Bleibt alles anders. Der Song von Herbert Grönemeyer beschreibt perfekt den Wandel, dem die Digital-, die Musik- und die Medienbranche unterworfen ist. Gewollt oder ungewollt: es verändert sich viel. Auf der Reeperbahnfestvial Conference sprach sich Grönemeyer, eines von Deutschlands größten musikalischen Leittieren, gegen Streamingdienste aus und wird sein neues Album auch nicht bei Spotify, WIMP und Co. anbieten. Ist dies eine Parabel für eine ganze Branche? Ein Einblick in Tag 2.
Ich finde Wandel gut. Und was ich heute in den Vorträgen und Sessions gelernt habe, zeigt mir, dass er definitiv nicht aufzuhalten ist. Wichtig ist jedoch, in welche Richtung man ihn vollführt. In der Session „Journalismus – Revolution vor der eigenen Haustür“ wurden fünf innovative Projekte vorgestellt, die gelungene Ideen für die Zukunft des Journalismus präsentieren.
- Crowdspondent: ein Projekt für personalisierten Crowd-Journalismus, bei dem Lisa Altmeier und Steffi Fetz Themenideen geschickt bekommen oder Geschichten als Auftrag recherchieren. Mit einem anderen Blickwinkel. Mit einem anderen Ansatz.
- EPOS: eine interaktive Tablet-/Smartphone-App der „Welt“-Gruppe, die neue Wege geht, um sachliche Themen (wie den Ersten Weltkrieg) multimedial erlebar zu machen.
- Substanz Magazin: ein interaktives Tablet-Wissensmagazin, angelegt als Crowdfunding-Projekt von Georg Dahm und Denis Dilba (Fail Better Media Gmbh), um jungen Studierenden Wissensthemen über einen neuen Zugang erlebbar zu machen.
- Hostwriter: ein internationales, kostenloses Kollaborationsnetzwerk für Journalisten, die Couchsurfing, gemeinsame Recherche und Networking über das Web organisieren können.
Was sie alle verbindet: der Ansatz, Dinge neu zu machen. Anders zu machen. Und die neuen Medien zu nutzen, um Inhalte medien- und zeitgerecht zu präsentieren. Netzwerke aufzubauen und zu nutzen. Der Konsument entscheidet dabei genau, was er rezipieren oder wie er sich einbringen will. Eigene Themen vorschlagen, statt nur welche vorgesetzt zu bekommen. Um die Welt reisen für eine Geschichte, anstatt diese vom Telefon aus recherchieren zu müssen. Inhalte multimedial erleben, anstatt sie in Textwüsten bleiern runterzurattern. Wandel ist hier etwas Positives. Etwas Sinnvolles.
Ein anderen Vortrag zeigt jedoch, dass es auch Schattenseiten gibt. Der Wandel in der Kultur- und Clubszene – eines der Aufregerthemen in Hamburg, seit mehr und mehr angestammte Clubs durch Gentrifizierung und Städtebauplanung vor dem Aus stehen. Auch in Berlin (Gretchen) und Köln (Gebäude 9) verändert sich die Szene und junge Clubs fürchten um ihr Überleben. Der Wandel bedeutet hier Verdrängung, Kündigung oder gar Schließung. Im Lightning Talk „Gefahrengebiet Klubkultur“ berichten vier Clubbesitzer und Kulturengagierte über ihre Probleme mit dem Immobilienmarkt, Standortpolitik und der wirtschaftlichen Problematik, einerseits rentabel zu sein, aber andererseits weiterhin unabhängiges und szenegerechtes Programm anbieten zu können.
Die Politik hat hier einen großen Einfluss und kann sowohl Unterstützer als auch Henker sein. Andi Schmidt (Betreiber des Molotow in Hamburg), Pamela Schobess (Betreiberin der Gretchen in Berlin), Jan van Weegen (Mitbesitzer des Gebäude 9) und Thorse Debor (Geschäftsführer des Clubkombinat Hamburg e.V.) debattieren mit Johnny Häusler, wie schwer es ist, zu überleben und welche Steine den Clubs in den Weg gelegt werden. Geschafft haben sie es bisher alle. Irgendwie. Aber ein richtiges bundesweites Netzwerk oder Gesetz zum Schutz der Club- und Szenekultur gibt es noch nicht. Kleinere Projekte zeigen, wo die Reise hingehen kann (z.B. das Crowdfunding für die Hasenschaukel oder die MS Stubnitz). Aber der Trend bleibt negativ: mehr Wohnungsbau, mehr subventionierte Großprojekte wie Theater und Musicalhäuser, mehr Investorenfinanzierte Gebäude, weniger Szene, weniger kreativer Raum, weniger Aufschrei.
Der Wandel ist hier etwas, das einen nachdenken lässt. Oder, positiv betrachtet, dazu auffordert aktiv zu werden und sich zu engagieren. Die Clubbesitzer brauchen Unterstützung und innovative Projekte können hier dabei helfen, eine breite Masse zu erreichen und die Aufmerksamkeit für das Thema zu erhöhen.
Was ich heute gelernt habe? Dass die Musikbranche lebt und atmet. Die Digitalbranche ebenfalls. Die vielen, vielen Besucher des Konferenzteils und des Festivals spüren das bei jedem Konzert, bei jeder Session – und das ist auch gut so. Ich selbst fand die Mischung der Themen auf der Konferenz gut, da ich als bekennender Musiknerd den Kopf viel zu sehr im Abendprogramm hatte – und daher umso mehr positiv überrascht war. Und nein, ich werde mich nicht über die leichte Hitze in den Räumen beschweren, denn hey! Wir sind in Hamburg, es ist Ende September und ich sitze draußen im Sommerkleid. Darüber darf man sich absolut nicht beschweren.
Daher genießt alle den letzten Tag heute, nehmt viel Musik mit nach Hause (gehört oder gekauft) und lasst das Reeperbahnfestival auch weiterhin ein Schmelztiegel für Ideen und Menschen bleiben.
Der Abspann zum Motto „Things are changing“ 🙂