die Bühne? Oder sich eher an die Politik wenden, um etwas zu verändern?
Geraldine de Bastion: Ich finde die Idee der Digital Media Women toll, denn es ist wichtig, dass es mehr weibliche Präsenz in den Medien und technischen Bereichen gibt. In unserem Büro haben wir das Speakerinnen-Bullshit-Bingo hängen, wo Sätze draufstehen wie „Hm, ja, es gab leider keine Frauen, die zu dem Thema sprechen konnten“ oder „Die eine Frau, die wir gefragt haben, die konnte leider nicht“. Als Kuratorin der re:publica 2014 ist es daher mein Ziel, dass wir die Gender Balance hinbekommen. Zwei Punkte sind dabei wichtig: a) dass man sich als Frau sichtbar macht und b) dass auch Veranstaltungsorganisatoren sich trauen, Frauen auf die Bühne zu bringen – auch wenn es ein nicht so bekannter Name ist.
Digital Media Women: Gibt es in Afrika das gleiche Problem?
Geraldine de Bastion: Auch in Afrika gibt es viele spannende Frauen, die aktiv sind, aber sie sind leider noch extrem in der Minderheit. Es gibt den Spruch „Don’t talk to women in tech about women in tech“. Warum? Weil die wenigen guten Frauen, die sich etwas trauen, gleich zum Rolemodel werden und dann nichts anderes mehr machen, als Konferenzen zu besuchen. Der Nachteil: Sie haben dann keine Zeit mehr, sich um ihre Unternehmen zu kümmern.
Digital Media Women: Wenn du dir eine Welt vorstellen könntest, die absolut frei von Rahmenbedingungen und Regeln für neue aufregende Ideen wäre: Wie würde sie aussehen?
Geraldine de Bastion: (überlegt einen Moment) Das ist eine große Frage. Natürlich wünsche ich mir, dass wir in einer Welt leben, die frei von kapitalistischen Wachstumszwängen ist. Eine Welt, in der die Menschen die Freiheit und auch die Toleranz haben, eigene Ziele zu realisieren. Aber ich würde mich auch schon freuen, wenn wir in einer Welt leben würden, in der Menschen sich freier im Internet bewegen können. In der jeder finanzierbaren oder kostenlosen Zugang zum Internet hat. In der wir ein freies und offenes Netz zur Verfügung haben, was nicht genutzt wird, um Menschen zu überwachen, sondern um Menschen eine Plattform zu bieten. Eine Plattform, die den Zugang zu Informationen bietet, um sich on- und offline selbstverwirklichen zu können.
Digital Media Women: Vielen Dank für das Interview!