Nicht jede Gründung muss ein Start-up sein
Offenbar haben wir mit dem Titel „Female Entrepreneurship – alles Start-up oder was“ wieder einen Nerv im Rahmen unserer #nahdran-Themenabende getroffen, denn das Event war komplett ausgebucht.
Doch was macht ein Start-up überhaupt aus? Annette Leonhard-MacDonald sieht den Unterschied vor allem im Business-Zweck und der Finanzierung. „A startup is a company that has not yet reached sustainability as a business. A successful business is a company that makes a sustainable profit“, fasste sie es in ihrer kurzen Präsentation zusammen. „Wir sind mit Leonhard-MacDonald-Ventures ein Start-up, weil wir Big Data Software entwickeln“, sagt Annette. „Ich mag den Begriff aber eigentlich gar nicht so sehr, denn uns geht es vor allem darum, ein langlebiges, nachhaltiges Unternehmen zu schaffen.“
Auch Kamila Stanitzek sieht DieProduktmacher, ein Unternehmen, das sie in den letzten fünf Jahren gemeinsam mit drei Mitgründern aufgebaut hat, gar nicht als Start-up. Unter anderem, weil das Unternehmen als Beratung von Anfang an aus eigener Kraft Gewinne erwirtschaften konnte.
Kamila wollte vor allem selbstbestimmter arbeiten. Als sie dann noch das passende Team mit ähnlichem Mindset traf, entschied sie sich für die Gründung und gegen eine weitere Konzern-Karriere. „Ich wollte selbst etwas bewegen und nicht mehr abhängig von Strategieänderungen und Budgetkürzungen anderer sein“, sagt Kamila. Außerdem wollte sie mehr Flexibilität haben.
Inzwischen arbeiten 30 MitarbeiterInnen bei DieProduktmacher, und es werden immer mehr. „Der Grund für unseren Erfolg sind unsere Werte und unsere Unternehmenskultur“, davon ist Kamila Stanitzek überzeugt. Beispiel Transparenz: In der Beratung werden alle Gehälter offen gelegt, Frauen und Männer verdienen dasselbe. Neue Leute werden gemeinschaftlich ausgesucht und müssen zeigen, dass sie neben den entsprechenden Skills auch den richtigen „Cultural Fit“ mitbringen. Gerade im Münchner Markt ist das manchmal ein schwieriger Spagat, gibt Kamila zu. Und natürlich gebe es auch mal ein Tief. Aber die Gründung habe sie nie bereut, jeden Morgen gehe sie mit Spaß ins Büro. „Und mit jedem neuen Mitarbeiter wird es noch besser“, freut sich die Unternehmerin.
Wie Konzerne und Start-ups voneinander lernen können
Die Berliner Strategieberatung Ignore Gravity will mit dem neuen „Ada Accelerator for Female Entrepreneurship“ Frauen für die Gründung begeistern. Mit dem vierwöchigen Programm sollen Frauen angesprochen werden, die gründen möchten, aber noch nicht gegründet haben, erklärte Head of Project Joy Spenner, die selbst jede Menge Start-up-Erfahrung mitbringt und für Ignore Gravity auch andere Programme wie den leAD Sports Accelerator ins Leben gerufen hat. Ignore Gravity arbeitet dabei an der Schnittstelle zwischen Konzernen und Start-ups und verfügt über ein großes Netzwerk, das auch für das Ada-Programm genutzt werden soll.
Für das Sommercamp läuft gerade die Bewerbungsphase, im Juni soll es losgehen. Das Besondere: Im Camp werden die angehenden Gründerinnen auf zehn Intrapreneurinnen aus Konzernen treffen und gemeinsam mit ihnen an neuen oder vorhandenen Ideen arbeiten. Dazu kommen rund 40 MentorInnen, die dabei unterstützen. Die Gewinnerin kann sich dann über eine Wildcard für das Anschlussprogramm freuen, das 100 Tage dauert. Im Camp sollen die Frauen Kompetenzen wie strategische Kommunikation, Leadership oder Entscheidungsfindung erlernen, dazu kommt die Arbeit am Businessplan und einem abschließenden Pitch.
Acceleratoren-Programme kommen beiden Seiten zugute, meint Joy. Jedes Business ist schneller geworden, alle Unternehmen brauchen neue Inspiration, denn niemand könne sich darauf verlassen, dass der bestehende Erfolg auch bleibt. Accleratoren bieten Support und Kontakte für Start-ups, beschleunigen aber auch die Transformation der großen Firmen.
