#30mit30 bei der ZBW: „Das Management muss Diversität und Vereinbarkeit vorleben – nicht nur davon reden“

ZBW Team (Copyright ZBW / Sven Wied)

Im Rahmen der #30mit30-Kampagne suchen die Digital Media Women 30 Unternehmen in Deutschland, die einen Frauenanteil von über 30 Prozent in ihren ersten drei Führungsebenen haben. Heute ist #30mit30 zu Gast bei der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft. #DMW Anke Nehrenberg spricht mit Ulrike Ellendt, Referentin für Gleichstellung und Diversität, Thorsten Meyer, stellvertretender Direktor und Nicole Krüger, stellvertretende gesetzliche Gleichstellungsbeauftragte, über das klassische Rollenverständnis und gelebte Diversität.

Die ZBW – Leibniz–Informationszentrum Wirtschaft ist mit einem Bestand von 4,43 Millionen Medieneinheiten die weltweit größte Forschungsinfrastruktur für wirtschaftswissenschaftliche Literatur und besitzt Forschungsabteilungen in den Bereichen „Digitale Informationsinfrastrukturen“ und „Web Science“.

 

„Wir fördern gezielt Frauen in der Informatik, um sie für uns zu begeistern“

 

Anke Nehrenberg: Die ZWB nimmt ja eine besondere Rolle ein innerhalb unserer #30mit30-Kampagne. Von der Institution und ihrer Geschichte heraus kommen Sie aus einer traditionell mit einem höheren Frauenanteil besetzten Organisation. Wie war die ZBW in der Vergangenheit aufgestellt und was war mit Blick auf die letzten fünf Jahre prägend an Veränderung für die ZBW?

Thorsten Meyer (Copyright ZBW/Sven Wied)

Thorsten Meyer: Die Bibliothekswelt ist per se stärker von Frauen besetzt, wobei die ZBW immer einen männlichen Direktor hatte. Die Institution ist jetzt 100 Jahre alt. Einhergehend mit der digitalen Transformation haben sich auch die Arbeitsabläufe verändert. Wir haben 2012 unsere gesamte Organisation neu aufgestellt und damit verschiedene Hierarchie-Ebenen eingeführt. Und da haben wir gezielt Frauen in Führungspositionen gebracht. Dadurch sind wir auch dem Frauenanteil, den wir in der Gruppe der Beschäftigten haben, endlich gerecht geworden. Gleichzeitig wurde die Forschung aufgebaut. Die Informatik ist eher eine männerdominierte Disziplin. Es gibt wenige Frauen, die das Fach studieren und von denen kommen nochmal weniger Frauen in die Wissenschaft. Unsere Herausforderung ist also, gezielt in der Informatik Frauen zu fördern und entsprechend zu uns zu holen.

 

Nicole Krüger: Im Zuge der Reorganisation sind wir intern gezielt auf Frauen zugegangen und haben sie für Führungspositionen motiviert.

 

Thorsten Meyer: In der Abteilungs- und auch Programmbereichsleitung haben wir 67 Prozent Frauen. In der Direktion konnten wir seit letztem Jahr eine dritte Position schaffen, die mit einer Frau besetzt ist.

 

Ulrike Ellendt: Auch bei den Professuren achten wir sehr darauf, dass der Frauenanteil vorhanden ist. Gesellschaftlich hat schon vor ein paar Jahren ein Wandel stattgefunden. Durch einen Generationswechsel in der Institutsleitung wurde das Bewusstsein erneut gestärkt.

 „Auch Führungserfahrung muss man aufbauen.“

 

Anke Nehrenberg: Sie haben also entschieden, den traditionell hohen Frauenanteil im Bibliothekswesen auch in der Führung abzubilden. Hat das von Anfang an gut funktioniert?

 

Thorsten Meyer: Im Rückblick größtenteils ja. Manche Kolleginnen, die wir für Führungspositionen im Auge hatten, mussten noch etwas überzeugt werden. Häufig war es so, dass die Kolleginnen das Gefühl hatten, ihnen fehle die Erfahrung. Aber auch Führungserfahrung muss man erstmal aufbauen. Natürlich wäre es schön, wenn man immer schon 30 Jahre Erfahrung in den Dingen hat, die man macht. Aber dann kann man nie anfangen. Unseren Nachwuchsführungskräften haben wir dann entsprechende Fortbildungen angeboten. Wir haben auch Coaches bei uns, die alle Führungskräfte gleichermaßen nutzen können. Das hat sich gut etabliert.

