Anfang Mai pilgerten wieder zahlreiche #DMW ins Berliner Station. Seit vier Jahren nicht nur zur re:publica, sondern auch zur Media Convention. Vom Medienboard Berlin-Brandenburg und der Medienanstalt Berlin-Brandenburg veranstaltet, hat sich diese Zusammenkunft im Windschatten von Europas größter Netzkonferenz zu einem angesehenen Medienkongress entwickelt. Inspiriert vom Festival-Feeling der #rp17 treffen bei der #mcb17 Medienschaffende in lockerer Atmosphäre auf Nerds, Netzaktivist*innen und ganz normalen Menschen. Wie war es dieses Jahr?
In erster Linie war’s voll. An drei Tagen inhalierten rund 9.000 Besucher*innen in rund 800 Sessions Redebeiträge von rund 1.000 Speaker*innen – die übrigens zu 47 Prozent weiblich waren. Weil es in diesem Jahr leider häufiger regnete, verbrachten die Besucher*innen weniger Zeit auf dem legendären re:publica-Hof und drängelten sich stattdessen auf dem überdachten Messegelände sowie rund um die kleinen und mittelgroßen Bühnen. Von diesem Andrang profitierte auch die Media Convention. Denn nicht nur diejenigen, die „etwas mit Medien machen“, wissen genau: Im Zeitalter von Hassrede, Fake News und „Danke, Merkel!“ heißt es „Wir müssen reden“. Also haben rund 80 Redner*innen auf den Bühnen der #mcb17 über alles gesprochen, was die Transformation der Medien (voran-)treibt: Glaubwürdigkeits-Dilemma, Algorithmen und Big Data, Künstliche Intelligenz, Virtual und Augmented Reality. Mich haben vor allem die Sessions zum digitalen Wandel in der Medienwelt interessiert.
Fucking Verantwortung statt Fake News
Während großartige Frauen wie Carolin Emcke, Kübra Gümüşay und Elisabeth Wehling als Vordenkerinnen zum Thema #LoveOutLoud die großen Bühnen der #rp17 rockten, ging es in einigen Sessions der Media Convention um die Verantwortung klassischer Medienmacher und die Folgen der Digitalisierung für ihre Berichterstattung. Vor allem die Glaubwürdigkeits-Debatte um Fake News, Hatespeech und Echokammern stellt Verlage, Sender und Journalisten vor die Herausforderung, sich wieder auf ihre Verantwortung als Beitragende zur öffentlichen Meinungsbildung zu besinnen. Mit ihrer Rolle als vierte Gewalt im demokratischen Staat können sie mit ihrer Berichterstattung und öffentlichen Diskussionen das politische Geschehen nachhaltig beeinflussen. Doch was ist, wenn ihr Content wichtige Zielgruppen wie junge Menschen oder politisch Andersdenkende gar nicht mehr erreicht? Wenn sich diese bevorzugt über die sozialen Medien informieren?
Main Sources of News by age @rasmus_kleis #mcb17 #rp17 #stage7 pic.twitter.com/xjtFpraEvv
— Vor Ort NRW (@VorOrtNRW) 9. Mai 2017
„Reinventing Media“ lautet das Gebot der Stunde. Umdenken, Innovation und Disruption zugunsten neuer Geschäftsmodelle und Organisationsstrukturen, neuer Medienprodukte, neue Ansätze im Community Management und in der Verbreitung von Medieninhalten.
Wie es zu dem großen Reichweiten- und Glaubwürdigkeitsverlust kommen konnte und wie man Vertrauen wiedergewinnen könnte, haben
- Dr. Rasmus Kleis Nielsen, Director of Research Reuters Institute der University of Oxford
- Jim Egan, Chief Executive Officer bei BBC Global News
- Dr. Barbara Hans, Chefredakteurin von SPIEGEL ONLINE
- Dr. Joachim Huber, Leiter des Ressort Medien von Der Tagesspiegel
- Niddal Salah-Eldin, Head of Social Media bei WELT und N24
- Dr. Maren Urner, Co-Founder and Editor-in-Chief von Perspective Daily
in der viel beachteten Session „Fake News und die Glaubwürdigkeitsdebatte. Wie dringt Journalismus noch durch?“ diskutiert:
Von alten Männern für alte Männer
Laut Reuters Research Institute finden zunehmend mehr Menschen professionell produzierte Nachrichten langweilig. Das Informationsangebot klassischer Medienproduzenten berührt sie nicht. Es findet außerhalb ihrer Lebenswelt statt. Irgendwann, wenn keiner mehr für die Zielgruppen jenseits des Mainstreams spricht, wenden sie sich ab, kreieren ihren eigenen Nachrichtenstream und finden Quellen – die nicht immer seriös sind. In Deutschland gibt es keine so große politische Krise wie in den USA, aber dennoch, so Nielsen, ist die Medienkrise auch hier virulent. Auch bei uns werden Nachrichten von alten Männern für alte Männer produziert. Wenn immer mehr Menschen denken, dass journalistische Berichterstattung in ihrem Leben keine Rolle mehr spielt, ist die Krise des Journalismus vorprogrammiert.
