#zf15 und die Matrix: Ein Mashup aus dem Kaninchenbau

I’m trying to free your mind, Neo. But I can only show you the door. You’re the one that has to walk through it.” (The Matrix)

#zf15, Große Bühne im Volkstheater München
#zf15, Große Bühne im Volkstheater München (Foto: Sarah Söhlemann)

Stell dir vor, vor dir sitzt jemand, der dir die Wahrheit verspricht. Einzig, du musst dich entscheiden: Willst du die Wahrheit wirklich hören, sehen und mit ihr leben – oder eben nicht? Wenn du die Entscheidung getroffen hast, kann sie nicht mehr rückgängig gemacht werden. Klingt nach dem alt bekannten Entweder-oder!
Oder?

This is your last chance. After this, there is no turning back. You take the blue pill — the story ends, you wake up in your bed and believe whatever you want to believe. You take the red pill — you stay in Wonderland and I show you how deep the rabbit-hole goes.” (The Matrix)

Am 9. und 10. Oktober haben sich Viele entschieden, am Zündfunk Netzkongress (#zf15) im Münchner Volkstheater teilzunehmen: Der Kongress ist eine Mischung aus Vorträgen, Diskussionen, Workshops, jeder Menge Pop und wird intern liebevoll als kleine Weißwurst-re:publica bezeichnet. Die Themen handeln von Netzpolitik, staatlichem Einfluss und der digitalen Gesellschaft. Es geht um Zivilcourage, Daten und Datenauswertung mit all ihren Möglichkeiten und Gefahren. Es wird spekuliert und diskutiert wem das Internet „gehört“ und wer es gestaltet. Es werden Flüchtlingsprojekte vorgestellt und aufgezeigt, welche Rolle das Handy auf der Flucht spielt. Und neben all den ernsten Themen wird auch die Kreativität und Lebendigkeit des Internets mit Memen, GIFs und jeder Menge Videos gefeiert.

Die Vorträge folgen schnell hintereinander, überschneiden sich – die Taktung ist hoch. Für ein Innehalten ist kaum Zeit. Es gibt so viel zu besprechen und zu verändern. Und gleichzeitig wird schon sehr viel getan: Auch das bekommt auf dem #zf15 Aufmerksamkeit, und in den fünf Veranstaltungsräumen wohlverdienten Applaus. Neben der großen und der kleinen Bühne finden einige Veranstaltungen im Foyer und im Konferenzraum im „Haus des Fußballs“ statt. Und als fünften – eher inoffiziellen – Raum darf man natürlich nicht die Küche vergessen, in dem Fall die Volksküche des Theaters – zum Diskutieren, Pläne schmieden und sich stärken.

The Matrix is the world that has been pulled over your eyes to blind you from the truth.” (The Matrix)

FIGHT FOR YOUR DIGITAL RIGHTS

Markus Beckedahl, Evangelist und „Landesverräter a. D.“, erzählte in der Keynote am Abend des ersten Kongresstags über die Ereignisse der vergangenen Monate bei netzpolitik.org, nachdem die Ermittlungen des Bundesstaatsanwalt gegen ihn und Andre Meister wegen Verdachts des Landesverrats publik wurden. Trotz Einstellung des Verfahrens sind viele Fragen noch offen. Es scheint einen Fehler in der Matrix zu geben: Innenministerium, Justizministerium, Verfassungsschutz und Generalbundesanwaltschaft haben unterschiedliche Simulationen zu den Ermittlungen erhalten. Ein sich widersprechendes System des Wer-wusste-was-„Spiels“.

Für die Keynote von Markus Beckedahl gibt es eine absolute Anschauen!-Empfehlung: Sie enthält so viele wichtige Punkte zur Freiheit im Internet, die mit dem Versuch einer Zusammenfassung nie abgedeckt werden könnten. Und wer möchte schon Zusammenfassungen haben, wenn man das Original sehen kann.

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Es passiert aktuell so viel, dass keine Zeit ist, sich zurückzulehnen und nichts zu tun – sonst geraten wichtige Themen in Vergessenheit.

SAFE HARBOR, DA WAR DOCH WAS…

Im Anschluss der Keynote von Markus Beckedahl hat sich die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger mit der Frage beschäftigt „Wie viel Überwachung hält eine Demokratie aus?“ – so stand es zumindest im Programm.