 

Ulrike Ellendt: Es werden regelmäßig Jahresgespräche durchgeführt, bei denen Weiterbildung thematisiert wird.

 

Nicole Krüger: Ich glaube, unsere Kultur war durch unsere langjährige Gleichstellungsbeauftragte bereits gut vorbereitet. Dadurch kam das Thema nicht völlig neu auf den Tisch.

 

Thorsten Meyer: Wir haben 2012 Führungsaufgaben definiert. Das ist jedoch ein stetiger Entwicklungsprozess. Denn durch die digitale Transformation ändern sich immer wieder Rahmenbedingungen.

 

„Ein höherer Frauenanteil muss bei der Unternehmenskultur ansetzen“

 

Anke Nehrenberg: Es gibt ja unterschiedlichen Ansätze, um den Frauenanteil zu steigern: Wir können die Gesetzgebung ändern oder das Mindset in der Führungsebene. Was hat Ihrer Meinung nach den stärkeren Einfluss?

Nicole Krüger (Copyright ZBW/Sven Wied)

Nicole Krüger: An den Führungskräften hängt schon sehr viel. Selbst wenn äußerer Druck durch die gesetzlichen oder institutionellen Rahmenbedingungen gegeben ist. Wenn man eine rein männliche Führungsriege hat, sollte man die Vorteile von Diversität thematisieren. Aber auch aufarbeiten, welche Vorurteile denn gegenüber Frauen in Führung bestehen. Medial geprägt sieht man Frauen immer noch mehr als Schönheitssymbol oder im Familienumfeld.

 

Ulrike Ellendt: Es ist ja auch ein Machtverlust. Ein großes Umdenken. Es ist wichtig, ein Bewusstsein für diese Themen zu schaffen und auch transparent zu agieren. Das muss ein Teil der Unternehmenskultur sein.

 

Thorsten Meyer: Die Leitung muss es vorleben. Nicht immer nur davon reden – aber dann nichts tun. Wir können zwar viel über die Vereinbarkeit reden, aber richtig glaubwürdig ist es dann, wenn es vorgelebt wird. Es kann nicht sein, dass man ein klassisches Rollenverständnis lebt, aber im Unternehmen die Vereinbarkeit von Beruf und Karriere für Frauen proklamiert. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind hilfreich, aber nicht so in Stein gemeißelt, dass man sie nicht umgehen könnte. Deshalb muss man bei der Unternehmenskultur ansetzen. Wenn Männer in Führungspositionen immer nur Männer fördern, dann wird man auch in Zukunft keine weiblichen Führungskandidatinnen haben.

 

Ulrike Ellendt: Eine leitende Funktion auf mehrere Personen zu verteilen, ist ja auch eine Entlastung. Dieses ganz alte Modell mit einer Person in der Führung – das ist ein fürchterlich anstrengender Job, der sich schwer mit Familie und Privatleben vereinbaren lässt.

 

Anke Nehrenberg: Was sind vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen Ihre Forderungen an die Politik? Wie könnte man am besten systemisch intervenieren?

 

Ulrike Ellendt (Copyright ZBW/Sven Wied)

Ulrike Ellendt: Die Vereinbarkeit von Familie, aber auch Privatleben und Beruf sind schon in der Politik angekommen. Die gesetzlichen Vorgaben müssen allerdings noch angepasst werden, da sie auf traditionelle Familien ausgelegt sind und Diversität noch zu wenig berücksichtigen. Stichworte sind da zum Beispiel Ehegattensplitting, Kita-Plätze, gleichberechtigte Anerkennung von Regenbogenfamilien oder auch (diversen) freundschaftlichen Lebensgemeinschaften mit sozialer Verantwortung, Frauenquoten und so weiter.

