M2C 2014: „Show me the money“ – wie Digitales in Unternehmen funktioniert

Die Marketing 2.0 and Social Media Conference (M2C) ist für mich der Trüffel unter den Online-Marketing-Konferenzen: schwer zu finden und unglaublich lecker!

Nils Andres
Nils Andres hat die M2C-Konferenz zum 10. Mal organisiert (Foto: Christiane Brandes-Visbeck)

Zum zehnten Mal hat Nils Andres, Geschäftsführer des Brand Science Institutes, die M2C in veranstaltet – in diesem Jahr erneut im Cinema-Raum des Hamburger Szene-Hotels East. Da saßen also Anfang der Woche ausgewählte Macher aus der internationalen Online-Marketing- und Social-Media-Szene und teilten ihre Erfahrungen mit uns. Ihr Motto für 2014: „Show me the Money!“ Doch damit hören die Gemeinsamkeiten auch auf. Je nach Mentalität des/der Vortragenden waren ihre Botschaften laut, innovativ, disruptiv, eindringlich, emotional, philosophisch oder auch einfach nur trivial. Einige der M2C-Learnings habe ich für euch aufgelistet.

#1: Big Data is money!

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Anna O’Brien aus New York City liebt Daten (Foto: Christane Brandes-Visbeck)

Meine Lieblingsvortragende der M2C war erneut die bezaubernde Anna O’Brien, Analystin bei Sprinklr in New York City. Sprinklr ist eine Agentur, die eine Cloud-Software entwickelt hat, die Unternehmen dabei helfen will, ihre Social Media Experience vernünftig zu managen. Anna nimmt die Bühne sofort ein und fängt mit den Worten an: „Ich bin Anna. Ich stehe für alles, was man nicht erwartet: Ich LIEBE Daten, kann gut reden und ich bin eine Frau!“ Und dann trägt sie mit wenigen Charts und vielen Rapper-Bildern („Ihr mögt doch Rapper in Deutschland, oder?“) ihre Thesen über Big Data vor: Chefs lieben große Zahlenmengen. Die verstehen sie. Besser als Social Media. Wenn ihr ein Budget braucht oder Unterstützung für ein Projekt, dann liefert die Daten dazu. Nicht in einem 40-seitigen Paper, sondern in einer Form, die eurem Boss Spaß macht: einfach, leicht verständlich, vielleicht auch witzig (Strike! Anna kommt aus New York). Zur Auswertung der Daten (Monitoring, ROI u.v.m) erzählt Anna das, was man nicht oft genug sagen kann: Fragt nach, was ihr mit Social Media erreichen wollt! Engagement ist kein Ziel, sondern ein Tool! Datenauswertung ist wie Kuchen backen: Man braucht die passenden Zutaten, ein überzeugendes Rezept, einen erfahrenen Bäcker und vor allem eine Vorstellung davon, was demjenigen schmeckt, der ihn essen soll. Schokokuchen für Karottenkuchen-Freunde geht gar nicht! Noch Fragen?

#2: Digitale Transformation ist wie eine Organtransplantation!

Social-Media-Philosoph Jamie Purcell (Foto: Christiane Brandes-Visbeck)
Social-Media-Philosoph Jamie Purcell (Foto: Christiane Brandes-Visbeck)

Für einen der Klügsten unter den engagierten Social-Media-Köpfen halte ich Jaime Punishill. Jaime hat als erster eine Bank davon überzeugen können, dass Social Media auch in der Finanzindustrie relevant sein kann. Er hat sich die Zähne ausgebissen, um bei der CitiBank neue Kommunikationswege zu implementieren. Seine Erfahrung: Social Media Management umfasst zu 90 Prozent Change-Management und zu 10 Prozent Community-Arbeit. Es ist ihm gelungen. „Doch“, sagt Jaime, „mit großen Unternehmen ist es wie bei einer Organtransplantation. Das lebensrettende, neue Organ wird häufig abgestoßen.“ Nach seinem Weggang von der CitiBank hätte er am Liebsten eine eigene Bank als Start-up gegründet. Warum? „Außer bei wenigen Genossenschaftsbanken geht es großen Finanzinstituten doch vornehmlich darum, staatliche Regularien einzuhalten und das Geld der Investoren zu vermehren. Der Kunde – und damit die Kommunikation mit Menschen in der Community – spielt keine Rolle.“ Inzwischen hat Jaime als Global Head of Wealth Online bei Thomson Reuters angeheuert. Einen großen, sehr traditionsbewussten, institutionellen Geldanleger, der auf Pensionsfonds spezialisiert ist. Im B2B-Umfeld darf er im geschützten Raum digitale Transformation spielen. Wie hat er DAS geschafft?

#3: Kritisiere nie ein funktionierendes Geschäftsmodell bevor du eine Alternative hast!

Genau das hat Jaime getan: Seine neue Idee so gepitcht, dass sie den alten, weißen Männern gefiel. (Ehrlich gesagt, sind auch Frauen und Minderheiten im Thomsen-Executive-Board vertreten. Aber nur ein paar). Jetzt kommt wieder #1 ins Spiel.

