„Es geht in der Gleichberechtigung nur voran, wenn wir politisch Einfluss nehmen’’

maren heltsche

 

Maren Heltsche hat die Digital Media Women in Berlin mitgegründet und war fast vier Jahre lang zweite Vorsitzende des Vereins. Seit September 2019 ist sie Sonderbeauftragte für Digitalisierung im Deutschen Frauenrat. Im Interview erzählt sie uns mehr über ihre Funktion und zeigt, warum politischer Einfluss wichtig ist.

 

 

 

Warum ist Dir ehrenamtliches Engagement wichtig, und was hat Dich zu den Digital Media Women gebracht?

 

Unfairness hat mich schon immer aufgeregt. Das Thema Geschlechter-Gerechtigkeit kam dabei erst nach und nach in mein Blickfeld. Erstmal hatte ich alle Möglichkeiten in meinem Leben, dachte ich jedenfalls. Aber ganz ehrlich, ich hatte früher auch nur wenige Berührungspunkte mit technischen Berufen. Bei mir fiel der Groschen, als ich – übrigens ebenso wie DMW-Mitgründerin Caroline Beese – bei der Nexxt-Konferenz 2010 war und gemerkt habe, wie wenige Frauen zum Thema Online-Marketing auf der Bühne gesprochen haben. Andere Frauen dort haben uns dann inspiriert, denn sie sagten ganz klar: Sucht Euch ein Netzwerk, oder gründet eins. Damit war der Grundstein für die Digital Media Women gelegt.

 

 

Was hast Du durch die Arbeit mit und für die DMW gelernt?

 

Vor allem „teamwork makes the dream work“. Zusammen kann man sehr viel mehr schaffen als alleine. Einerseits helfen die unterschiedlichen Perspektiven und Expertisen, aber auch die Vielzahl an Kontakten. Ich habe allerdings auch gelernt, wie schwierig es in Teilen ist, funktionierende Teams aufzubauen und arbeitsfähig zu halten – remote und im Ehrenamt. Hier sind spezielle Führungsskills und Organisationsmethoden gefragt: dazu haben wir uns in den letzten Jahren im Vorstand und im Austausch mit anderen ein Skillset erarbeitet. Unter anderem haben wir die OKR-Methode eingeführt, um unsere Ziele und Aktivitäten über alle Quartiere und Taskforces besser aneinander auszurichten.

 

maren heltsche

 

Warum sind Netzwerke aus Deiner Sicht für Frauen so wichtig?

 

Netzwerke sind wichtig für den Austausch von Wissen, Erfahrungen, Jobs und Kontakten, aber auch für das Erreichen von gemeinsamen Zielen. Je breiter aufgestellt mein Netzwerk ist, desto mehr Unterstützungsmöglichkeiten ergeben sich. Einige Studien zeigen, dass Männer sehr viel selbstverständlicher und intensiver netzwerken als Frauen. Aber: Diese Unterstützungs- und Austauschmöglichkeiten brauchen alle, die sich persönlich und beruflich weiterentwickeln wollen. Deshalb natürlich auch Frauen und alle anderen Geschlechter.

 

 

Seit vergangenem Jahr arbeitest Du auch im Deutschen Frauenrat mit – warum?

 

Mich bei den Digital Media Women dafür zu engagieren, dass mehr Frauen sichtbar werden und damit „Empowerment“ voranzutreiben ist das eine. Wenn wir aber noch mehr und Grundlegendes zum Positiven verändern wollen, geht das nur, wenn wir auch politisch Einfluss nehmen. Es ist aber unglaublich viel Arbeit, im ehrenamtlichen Rahmen selbst Interessensvertretung bei politischen Entscheider*innen zu betreiben. Deshalb haben wir uns entschlossen, als #DMW dem Frauenrat beizutreten. Denn der Frauenrat ist als Dachorganisation erster Ansprechpartner für die Politik, wenn es um Genderfragen geht. Die Arbeit im Frauenrat ist somit Teil meiner Arbeit für die #DMW.

 

 

Wie genau sieht Deine Aufgabe dort bislang aus?

 

Ich bin die Sonderbeauftragte des Vorstands des Frauenrats zum Thema Digitalisierung. Damit kann ich mich an den richtigen Stellen für die Themen stark machen, für die wir uns als #DMW schon lange einsetzen. Es gab im Frauenrat bereits einen Fachausschuss zum Thema Digitalisierung, der ein Positionspapier erarbeitet hat. Dieses Papier wurde mit allen Mitgliedsverbänden abgestimmt. Diese Positionen konnten wir bereits mit dem Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, und Peter Altmaier, dem Bundesminister für Wirtschaft und Energie diskutieren. Außerdem gab es Anfang März ein parlamentarisches Frühstück zu dem Themenkomplex.

 

 

Kannst Du uns einige zentrale Forderungen des Frauenrats nennen?

 

Insgesamt geht es uns darum, die digitale Transformation in den Feldern Arbeit, Bildung und Digitale Gewalt mit zu gestalten. Wir setzen uns beispielsweise für diskriminierungsfreie Algorithmen oder die Förderung von Mädchen im MINT-Bereich ein. Uns geht es aber auch darum, dass die Auswirkungen der digitalen Transformation auf Berufe, in denen sehr viele Frauen arbeiten, etwa in der Verwaltung oder im kaufmännischen Bereich, neu gedacht werden und es für diese Frauen gezielte Weiterbildungen gibt.