Nicole Krüger: Ebenso ist natürlich Erziehung und Bildung ein wichtiger Bereich, in dem noch viel passieren muss. Dass zum Beispiel der Informatikunterricht in den Schulen ausgebaut wird und bewusst Schülerinnen für die MINT-Fächer, Studiengänge und Berufe gewonnen werden. Das betrifft natürlich auch generell das weitere Aufbrechen der tradierten (Geschlechter-)Rollenbilder – auch was Jungen betrifft. Hier muss auch bei Lehrmaterialien und Berufsorientierung eine Sensibilisierung stattfinden.

 

„Auch Männer müssen für die Familienbetreuung ortsunabhängig arbeiten können“

 

Anke Nehrenberg: Was sind zentrale Aspekte, um Frauen in Führungspositionen zu fördern? Was sind besondere Herausforderungen?

 

Ulrike Ellendt: Ein großes Thema für uns ist Vereinbarkeit. Wenn wir mehr Frauen in Führung bringen wollen, müssen wir ihnen durch flexible Arbeitszeiten und -orte ermöglichen, diese Tätigkeiten und die Familie besser zu vereinbaren. Es ist wichtig, Rahmenbedingungen für Vereinbarkeit zu schaffen, weil immer noch mehr Frauen Betreuungs- und Versorgungstätigkeiten übernehmen. Das ist ja nun mal Fakt.

 

Thorsten Meyer: Wir möchten auch Männern die Möglichkeit geben, ortsunabhängig zu arbeiten, damit beide Partner entsprechend die Kinderbetreuung oder die Familienbetreuung übernehmen können. Es war bei uns schon immer normal, dass man bestimmte Sitzungen vormittags macht, wenn die meisten Leute da sind. Das müssen aber die Führungskräfte entsprechend koordinieren.

Anke Nehrenberg: Wie bringen Sie – womöglich zweifelnde – Männer zum Umdenken, insbesondere in Situationen, wo diese sich durch Veränderungen bzw. Gleichstellungsmaßnahmen in ihrer Position bedroht fühlen?

Thorsten Meyer: Dadurch, dass wir in den letzten Jahren sehr engagierte Gleichstellungsbeauftragte in der ZBW hatten, wurde langsam und stetig für das Thema Gleichstellung und Frauen in Führungspositionen sensibilisiert und eine Kultur der Chancengleichheit verankert. Das ist ein Prozess, das geht sicherlich nicht von heute auf morgen. Ebenso setzt die seit 2018 bei der Direktion angesiedelte Stelle der Referentin für Gleichstellung und Diversität ein Signal.

Ulrike Ellendt: Auch in der ZBW gibt es bei den Beschäftigten natürlich unterschiedliche Rollenbilder und Ansichten zu Gleichstellung und Diversität. Hier kann nur immer wieder sensibilisiert werden, um eine Kultur der Chancengleichheit zu verankern.

Nicole Krüger: Dazu können bestimmte Strategien helfen, zum Beispiel Anreize oder Quoten zur ausgeglichenen Inanspruchnahme von Elternzeit, oder die institutionalisierte Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort. In der ZBW richten sich die Angebote zur Vereinbarkeit von Beruf, Privatleben und Familie explizit an alle Beschäftigten – auch an diejenigen ohne Familienpflichten.

Frauen in Führungspositionen: „Der ökonomische Aspekt ist ausschlaggebend.“

Anke Nehrenberg: Provokant gefragt: Warum ist es überhaupt erstrebenswert, Frauen in Führung zu bringen? Was hat sich dadurch bei Ihnen verändert?

Nicole Krüger: Man hat grundsätzlich einen größeren Pool an Kandidatinnen und Kandidaten und damit mehr Auswahl bei der Besetzung einer Position.

 

Ulrike Ellendt: Es bringt unterschiedliche Perspektiven. Das kann man unter dem sozialen Aspekt sehen – Gerechtigkeit – oder unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten, also die Vielfalt der Potenziale.