Was können „die Medien“ dagegen zu tun? Social Media-Expertin Niddal Salah-Eldin, die wir hier für dieses Blog auf einen #DMWKaffee interviewt haben, definiert das Feld: Es geht um mehr, als nur um Fake News. Thema sind mediale Transparenz und Aufklärung darüber, wie Medien funktionieren. Niddal und ihr Team werden öfters gefragt, ob etwas wahr sei, und wenn ja, warum sie nicht darüber berichten: „Wir müssen einen Einblick in unsere Arbeit geben und erklären, wie unser Nachrichtenangebot funktioniert. Wir bekommen dafür sehr positives Feedback, aber wir können nicht jeden erreichen.“ Sie erreichen nur die, die (noch) offen dafür sind.
Die Neurowissenschaftlerin Dr. Maren Urner, Gründerin und Chefredakteurin des Medien-Startups Perspective Daily, das vertrauenswürdige Nachrichten „mit dem Blick nach vorn“ produziert, betont, wie wichtig es für Medienmacher sei, sich mit den Funktionsweisen des menschlichen Gehirns auszukennen. Sie sagt, dass das Fact Checking im Kampf gegen Fake News nur die halbe Miete sei. Je mehr Menschen oder Medien gegen die eigene Perspektive angehen, desto mehr verteidige man sie. Deshalb, so Jim Egan, CEP von BBC Global News, geht es für klassissche Medienproduzenten vor allem darum, vertrauenswürdig zu sein und als eine glaubwürdige Quelle wahrgenommen zu werden.
Rasmus Nielsen betont, dass niemand das Rezept Reinventing Journalism für das 21. Jahrhundert kennte, aber die Arroganz der 90er Jahre sei vorbei. Auch wenn es hilfreiche wäre, mehr erfahrene Journalisten im Newsroom zu haben, geht es im Journalismus heute darum, den Menschen wieder mehr zuzuhören und über ganz unterschiedliche Menschen zu berichten. Wir benötigen „neue Stimmen durch Vielfältigkeit“ und Journalisten mit ganz unterschiedlichen Hintergründen. Dr. Barbara Hans, Chefredakteurin bei SPON, ist davon überzeugt, dass Medienschaffende wieder darüber nachdenken sollten, wie sie ihre Geschichten aufbereiten können, um unterschiedliche Zielgruppen zu erreichen. Im Zeitalter des Instant Feedbacks wissen Online-Plattformen genau, wie lange User dran bleiben. „Darauf können wir reagieren“.
Runter vom hohen Ross
Mir hat es sehr gefallen, dass die Panelist*innen nicht dem üblichen Userbashing verfallen sind. Sie wissen, dass die Menschen heute wieder politisch engagiert sind. Sie protestieren. Eine große Chance für gesellschaftspolitischen Journalismus. Der Tenor: Weniger klagen und weniger Angst haben vor den Antworten der User. Niemand weiß, wie Journalismus in fünf Jahren aussehen wird. Es gibt auch noch keine Antwort auf die Frage, welches Business Model funktionieren wird. Aber, so das Fazit der Session: Wir Journalisten müssen runter vom hohen Ross und uns den Herausforderungen stellen.