Vielmehr war es ein bunter Strauß verschiedener netzpolitischer Themen: #Landesverrat, Vorratsdatenspeicherung, Safe Harbor („…jetzt sind ja erst zwei Tage rum und das Thema findet natürlich öffentlich schon nicht mehr statt“) und EuGH. Es ging um den Umgang mit persönlichen Daten (“Daten sind das Gold der Digitalisierung”), dem Ruf nach gemeinsamen europäischen Standards, aber auch um die Aufgabe der Politik, die Rahmenbedingungen für die Nutzer zu verbessern. Die Idee eines Zertifikats „Datenschutzfreundlich“ für Unternehmen wurde angerissen und die Verantwortung mit den Worten „dann muss natürlich auch der Verbraucher sagen, ich guck darauf…“ auf mehrere Schultern verteilt. Und immer wieder gab es den Hinweis, dass die Vorratsdatenspeicherung nach ihrer Einführung so schnell wie möglich durch Gerichte gestoppt werden müsse.

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EUER NARRATIV IST AUCH MEIN NARRATIV – NUR ANDERS

Wer die Taktik „Volksvertreter winken Gesetze durch den Bundestag und das Volk wartet auf Gerichtsbeschlüsse, damit das Gesetz wieder außer Kraft gesetzt wird“ nicht unterstützen möchte, kann aktiv werden. Wie? Einfach mal die verwendeten Narrative ändern. Das klingt zu abstrakt? Dann ganz genau hinschauen und hinhören, wie Peter Sunde Eigenverantwortung in die Praxis überträgt.

Auf die Frage „Wem gehört die Zukunft?“ ist die Antwort von Peter Sunde: „vermutlich nicht uns“. Eher schon den großen Unternehmen wie z. B. Google, Facebook den Geheimdiensten. Es geht heute nicht mehr darum, sich von diesen Firmen technisch abzusetzen, also ein „neues“ Facebook zu programmieren. Wir sind die Besitzer unserer Daten und müssen dafür einstehen. Wir können über Gesetze und Rechte reden und uns überlegen, dass die Gerichte schon in unserem Sinne urteilen werden. Wir können aber auch über Moral und Ethik reden, so Sundes Vorschlag. Und weil es bei Sunde nicht nur um Theorie geht, soll es nach seiner Meinung ein Tribunal geben, bei dem Ethik und Moral ausschlaggebend sind. Und vor dem er sich Edward Snowden wünscht, um den Akt der Enthüllungen moralisch und ethisch einzuordnen.

Während wir permanent von Narrativen umgeben werden – z. B. Filesharing sei Diebstahl – zeigt Peter Sunde anhand seiner Projekte und Ideen, dass man mit etwas Kreativität und Kaltschnäuzigkeit aus festen Gedanken- und Argumentationskonstrukten ausbrechen kann. Dann werden menschenfressende Polarbären auf Skandinaviens Straßen als größeres Problem dem Copyright-Issue vorangestellt, und veganes Essen wird durch die Religion der selbst gegründeten Kirche proklamiert. Das ist verwirrend? Nein. Es geht darum, sich nicht einschüchtern zu lassen, Alternativen zu finden und weiter zu denken!

Abschließend sagte Sunde, dass wir uns bewusst sind, die blaue Pille genommen zu haben und trotzdem nichts tun. Und wer glaubt, dass die richtige Antwort auf die Entweder-oder-Frage die rote Pille wäre, irrt sich.

I WANT A THIRD PILL!

What is real? How do you define ‚real‘? If you’re talking about what you can feel, what you can smell, what you can taste and see, then ‚real‘ is simply electrical signals interpreted by your brain.“ (The Matrix)

Christina Dinar von der Amadeu Antonio Stiftung hat viel Raum für Diskussionen in ihrer Vorstellung des Philosophen Slavoj Žižek und seiner Auseinandersetzung mit der dritten Pille gelassen. Denn oft geht es nicht um ein „Entweder-oder“. Ein „Entweder-oder“ ist eine Auflistung von Möglichkeiten, die jemand anderes uns vorgibt und zwischen denen wir uns entscheiden sollen. Die Illusion einer „freien“ Entscheidung muss aufgebrochen werden. Und die dritte Pille kann für jeden auch etwas anderes sein – DIE Wahrheit wird es nicht geben. Wir müssen sehr genau hinschauen, was uns geboten wird und entscheiden, wie wir handeln möchten.