 

Thorsten Meyer: Letztlich ist auch der ökonomische Aspekt ausschlaggebend. Warum sollte ich die Anzahl von guten Führungskräften einschränken, indem ich nur ein Geschlecht nehme? Damit beschneide ich mich ja in meinem Potenzial. Abgesehen davon sind Frauen als Führungskräfte oft selbstkritischer und hinterfragen sich häufiger. Das bringt uns natürlich Vorteile, da viel mehr Führungskräfte überlegen: „Was kann man vielleicht noch optimieren?“

 

„Wir würden nichts anders machen“

 

Anke Nehrenberg: Im Rückblick: Gibt es denn etwas, was Sie anders machen würden? Und wo sehen Sie besondere Herausforderungen in der Zukunft?

Thorsten Meyer: (Überlegt) Nein, in der Rückschau, fällt mir jetzt ad hoc nichts ein, was wir anders machen würden.

 

Ulrike Ellendt: Ein großes Thema wird die Internationalisierung sein. Dementsprechend auch, interkulturelle Öffnung und Diversität noch weiter auszubauen. Und ein großes Anliegen ist es natürlich, die Frauen in der IT auf uns aufmerksam zu machen und für uns zu gewinnen.

 

Anke Nehrenberg: Prima. Vielen Dank für das gute Gespräch.

FAKTEN ZUM UNTERNEHMEN

Branche: Spezialbibliothek / Stiftung des öffentlichen Rechts

Anzahl Mitarbeiter in Deutschland: 280

Gesamtetat: 22,95 Millionen EUR (Stand 2017)

Frauenquote in Deutschland (erste drei Führungsebenen): 56 Prozent

DAS #30MIT30 TEAM BEI DIESEM INTERVIEW

Interview: Anke Nehrenberg

Autorin: Janine Matthees

Lektorat: Anke Nehrenberg und Janine Matthees

Grafiken: Karolina Spring

Social Media Kommunikation: Claire Zeidler

Projektleitung: Nadine Bütow

Initiatorin: Maren Martschenko

WAS IST #30MIT30?

#30mit30 ist eine Kampagne der Digital Media Women (#DMW), die wir 2019 gestartet haben. Dabei suchen wir 30 in Deutschland ansässige Unternehmen aus allen Branchen ab einer Größe von 100 Mitarbeitern, die in den ersten drei Führungsebenen einen Frauenanteil von mindestens 30 Prozent vorweisen können. Dieser Anteil muss innerhalb eines Zeitraumes von drei bis fünf Jahren erreicht worden sein.

Wir wollen zeigen, dass und wie es in Unternehmen gelingen kann, den Anteil an Frauen in Führungspositionen auf 30+ Prozent zu erhöhen! Wir wollen den Weg dieser Erfolgsgeschichten sichtbar machen und die Ergebnisse mit Wirtschaft, Politik und Gesellschaft teilen. Unsere Kampagne soll Quelle der Inspiration und Impulsgeber für andere Unternehmen sein, die sich auf den gleichen Weg begeben wollen – aber nicht wissen, wie. #30mit30 schreibt positive Geschichten über die Machbarkeit von Vielfalt in Führungsetagen, ihre Wirksamkeit und die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen in Deutschland. Mehr erfahrt Ihr in unserem One-Pager und den FAQs zu #30mit30.

Bewerbungen sind über unsere Website oder per Email an 30mit30@digitalmediawomen.de möglich.

UNSER PARTNER

Wir danken unserem Medienpartner Newsaktuell für die Unterstützung der #30mit30 Kampagne. Wenn Du die Kampagne #30mit30 unterstützen möchtest, als Medienpartner oder Firmen-Sponsor, schreibe uns unter 30mit30@digitalmediawomen.de.

Wie Du #30mit30 unterstützen kannst:

Wir würden uns freuen, wenn Du den Erfolg der Kampagne aktiv gestaltest und begleitest. Das kannst Du folgendermaßen tun:

Teile die Inhalte und Vorbilder der Kampagne unter dem Hashtag #30mit30 auf Deinen Online-Kanälen und berichte interessierten Menschen und Unternehmen von der Kampagne.

Blogge oder schreibe als JournalistIn über die Kampagne. Hier geht es zum Pressekontakt.

Unterstütze die ehrenamtliche Arbeit der Digital Media Women und werde #DMW-Fördermitglied. Unternehmen können uns mit einem #30mit30-Kampagnen-Sponsoring unterstützen.

Fotos: ZBW/Sven Wied

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