In der Reihe #DMWKaffee mit … gehen Autorinnen dieses Blogs mit spannenden Frauen aus der Digitalbranche einen Kaffee trinken. Für diese Folge hat sich Christiane Brandes-Visbeck aus dem Hamburger Quartier mit Jessica Wagener auf einen Kaffee verabredet.
Jessica Wagener bin ich schon so oft begegnet. Im Netz als Online Journalistin, Jessyfromtheblog und @pseudonymphe, als Buch-Autorin von Narbenherz und zuletzt auf dem Vocer Innovation Day bei ihrem Workshop „Innovation Quest“. Und plötzlich lebt Jessica in Berlin. Hat einfach so das schöne Hamburg verlassen. Für Himate. Als Head of Content. Gründe genug, um Jessica bei einem #DMWKaffee über ihr neues Leben auszufragen. Los geht’s!
Jessica, wer bist du im Moment? #Jessyfromtheblog, @psydonymphe, die Frau mit dem Narbenherz, die Enkelin, die besorgt wegen Oma und Opa zwischen Berlin und Hamburg pendelt oder die Chefredakteurin, die sich neudeutsch „Head of Content“ nennt und das Medien-Start-up Himate aus der betaphase befreit? Die Antwort nehme ich im Zeitalter von Data Journalism auch gern in Prozentangaben.
Jessica Wagener: Ich bin alles gleichzeitig und lasse mich nicht so gern auf einen Aspekt festlegen. Warum auch? Rein zeitlich gesehen überwiegt in der Relaunchphase aber momentan natürlich die Head of Content-Rolle.
Kürzlich habe ich von dir den Satz gelesen „Verlässlich ist nur der Mut und das Vertrauen in die eigene Stärke.“ Alles, was wir User_innen/Leser_innen mit dir erleben dürfen, zeigt dich als klug und ehrlich, ungewöhnlich witzig und kreativ, als eine sehr verletzliche und deshalb wahrscheinlich auch über alle Maßen mutige Frau. Wusstest du schon immer, dass du besonders mutig bist? Und kannst du dir vorstellen, warum so viele andere Menschen in Deutschland, in der Medienbranche, bei der Karrieregestaltung und auch im privaten Leben so gar nicht mutig sind?
Jessica: Kann man denn wirklich wissen, dass man mutig ist? Ich versuche einfach, so gut es geht meinem Herzen zu folgen und nicht übermäßig auf die Zweifel in meinem Kopf zu hören. Das kommt mir nicht besonders mutig vor, weil es in der Tat schon immer so war. Als kleines Mädchen bin ich auf ein Klettergerüst geklettert, wollte so runterspringen wie die anderen Kinder, hatte große Angst, hab’s trotzdem gemacht und mir ziemlich weh getan. Aber ein knappes Jahr später konnte ich’s dann. Jeder Mensch ist anders und geht anders mit Herausforderungen um. Und in der Medienbranche passiert grad viel Veränderung, die berüchtigte „Zukunft des Journalismus“ ist unklar. Und vor dem Unbekannten haben wir am allermeisten Angst.
Du kannst Journalismus aus dem Effeff. Du warst ganz klassisch bei BILD Online, welt.de, InTouch (Bauer Verlag), ndr.de und zuletzt bei stern.de – unter Anita Zielina gemeinsam mit #DMW Orgafrau Ulrike Klode als Innovationsbeauftragte. Himate Content ist anders. Eure Inhalte bieten den, im sogenannten Qualiätsjournalismus lange ausgebuhten, „Mehrwert“: Emotionen für Digital Natives. Wie seid ihr darauf gekommen, und was habt ihr noch an Regelbrüchen vor?
Jessica: Das, was bis zum 1. Oktober zu sehen ist, gehört zur Betaphase. Danach starten wir neu, quasi mit verbesserter Rezeptur und neuen Ressorts. Auf der Startseite finden sich unsere Highlights, die Ressortseiten bleiben ein Feed. Wir sind keine Nachrichtenseite und nicht aktualitätsgetrieben – wir publizieren Geschichten, die wir selbst interessant, relevant und berührend finden und von denen wir glauben, dass es unseren Lesern genau so geht. Bei uns stehen Emotionen im Vordergrund. Das an sich ist insgesamt nichts Neues; wir versuchen nur, dieses Prinzip möglichst konsequent umzusetzen. Ich würde da nicht von Regelbrüchen reden, sondern von erwiesenermaßen stark nutzerorientierten Inhalten und kontinuierlichen Experimenten.