Nils Bernert geht als Agiler Coach bei der Digitalagentur Valtech in große Unternehmen, um sie dabei zu unterstützen, mehr wie ein Start-up zu arbeiten, etwa durch den Einsatz der Lean Start-up Methode. „Agilität heißt: Mehr Flexibilität und die Maximierung des Kundenwertes“, erklärt Nils. Dazu gehöre beispielsweise, crossfunktionale Teams einzuführen, Hierarchien und Silos zu überwinden und in Produkten zu denken anstatt in Projekten. Es sei jedoch nicht einfach, vorhandene Systeme zu verändern und eine Unternehmenskultur zu verändern, weiß der Experte.
Um etwa neue Teams aufzustellen, die beispielsweise in einem Automobilkonzern alle 14 Tage neue Funktionen und Produkte bauen, die dann mit dem Kunden im Fahrzeug erprobt werden können (in Systemen, die bislang darauf ausgelegt waren, dass alle fünf Jahre neue Modelle erscheinen) sei ein Strukturwandel in den Organisationen nötig. Valtech arbeitet mit den Unternehmen deshalb an einem neuen Organisationsdesign. „Wir helfen dabei, die Basis für agiles Arbeiten zu schaffen und damit auch die Basis für eigene Innovationen zu legen.“
Weitere Tipps aus der Praxis:
Aus der Arbeit in und mit Start-ups, zum Beispiel als Mentor in der Lean Start-up Machine, hat Nils Bernert eine wichtige Erkenntnis gezogen. „Auch mit dem besten Team, der besten Idee und dem besten Produkt wird es kein Erfolg, wenn der Kunde nicht mit dabei ist.“ Das ist auch das Credo von Kamila Stanitzek, die in ihren Projekten immer eng mit ihren Kunden zusammenarbeitet.
Auf die Frage aus dem Publikum, wie man sein eigenes „Baby“ loslassen kann und Aufgaben am besten delegiert werden können, antwortete Kamila: „Schau gerade beim ersten Mitarbeiter auf das Menschliche und hol jemanden dazu, dem du vertraust.“
Annette Leonhard-MacDonald riet dazu, zunächst alles Administrative auszulagern. Dem stimmte auch Kamila Stanitzek zu, sie schränkt jedoch ein: „Man sollte immer selbst den Blick auf die Zahlen behalten.“
Warum gerade Frauen gründen sollten
„Jetzt ist die beste Zeit zu gründen“, so der Appell von Joy Spenner. Gerade im technischen Bereich und rund um die Digitialiserung ergeben sich gerade völlig neue Möglichkeiten, so die Berlinerin. Viele weibliche Talente seien sich noch gar nicht darüber bewusst, dass sie viele Fähigkeiten wie vernetztes Denken bereits haben. „Frauen gründen zwar seltener und sind vorsichtiger, aber wenn sie gründen, dann ist ihre Erfolgschance drei Mal höher, als bei männlichen Start-ups“, weiß Joy. Jetzt könnten Frauen Einfluss nehmen und neue Entwicklungen und Produkte mitgestalten.
Annette Leonhard-MacDonald hat zwar in ihrer Laufbahn immer wieder weibliche Start-ups beraten und zur Gründung ermutigt. Aus ihrer Sicht ist es aber generell wichtig, Leute in der Technik zu ermutigen, selbst zu gründen. „Häufig gründen die Consultants und die Programmierer machen die Arbeit – das müsste nicht sein“, sagt die Informatikerin.
Passend zum Thema des Abends hatte Stefanie Rampsel die wunderbare Idee, als Speaker-Geschenk zwei Mikrokredite für Unternehmerinnen via Kiva zu unterstützen.
Mehr Bilder und das Video sind auf Facebook zu finden.
Die Organisatorinnen des Abends aus dem Orgateam der #DMWmuc:
Stefanie Rampsel:
Stefanie Rampsel hat durch den Hintergrund des Academic Program for Entrepreneurship am SCE München angefangen, vernetzende sowie interaktive Events in einem digitalen Medienunternehmen zu implementieren, die unternehmerisches Denken und Handeln bestärken. Sie ist aktuell als digitale Jane Bond für die Loctory GmbH unterwegs und begleitet gern in anderen Settings Simplify-Lösungsprozessen.
Simone Fasse:
Simone Fasse (Verbia Texte // Kommunikation) arbeitet selbständig als Journalistin, PR Beraterin und Moderatorin mit den Schwerpunkten Neue Technologien und New Work. Sie besuchte die Georg-von-Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten und war u.a. für die VDI Nachrichten und Premiere (heute Sky Deutschland) tätig. 2015 gründete sie den Blog „Frauen und Technik„.
Ein herzlicher Dank geht an unseren Location-Sponsor:
Valtech zählt zu den umsatzstärksten deutschen Digitalagenturen und unterstützt Unternehmen auf allen Ebenen des digitalen Wandels. Die Agentur gehört zur internationalen Valtech Gruppe mit mehr als 2000 Mitarbeitern in 13 Ländern, zu den Kunden zählen Marken wie Audi, BMW, L’Oréal und Henkel.