#4: Community beyond Social Media. Digital becomes the product!

Moderator Tom stellt Barbara Schandl und Sally O'Rourke vor. (Foto: Christiane Brandes-Visbeck)
Moderator Tom stellt Barbara Schandl und Sally O’Rourke vor. (Foto: Christiane Brandes-Visbeck)

Viele Unternehmen sind ja von ihren Communities gefrustet. Likes und Shares gehen zurück, Fans und Freunde agieren in der Regel so wenig, dass auch die Engagement-Rate nur wenig viel über die Qualität der Community aussagt. Wer sich mit Leib und Seele für das Thema ‚Community‘ einsetzt, ist Sally O’Rourke von PromiseCommunispace aus London. Ihr Job ist es, Communities für Großkunden aufzubauen. Und in jedem Jahr hat sie auf der M2C ein neues, tolles Beispiel für ihre Arbeit mit Communities im Gepäck. In diesem Jahr hat es was mit, tja, Crowdsourcing zu tun. Vielleicht nicht ganz neu, aber für B2C-Communities, die sich um Tiere, Kinder und Hobbys drehen, nach wie vor recht spannend. Der Schlüssel für Sallys Erfolge ist – gemäß der bekannten Community-Manager-Regel Listen, Learn, Engage, Act – das Zuhören. Als Best Practise stellte sie uns eine Community von Petsmart vor, eine Community-Idee, die von dem vom Gesprächsverhalten von Eltern und Tierhaltern inspiriert ist: Hier sprechen nur Tiere. Katzenmütter und Hundeväter lieben das Konzept, berichtet Sally. Ihre Co-Referentin Barbara Schandl von Mondelez (ehemals Kraft Foods) erzählt, wie sie aus zwei separaten Communities für Köche und Hausfrauen Ideen für ein neues Produkt gezogen haben: Hausfrauen und Köchinnen nutzen Philadelphia-Käse zum Kochen. Also wurde mittels Crowdsourcing eine neue Produktlinie entwickelt: Die Philadelphia Cooking Cream, eine Art Schmand zum Kochen in allen denkbaren Geschmacksrichtungen.

#5: This is how we do it: Influencer Relations.

Diejenigen unter euch, die auf der diesjährigen re:publica waren, haben vielleicht die Initiative #digitalfreedom mitbekommen. Eine Kampagne der Münchner Online-PR-Agentur we are social im Auftrag des finnischen Virenschutzsoftware-Herstellers F-Secure. Sie haben zum Kickoff als Kampagnen-Botschafter und Special Guest der #rp14 David Hasselhoff dazu gebucht (auf der seriösen NEXT durfte TheHoff nicht dabei sein). Mit den Hasselhoffschen Hashtags #KITT #Looking_for_Freedom #Peinliches_YouTube-Video_wegen_Alkohol war er, so dachte die Agentur, prädestiniert, das Interesse der re:publica-Besucher zu wecken. Und tatsächlich: Animiert von einer jungen Medienfrau aus Hamburg stimmt Mister Hasselhoff „sein Lied“ an. Strike für die Kampagne!

Dass Influencer-Relations das neue Buzzword aller Kommunikations- und Social-Media-Agenturen ist, verwundert jetzt niemanden mehr. Amplify! Buzz! Das sind die Schlagworte der Content-Marketing-Spezialisten. Denn nur die Botschaft, die sich von anderen abhebt, wird gehört. Hier kommen die Influencer ins Spiel. Doch wie findet man diese Online-Beeinflusser? Tolle Tipps dazu lieferte Nestor Portillo von Cisco, ehemals Microsoft, die ja für ihre erfolgreichen Community Relations weltweit bekannt sind. Bemerkenswert auch Sean Gardner aka @2morroknight, der mit 662.000 Followern von Forbes in 2013 die Top Social Media Influencer anführte. Der Twitter-Experte und HuffPo-Autor, ein im Reallife eher schüchtern wirkender junger Mann ohne besondere Kontakte in die Medienwelt, hat sich mit sehr harter Arbeit, sozialem Engagement und dem Willen zum Erfolg mit seinen Social-Media-Strategien an die Spitze geboxt. Sein aktuelles Erfolgsrezept für noch mehr Reichweite: Jeden einzelnen Tweet neu formulieren, neue Tweets neuer Follower konsequent retweeten und regelmäßige Postings auf seinem LinkedIn-Blog! Cudos to Mr. Twitter-Influencer USA.

