Sicherheit im Netz – Realität oder Illusion? So war der #dmwHH-Themenabend

Gäbe es ein Äquivalent zum Unwort des Jahres für unangemessene Satzkonstruktionen, stünde der Gewinner im Jahr 2013 bereits fest: „Ich habe ja nichts zu verbergen“ ist die in den vergangenen Wochen wohl am häufigsten hervorgebrachte Äußerung im Zusammenhang mit der NSA-Spähaffäre und gefühlt Inbegriff der breiten öffentlichen Meinung. Eine schnell aufgestellte Behauptung, die meist ein Hinweis dafür ist, dass sich der Aussprechende mit dem Thema bislang nur unzureichend oder gar nicht befasst hat. Es ist naiv, zu denken, dass nur Kriminelle und Terroristen etwas zu verbergen haben.

If you don’t have to have done anything wrong, you simply have to eventually fall under suspicion from somebody, even by a wrong call. And then they can use the system to go back in time and scrutinize every decision you’ve ever made. Every friend you’ve ever discussed something with. And attack you on that basis, to derive suspicion from an innocent life, and paint anyone in the context of a wrongdoer.“ – Edward Snowden

Rechtsanwältin Nina Dierks
Rechtsanwältin Nina Diercks informiert über die rechtlichen Aspekte. Foto: Rieka Anscheit

#NothingToHide – „Das großartigste Nicht-Argument für alle, die zu bequem sind, ihre Grundrechte zu verteidigen (…)“, wie der freie Journalist Jürgen Drommert so trefflich bemerkt. Für alle anderen, die sich an der Datensammelwut des US-Geheimdienstes stören, sich von der deutschen Politik unzureichend informiert und beschützt fühlen; all denjenigen, denen die friedrich-pofallische Vogel-Strauß-Taktik widerspricht, diente der Hamburger DMW-Themenabend „Sicherheit im Netz“ am vergangenen Donnerstagabend als Forum für Fragen wie „Sind wir der Daten-Schnüffelei schutzlos ausgeliefert?“ und „Was können wir gegen das Tracking durch ausländische Geheimdienste tun?“

Grundrechte und Überwachung

Welche Auswirkungen eine flächendeckende staatliche Überwachung nicht nur auf unsere Grundrechte, sondern auch auf die Freiheit unseres Denkens haben kann, zeigt ein YouTube-Video mit dem Titel „Überwachungsstaat – Was ist das?“ auf sehr anschauliche, aber beklemmende Weise.

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Datenschützer bezeichnen die Spionageaffäre als millionenfachen Verfassungsbruch – zu Recht, wie wir nach dem umfassenden Exkurs in das deutsche Grundgesetz von Nina Diercks, Rechtsanwältin und Partnerin der Kanzlei Dirks & Diercks sowie Gründerin des Social Media Recht Blog, wissen. Wir, die gläsernen Bürger, sind längst keine Fiktion mehr. Die USA und Großbritannien speichern unseren kompletten Datenverkehr und das „ohne sich auch nur einen Dreck um die verfassungsmäßig garantierten Rechte der Bürger eines befreundeten Staates zu scheren“.

Aber hat Datenspeicherung denn gar keine Daseinsberechtigung? Eine Umfrage per Handmeldung unter den Anwesenden ergab: Doch, hat sie! Nicht im Sinne eines panoptisierten Kontroll-Prinzips oder Orwell’schen Staat, aber als Ermittlungsansatz im Bereich der Terrorismusbekämpfung und der organisierten Kriminalität, insbesondere im Hinblick auf die Verbreitung von Kinderpornografie und Menschenhandel, Mord sowie Geldwäsche. Allerdings ist hierfür eine verfassungskonforme Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung unabdingbar. #allesnichtsoeinfach!

Datensicherheit ist eine gefährliche Illusion

Frank Roebers
Frank Roebers von Einsnulleins beim DMW Themenabend zur „Sicherheit im Netz“. Foto: Rieka Anscheit

Referent Nummer zwei des Abends, Frank Roebers, CEO der Synaxon AG und Gründer von Gastgeber Einsnulleins, weiß, wie man das Publikum für sich einnimmt. Auch wenn er bei seiner Vorstellung versprochen hatte, „schlechte Stimmung zu verbreiten“, verwandelten sein Charisma und die Geschichten, die er zum Besten gab, die Zuhörerschaft in eine lachende Menge.

Dennoch wird die Ernsthaftigkeit des Themas zu keinem Zeitpunkt verkannt. Wie auch? Frank führt uns immer wieder vor Augen, dass die Überwachung durch die NSA und GCHQ ein „Albtraum in Tüten“ ist und „man seine Daten nicht mehr schützen kann, egal was man tut“. Eine ernüchternde, aber keineswegs überraschende Erkenntnis. Video-Tutorials, die zeigen wie man einen Trojaner programmiert, Handyüberwachungsprogramme wie mSpy und das Wissen, dass Geheimdienste zu jeder beliebigen Zeit in der Lage sind, Mobiltelefone abzuhören, verstärken das ungläubige Kopfschütteln und das beklemmende Gefühl, dass Privatsphäre schon vor langer Zeit seinen ursprünglichen Sinn verloren hat und nur noch eine leere Worthülle darstellt.

DMW Themenabend Netzsicherheit
Interessierte Fragen an die Referenten beim DMW Themenabend. Foto: Rieka Anscheit

Besserung ist nicht in Sicht. Big Data, das „nächste fette Ding der IT-Branche“, hat Einzug in die Welt des Internets gehalten und macht uns und unser Leben vorhersagbar. In der Kurzbeschreibung für das Buch „Ende des Zufalls„, das von Frank empfohlen wurde, heißt es: „(…) die Daten-Analysten, Statistiker und Computerspezialisten (…) filtern aus der Datenflut, die wir in jeder Sekunde unseres Lebens produzieren, ein recht konkretes Bild von dem, was wir getan haben, gerade tun und vor allem tun werden.“

Was können wir dagegen tun? Die Antwort ist eindeutig: NICHTS. „Wir haben keine Chance uns dem zu entziehen“, meint Frank, „die Regierung muss uns davor schützen.“ Wie beruhigend zu wissen, dass unsere einzige Hoffnung auf Politikern ruht, für die das World Wide Web so neu ist, wie einst Amerika für Christoph Kolumbus.

Selbstverteidigung im Digitalen

Aber Halt: Ist Verschlüsselung nicht eine Möglichkeit zum Schutz der eigenen Daten? Ja, sagt Jakob Meyn und gibt eine detaillierte, aber leicht verständliche Einführung in TrueCrypt. Ein Lichtblick, der nach nur wenigen Minuten durch die Berichterstattung des „Guardian“ getrübt wird, wonach selbst SSL-Verschlüsselung nicht vor NSA-Spionage sicher ist. Wirklich sicher gibt es eben nicht.

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