UND Es braucht LIEBE, VIEL MEHR LIEBE!

Unter der Fragestellung „Was bringt das Netz Frauen mit Haltung?“ haben Anke Domscheit-Berg, Kübra Gümüşay und Anne Wizorek von organisiertem Hass, aber auch von viel Inspiration aus dem Internet erzählt. Im Gegenzug zum organisierten Hass, muss es organisierte Liebe geben, hat Kübra Gümüşay mehrfach betont. All der Hass, der bei einigen Themen immer wieder auftaucht, darf nicht als normal und Teil des Netzes eingestuft werden. Es ist nicht normal, für seine Meinung angefeindet und bedroht zu werden. Und Sprüche wie „So ist das Internet. Das muss man aushalten können“, sind fehl am Platz. Denn wir als Gesellschaft entscheiden, wie wir miteinander umgehen möchten und welche Umgangsformen zu unseren Werten, Ideen und unserem Miteinander passen – oder eben auch nicht. Das Internet gehört zu unserem Leben genauso dazu wie analoge Begegnungen. Wenn wir über Zivilcourage reden, dann darf es keine Rolle spielen, ob sie im Internet oder im realen Leben erforderlich ist.

Was würde uns an interessanten Begegnungen, Themen und gemeinsamen Projekten ohne das Internet entgehen. Von all den wunderbaren GIFs und Memes abgesehen. Die Inspiration des Netzes hängt mit den wunderbaren Menschen zusammen, die dort kreativ, innovativ, hinterfragend, laut und verändernd aktiv sind. Ein Rückzug oder Verstummen von Einzelnen aufgrund organisierter Anfeindungen ist nicht akzeptabl.

MEHR AKTION! … und dann hat es PENG! gemacht

Die Aktionskünstler vom PENG! Kollektiv stellten ihre aktuelle Aktion vor, in der sie Geheimdienst-Mitarbeiter zum Ausstieg aus dem Geheimdienst aufrufen und Unterstützung anbieten. Mit großen Plakataktionen und Flyern u. a. vor dem BND, Fort Meade oder dem GCHQ bekamen sie mediale und geheimdienstliche Aufmerksamkeit und Anrufe von Mitarbeitern, die aussteigen möchten – also das Intelexit-Programm in Anspruch nehmen wollen. Den Publikumsfragen konnte man entnehmen, dass bis zum Schluss ungläubiges Staunen da war. Ist das Aktivismus oder eine Kunstaktion?

Muss es das Entweder-oder sein? Kann es nicht einfach beides oder etwas ganz anderes sein? Warum nicht Aktionen planen, die von Anfang überraschen, faszinieren, gerne auch irritieren und eine Auseinandersetzung fordern.

IN WELCHER GESELLSCHAFT WOLLEN WIR LEBEN?

Was den Zünfunk Netzkongress so einzigartig macht? Genau das: die Mischung aus Vorträgen, Diskussionen und vielen Menschen, die sich für eine aktive Rolle in der Gesellschaft entscheiden haben und aktiv an unserer digitalen und analogen Gesellschaft arbeiten!

Und auch wenn Peter Sunde auf die Publikumsfrage, ob er uns Empfehlungen für mehr Engagement geben könnte, mit einem Nein antwortet, bedeutet es vermutlich nur, dass wir in unseren jeweiligen Bereichen die Experten sind und dort einen positiven, trollenden Aktivismus starten müssen. Wir können nicht alle Themen zu jeder Zeit bearbeiten. Und außerdem DIE dritte Pille, die für uns alle gilt, gibt es nicht.