#6: Evergreen Hashtags – Schlüssel für erfolgreiche Kampagnen

M2C_Think differently Ein besonderes Highlight für mich war der Vortrag von Jack Holt von Mattr in Austin, Texas, die sich auf Brand-Storytelling spezialisiert haben. Jack präsentierte seine coole Ford-Mustang Kampagne zu den Fifa Worldseries mit viel überzeugender Ruhe und viel Humor. Seine Slides zeigten genau, wie Zielgruppen genau identifiziert und ihre Kommunikationsgewohnheiten präzise ausgelotet werden. Bei dieser durchdachten Kampagne mit crossmedialen Kunden-Touchpoints (hach, es war mir eine Freude, dieses Chart zu sehen!), funktioniert ein Evergreen-Hashtag wie eine Art Dach-Slogan, der weniger mit dem neuen Produkt als mit einem nachhaltigen Lebensgefühl der Zielgruppe zu tun hat. Das Prinzip der Lifelong-Customer-Journey kennen einige von euch vielleicht aus dem Agendasetting oder von der Markteinführung schwieriger Produkte: Zuerst wird eine Lebenswelt aufgebaut, mit der sich bestimmte Menschen identifizieren können, dann wird die Produkt-Kommunikation nachgeschoben. Auch O2 hat gerade diesen Evergreen-Hashtag eingeführt: #YouCanDo . Und F-Secure setzt auf #digitalfreedom.

#7: Twitter lernt crossmediale Marketing-Kampagnen

Zum Schluss noch mein persönliches Super-Highlight. Die neue Twitter Brandstrategie! Mit einer atemberaubenden Präsentation (die wir leider noch nicht haben), zeigte Ali Jafari, Marketing-Chef Europa aus Dublin, wie mittels First- und Second-Screen Marken-Kampagnen so gesteuert werden sollen, dass die Leute in den Werbepausen nicht mehr wegzappen.

Only in America. Schade eigentlich.

Shoutout „Show me the Money!“ (Foto. Christiane Brandes-Visbeck)

Insgesamt präsentierte sich die M2C als ein ungewöhnliches Konferenz-Format, bei dem nicht alles perfekt ist, das aber wegen der ungewöhnlichen Speaker unbedingt viel bekannter werden sollte. Nils hat uns beim Abschied versprochen, dass es 2015 weiter geht. Mal sehen, welches Motto er sich dann ausdenken wird. „Show me the money!“ hat gut funktioniert. Und immer, wenn es passend war, forderte Moderator Tom Garrahan uns auf, aufzustehen. Ratet mal, was wir dann im Mantra-gleich im Chor gerufen haben? Diesen Satz mit dem M-Wort (Link unbedingt anklicken!). Genau.

Das sagen unsere DMW Sanja und Sina von Hamburg Startup über die M2C:

Sanja Stankovic, Mitgründerin der Digital Media Women

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DMW-Mitgründerin Sanja auf der M2C (Foto: Christiane Brandes-Visbeck)

Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, wann ich Nils kennengelernt habe, aber ich weiß noch, dass er einen Vortrag hielt und seine Thesen unwahrscheinlich provokativ waren. Ich mag das. Genauso kuratiert er eben aber auch die Sprecher für die M2C. Ich war in diesem Jahr erstmalig dabei – war aber bereits in den Jahren davor schon immer von der Speakerauswahl beeindruckt. Die Mischung ist anders, außergewöhnlich und qualitativ hochwertig. Es sind eben nicht die üblichen Verdächtigen (deshalb ist dann auch der Frauenanteil grundsätzlich größer als bei anderen) Sprecher und Cases – und plötzlich hört man was Neues (passiert selten finde ich).

Etwas, dass sich durch alle Vorträge als „Quintessenz“ für mich herauskristallisierte und die Ali Jafari von Twitter auf den Punkt brachte: Take risk – always listen – be prepared. Die Cases kamen ja alle nicht aus Deutschland und was sich ebenfalls deutlich zeigte: Kommunikation ist in Deutschland total langweilig. Das mit dem Zuhören kriegen die Deutschen gut hin (siehe zahlreiche Monitoringdienste), aber der Mut und die Spontanität fehlen eben meist. Beispiele wo Unternehmen spontan (und lustig reagieren) sind leider immer noch eine Seltenheit und selbst bei Unternehmen mit einer lustigen Mutter in den USA ging der Humor irgendwo im Atlantik unter. Die Frage bleibt: Where is the money, where is the fun?

Sina Gritzuhn, Hamburg Startups:

Sina Gritzuhn war von der M2C geflasht (Foto: privat)
Sina Gritzuhn war von der M2C geflasht (Foto: privat)

Ich habe unter anderem für Hamburg Startups einige Konferenzen besucht und redaktionell begleitet und hatte daher keine besonderen Erwartungen an die M2C. Diese Konferenz packte mich jedoch mit ihrem ganz eigenen Flair. Die Vorträge entpuppten sich als Cases aus dem wahren Marketing-Leben großer internationaler Unternehmen wie Lufthansa, METRO oder CitiBank. Das Publikum bekam keine Sales-Pitches, sondern hilfreiche Insides und Tipps von Marketing Profis. Der kleine und damit privatere Rahmen ermöglichte zudem, die Speaker nach ihren Vorträgen ohne Scheu noch einmal anzusprechen und sich direkt mit Ihnen auszutauschen. Ein spannendes Format und wie M2C Speaker Jack Holt es so schön formulierte: Surprises give you eyes-es!

 

Wer noch mehr über die M2C lesen möchte: Mein Interview mit Nils vor dem Kongress

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