„Die Trauer bleibt im Halse stecken“ – das ist so ein typischer Satz von dir. Bei dir liegen Lachen und Weinen offensichtlich so nah beieinander, dass ich mir vorstellen kann, dass so ein nervlich aufreibendes Start-up-Leben ohne großes Netz und doppelten Boden sicherlich eine besondere Herausforderung darstellt. Was treibt dich um, diesen Aufgabe anzunehmen und dich beim kleinen David Himate (Südkurier) gegen die Goliaths ze.tt (Zeit Online) und bento (Spiegel Online) behaupten zu wollen?
Jessica: Was mich zu Himate getrieben hat? Mehrere Dinge. Weil ich weiß, dass Lebenszeit begrenzt ist, habe ich wirklich gern Spaß bei der Arbeit; ich will Ideen umsetzen und mich nicht in großen, schwergängigen Hierarchien und verlagspolitischen Entscheidungen aufreiben. Klar ist das im Start-up stressig, aber auch befriedigend. Und ich finde das Konzept, das sich unser General Manager Julian Kögel ausgedacht hat, sehr überzeugend: konsequent mobil, nutzerorientiert, agil, mit einem tollen neuen CMS. Und dass sich derzeit mehrere journalistische, inhaltliche Produkte in eine ähnliche Richtung entwickeln, zeigt ja nur, dass da ein großer Bedarf besteht. Ich sehe das nicht als gegeneinander antreten, sondern als voneinander lernen.
Ihr seid eine rein weibliche Redaktion. Sind Frauen die kreativeren und innovativeren Menschen?
Jessica: Nö. Frauen sind genauso kreativ bzw. unkreativ wie Männer. Aber es haben sich einfach deutlich mehr und deutlich qualifiziertere Frauen beworben. Tja!
Auf dem Scoopcamp am 1. Oktober – eurem Relaunch Day! – in Hamburg führst du als abschließenden Höhepunkt ein Expertengespräch mit Johannes Vogel, dem Geschäftsführer der Süddeutschen Zeitung Digital. Früher hätte so ein Gespräch auf einem Journalisten-Kongress wohl eher Stefan Plöchinger, also der SZ Online Chefredakteur mit dir geführt. Wie ist es zu dieser Konstellation gekommen, und was erwartest du dir von dem Austausch mit einem Business-Modell-Kenner?
Jessica: Jenni Schwanenberg (vom Scoopcamp-Team 2015) hat mich gefragt, und ich habe ja gesagt. Ich glaube, das wird ein spannender Austausch – ich bin ja absolut kein Business-Mensch. Mein Herz schlägt für Inhalte.
Was würdest du sagen, wenn er dir während des Gesprächs anbieten sollte, mit Himate zum Süddeutschen Verlag zu kommen?
Jessica: Davon abgesehen, dass ich das nicht entscheide, ist bei Himate grad alles sehr, sehr gut so, wie es ist.
Wenn du drei Wünsche frei hättest, welche würden das sein?
Jessica: 1. Lasst uns bitte endlich aufhören, selbstreferenziell über die Zukunft des Journalismus zu diskutieren. Lasst uns einfach ausprobieren und machen. 2. Ich fordere im Zuge dessen auch die sofortige Beendigung der Print-Online-Diskussion und plädiere stattdessen für ein Gespräch über „Wer liest uns eigentlich, warum, wie und vor allem wo?“ 3. Nie mehr über die Definition von „Qualitätsjournalismus“ streiten müssen. Qualität ist das, was der Leser dafür hält – abhängig von dem, was er grad braucht und der damit verbundenen Erwartung. Die Tagesthemen sind genauso Qualitätsjournalismus wie Bunte, Buzzfeed, Vice & Co. – aber auf eine komplett unterschiedliche Art und aus vollkommen unterschiedlichen Gründen.
So! Und jetzt ran an die Arbeit.
Dankeschön, liebe Jessica. Bleibe emotional und mutig. Auch und gerade als Journalistin.