Drüben bei der #rp17 gab es am Vormittag eine ähnliche Diskussion. Und Panelisten um Niddal Salah-Eldin, Richard Gutjahr und Stefan Niggemeier sind bei ihrer Session „Survival of the fakest? ARD und andere Medien im Kampf gegen gezielte Falschinformation“ zum selben Ergebnis gekommen: „Das eigentliche Problem sind nicht Fake News,“ so Niggemeier. „Etwas ist in der Beziehung zwischen uns und dem Publikum entgleist.“ Medien sollten an ihrem „gestörten Verhältnis zum Publikum“ arbeiten. Dieses Fazit brachte niemand besser auf den Punkt als Richard Gutjahr:
Schlusswort von @gutjahr: „Fucking Verantwortung statt Fake News“ ?#rp17 #stage4
— Anja Negendanck ?? (@anegend) 9. Mai 2017
Lokaljournalismus – Rückgrat der Demokratie
Wie gestört das Verhältnis klassischer Medien zu ihren Leser*innen/User*innen ist, zeigte sich auch in der Diskussion „Jemand vor Ort? Lokaljournalismus zwischen Innovation, gesellschaftlicher Bedeutung und staatlicher Förderung“ am Tag 2 auf Stage 7 mit
- Prof. Dr. Hansjürgen Rosenbauer, Vorsitzender des Medienrats Medienanstalt Berlin-Brandenburg
- Prof. Dr. Frank Lobigs, Professor für Journalistik, Schwerpunkt „Ökonomische Grundlagen des Journalismus“ am Institut für Journalistik der TU Dortmund
- Staatssekretär Thomas Kralinski, Chef der Staatskanzlei & Beauftragter für Medien Staatskanzlei Land Brandenburg
- Prof. Bascha Mika, Chefredakteurin Frankfurter Rundschau GmbH
- Patricia Schlesinger, Intendantin Rundfunk Berlin-Brandenburg
- Isa Sonnenfeld, Head of Google News Lab DACH, und
- Moderatorin Andrea Hansen, Freie Journalistin und stellvertretende Landesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands in NRW.
Das Intro des unaufgeregten Journalistik-Professors Frank Lobigs brachte wirklich innovative Ideen. Die Frage: „Wer ist vor Ort? “ beantwortete er so: Ja, lokale Zeitungsredaktionen schrumpfen, seit dem Jahr 2000 arbeiten dort um 30 Prozent weniger Redakteure. Ja, das Anzeigenvolumen in Zeitungen ist seit der Jahrtausendwende um 50 Prozent gesunken. Das wird durch Koops in Druck, Vertrieb und Redaktion sowie erhebliche Preiserhöhungen von Abos kompensiert. Damit sterben die Zeitungen nur langsam – „Die hard“.
Für Digital Natives keiner vor Ort
Aber: Das klassische Nachrichtenangebot kommt kaum noch an. Die treuen Abonnenten sterben weg, und die Jüngeren (bis 40 Jahre) sind vornehmlich online unterwegs, surfen mobil und konsumieren News aus ihren personalisierten Social Media-Streams. Die Folge:
Digitaleinnahmen von Lokaljournalismus sind ein Desaster #mcb17pic.twitter.com/7J4Z3N1RJF
— Franziska Bluhm (@franziskript) 9. Mai 2017
Und es wird noch schlimmer werden. Denn Zeitungen verlieren im Werbegeschäft den Kampf durch effiziente, digitale Vermarktungsansätze wie Programmatic Advertising von Facebook, Google & Co. Verlagshäuser reagieren aktuell mit einer Trennstrategie: Im alten Paradigma verschwindet der Content hinter Bezahlschranken für Online-Abos und E-Paper. Im neuen Paradigma werden bunte Portale produziert, die wenig kosten und allein auf Reichweite ausgelegt sind. Beide Märkte verbindet nichts miteinander. Im Ergebnis sind Jüngere auch Lokaljournalismus depriviert.
Wer also ist noch vor Ort? Bald niemand mehr. Deshalb schlägt Lobigs vor, das öffentliche-rechtliche System als Reparaturinstanz einzusetzen: „Wenn sich der neue Markt nicht refinanzieren lässt, dann muss der öffentlich finanzierte Journalismus gegensteuern.“ Er empfiehlt, im alten Paradigma Zeitungen im Sinne von Qualitätsjournalismus im Lokalen fördern, beispielsweise durch Steuererleichterungen oder Veränderungen im Kartellrecht, nicht aber die externe Vielfalt – und damit die Konkurrenz fördern, denn dann „kannibalisieren sie sich alle“.
Im neuen, dem digitalen Paradigma sieht er einen großen, wachsenden Bedarf ein direkter Förderung. Lobigs regt an, über ein „fundamentales, neues öffentlich-rechtliches Angebot“ nachzudenken. Öffentlich-rechtliche Anstalten könnten einen zusätzlichen Service als zentrale Marketingagenturen für journalistische Inhalte anbieten. Damit könnte eine selektive Förderung für Innovatives einhergehen und diejenigen Menschen unterstützt werden, die das Handwerk des neuen Marktes kennen und wissen, wie man Inhalte mit zeitgemäßen Onlinemarketingmaßnahmen verbreitet. Der Google Innovationsfonds sei in diesem Sektor schon unterwegs.