 

 

Du bist das beste Beispiel dafür, wie sich Frauen beruflich weiterentwickeln können. Du hast Politikwissenschaft, Publizistik und VWL studiert – wie und wann bist Du damit zur Software-Entwicklerin geworden?

 

Ich habe nach meinem Studium in der Medienresonanz-Analyse gearbeitet. Daraus ergab sich später das neue Produktfeld Social-Media-Beobachtung, das ich mit entwickeln konnte. In diesem Rahmen habe ich bei meiner Firma ein großes IT-Projekt geleitet, um die Datenverarbeitungs-Infrastruktur entsprechend zu erweitern und umzustellen, dabei hatte ich natürlich auch viel mit Programmierung zu tun. Ich wollte unbedingt lernen, wie Entwickler ticken, was sie umtreibt. Es war wichtig, die verschiedenen Denkwelten zusammenzuführen, um die Verständigung zu verbessern.

 

Ich habe mir immer wieder gedacht, wie gut es doch jetzt wäre, selbst coden zu können. In dieser Zeit bin über einen Tweet der Rails Girls gestolpert, und habe mich für einen Workshop angemeldet – dort habe ich ein Gefühl dafür bekommen, was im Bereich Coding alles möglich ist und wollte unbedingt weiter lernen – dazu habe ich beispielsweise eine Lerngruppe mitgegründet, die sich einmal wöchentlich trifft. Das machen wir übrigens noch heute.

 

 

 

Hattest Du damals schon das Ziel, Entwicklerin zu werden?

 

Nein, das kam erst später – ich hab mich erstmal selbstständig gemacht im Bereich Datenanalysen und habe schon versucht, das Programmieren immer mit einzubringen. Aber insgesamt wurde der Workload immer mehr, und die Projekte wurden für mich allein zu groß. Ich bin damals als Freiberuflerin ganz klar an meine Grenzen gekommen und habe gemerkt: So klappt es nicht mehr. Was sich aber auch gezeigt hat: Ich wollte mehr als Entwicklerin machen. Ich habe mich dann immer weiter in diese Richtung bewegt und dann ein Angebot von myclimate bekommen, meinem heutigen Arbeitgeber. Das hat einfach gepasst, also habe ich mich anstellen lassen.

 

 

Was machst Du genau, und warum arbeitest Du so gern in Deinem Job?

 

Myclimate steht für Projekte rund um den Klimaschutz, etwa mit Beratung, Bildung und CO2-Kompensation. In meiner Arbeit als Entwicklerin geht es zum Beispiel darum, zu ermöglichen, dass Leute bei uns im Netz ihren persönlichen CO2-Fußabdruck berechnen können. Ich freue mich jeden Tag darüber, dass ich an einem Produkt arbeite, von dem ich total überzeugt bin. Wir helfen den Nutzer*innen, das alles möglichst einfach hinzubekommen.

 

 

Was fasziniert Dich an Deiner Arbeit als Entwicklerin?

 

Ich liebe einfach dieses „Rumgefrickel“. Es ist fast egal, um welchen Prozess es dabei geht, ich mache auch total gerne handwerkliche Sachen. Da ist es dann wie beim Programmieren – ich verzweifle auch mal zwischendurch, aber insgesamt ist es einfach ein total schönes Gefühl, immer wieder Fortschritte zu sehen und immer weiter Neues zu lernen und umzusetzen.

 

 

Wie organisierst Du Dich, und wie holst Du Dir die nötige Energie für all Deine Projekte?

 

Ich habe schon immer viel mehr Sachen gemacht, als in meinen Tag passen. Bei dem Unternehmen, in dem ich arbeite, myclimate, bin ich 32 Stunden, sodass ich mehr Zeit habe für meine weiteren Projekte. Mir ist es wichtig, meine Mission zu verfolgen.

 

Mir gibt es viel Energie, wenn ich zu etwas Größerem beitragen und mit anderen engagierten Menschen zusammenarbeiten kann. Außerdem freue ich mich über die Dinge – auch die kleinen – die ich konkret geschafft habe. Dabei helfen mir tatsächlich die durchgestrichenen Punkte auf meiner To-Do-Listen – nicht digital, sondern so richtig auf Papier.

 

Ganz wichtig ist für mich auch meine Morgenroutine, ich frühstücke zum Beispiel ganz in Ruhe und mache Yoga. Ich versuche auch, jeden Tag ein bisschen „Müßiggang“ einzubauen, zum Beispiel mal eine halbe Stunde ganz für mich zu sein, ein Buch zu lesen oder gar nichts zu tun – das klappt allerdings nicht immer. Um mich nicht komplett zu überladen versuche ich, wirklich nur das zuzusagen, was ich leisten kann. 

 

Teile des Interviews sind auch im Blog „Frauen und Technik“ von Simone Fasse erschienen.

 

Fotos: myclimate, Deutscher Frauenrat, Rieka Anscheit

 

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