Spätestens am Ende des #zf15:
( ) steht man auf und wird aktiv.
( ) nimmt man doch lieber die blaue Pille, wacht auf und alle ist wie immer.
( ) möchte man den aktuellen Gefühlszustand in einem GIF ausdrücken und durchsucht dafür kurz mal das Internet.
(bitte das zutreffende ankreuzen)

 

Stop trying to hit me and hit me.” (The Matrix)

tl;dr:

Fight for your digital rights
Werde aktiv
Narrative kann man trollen
Wenn es Entweder-oder heißt, entscheide dich für das Andere
Kunst und Aktivismus lassen sich wunderbar verbinden
Wir müssen mehr Liebe organisieren

STATEMENTS UNSERER #DMW COMMUNITY VOM #ZF15

Sarah Soehlemann
Sarah Söhlemann (Foto: Stefan Neuweger Fotografie)

Sarah Söhlemann, Fotografin und Digital Communications bei Storymaker
Der Zündfunk Netzkongress ist für mich definitiv eine kleine re:publica: diese typische Kombination aus parallelen Vorträgen, kurzen Workshops und aktiven Diskussionen, in der nicht ganz gewöhnlichen Atmosphäre des Münchner Volkstheaters, zusammen mit aktiven, klugen, inspirierenden Un/Bekannten der Netzszene. Und immer wieder dieser böse Entscheidungszwang, toller Vortrag, nächster Vortrag, JETZT: Haus des Fußballs, kleine Bühne oder halt, Moment! Pause, Kaffee trinken, Eindrücke diskutieren. Auch wenn es keine Lösung gibt, und niemand für einen entscheidet, ob man die rote, die blaue, oder die dritte Pille nimmt, das waren zwei großartige, gedankenanregende Tage Auszeit vom Alltag.

 

 

Cecile Schneider
Cécile Schneider (Foto: privat)

Cécile Schneider, Senior Communications Manager bei Koch Media
Politisch, überraschend und stellenweise lustig, das ist mein Eindruck vom Kongressprogramm 2015. Einen Vortrag, der alle diese Merkmale vereint, hat das PENG! Kollektiv gehalten. Jean Peters hat sehr authentisch berichtet, wie sein Team mit einer Drohne den Dagger-Komplex in Darmstadt mit Flyern bombardierte und sich während der Aktion noch nicht sicher war, wie ernst sie ihre Aussteiger-Werbung für Geheimdienst-Mitarbeiter meinen wollen. Stark war auch die Analyse von Anke Domscheit-Berg und Kübra Gümüşay, dass Hassbotschaften im Netz kein virtuelles Problem sind. Wenn das Internet ein öffentlicher Raum ist, in dem Meinung gemacht und Geld verdient wird, ist es wichtig, dass Menschen nicht durch Drohungen gehindert oder abgeschreckt werden, sich dort einzubringen.

 

Pia Kleine_Wieskamp
Pia Kleine Wieskamp (Foto: privat)

Pia Kleine Wieskamp, POINT-PR
Der Zündfunk Netzkongress hier in München ist eine sehr interessante Veranstaltung. Die Keynote von Peter Sunde Kolmisoppi beeindruckte mich am meisten. Er ist der Gründer von Flattr und File-Sharing-Seite Bayfiles. Zudem ist er Mitgründer und Pressesprecher von „The Pirate Bay“. Letztes Jahr wurde er wegen Beihilfe zu Verstößen gegen das Urheberrecht inhaftiert, da über „The Pirate Bay“ Nutzer urheberrechtlich geschützte Filme und Musik tauschten. Peter Sunde berichtete, dass er während seiner Inhaftierung – er saß sechs Monate in einem schwedischen Hochsicherheitsgefängnis ein – nicht nur keinen Zugang zum Internet hatte, sondern auch mit der Langeweile kämpfte. Kein Internetanschluss, nur eine Stunde Freigang.
“It was totally sick. One is locked up in a room while signing autographs for those who lock one in. I do not think many people have experienced this situation,”, sagte Sunde.
Ich hätte nicht gedacht, dass in der heutigen Zeit in einer Demokratie eine solche Haftstrafe erteilt wird. Undenkbar, dass zur gleichen Zeit über Künstliche Intelligenz gesprochen wird. Auch hier eine spannende Diskussion rund um die Fragen: Was ist Intelligenz? Was bedeutet Bewusstsein und bewusstes Handeln? Sicherlich ein Thema, das uns in den nächsten Jahren immer mehr beschäftigen wird, auch wenn eine Teil der Gesellschaft noch im Mittelalter zu leben scheint.

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