Qualitätsjournalismus retten
In der nachfolgenden Diskussion nehmen die weiteren Panelist*innen Lobigs Thesen auf. Patricia Schlesinger spitzt die Aussagen zu mit den Worten:
Der Lokaljournalismus ist das Rückgrat der Demokratie.
Diversität zeichnet die deutsche Pressefreiheit aus. Sie kann sich Kooperationen mit privaten Anbietern sehr gut vorstellen, denn guten Journalismus zu fördern sei ein gemeinsames Interesse. Ihr Fazit: „Qualitätsjournalismus ist ein Lebensmittel für die Demokratie.“ Doch Lebensmittel müssen auch schmecken.
Als Isa Sonnenfeld endlich angesprochen wird, regt sie zum überfälligen Perspektivenwechsel an: „Wir sollten im Lokaljournalismus mehr auf die Nachfrageseite schauen und und fragen: Was wollen die Nutzer? Wann wollen sie die Information erhalten? Wann und wie können wir sie am Besten erreichen?“ Gerade in politisch schwierigen Zeiten sei das ein Gebot der Stunde. Sie berichtet von dem Schweizer Verlag AZ Medien, der gerade die Petitionsplattform petitio.ch gelauncht hat. Wenn 200 Menschen eine Petition unterschrieben haben, greift die Redaktion das Thema auf. Digitales kann folglich für den Lokaljournalismus sehr hilfreich sein. Isa treibt daher die Frage um: Wie motiviere ich Verlagsmitarbeiter, sich mit Innovationen auseinanderzusetzen?
Oder auch: Wie nah am geschehen sind Lokaljournalisten, die ihren Content schnell und effizient in modernen Newsrooms produzieren, aber so gut wie nie auf der Straße mit Menschen reden?
Konflikte zeigen Raum für Veränderung
Bei Fragen zur Haltung von Journalisten und über unkonventionelle Konzepte zur Förderung von zeitgemäßen Qualitätsjournalismus kommen wir zum Thema Digitale Transformation in Medienunternehmen. Als Medienkooperationspartner der Media Convention durften wir #DMW zwei Karrierebooster-Workshops im kuscheligen MediaCube gestalten. Ute Blindert sprach am 3. Tag übers Netzwerken und ich, Christiane Brandes-Visbeck, am 2. Tag über Digital Leadership, also Führung im digitalen Zeitalter.
Die Digitalisierung ermöglichst ein neues Nutzerverhalten, das zur Folge hat, dass klassische Medien junge Zielgruppen zunehmend weniger erreichen. Medienschaffende, die es leid sind, von den zunehmenden Veränderungsdynamiken der Digitalisierung getrieben zu werden, können als Digital Leader ihren digitalen Wandel selber gestalten. Dafür benötigen sie keine Führungsposition. Sie können allein mit ihrer Haltung und ihren Handlungen Vorbild für viele sein.
In dem Workshop habe ich erzählt, wie Digital Leader erfolgreich sein können.
„Wer (Wissen) teilt, ist erfolgreich.“ @ChristianeAhoi über #DigitalLeadership#rp17pic.twitter.com/pihkHPqV6p
— Katharina Krueger (@newsbykatriona) 9. Mai 2017
Sie ermutigen ihre Kollegen und Teams zu kleinen Innovationen. Einmal in der Woche rauszugehen und mit den Menschen sprechen. Sich ein überwinden und als Video-Reporter unterwegs sein. Zu erkennen, das Menschen unterschiedlicher Generationen ganz anders kommunizieren, und dass ein Boss oder Chef aus der Hölle niemals ein inspirierender Leader sein wird. Digital Leader denken positiv und wollen die Zukunft gestalten. Denn:
Wo Konflikte sind, da ist Raum für Veränderung! @ChristianeAhoi auf der #rp17pic.twitter.com/qmyHR3Wz9v
— Andrea Rakers (@donnesays) 9. Mai 2017
Boldy Go
Es gibt viele mutige Menschen im Journalismus, die jeden Tag etwas Neues ausprobieren. Das haben die Sessions mit Eva Schulz, Martin Hoffmann, Carline Mohr und vielen, vielen anderen Medienmachern auf der Media Convention gezeigt. Boldy go… bis zur #mcb18!
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